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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Papst plus der Zehnte
Chr. D. pflaum i vonn

le Fülle und die Entschiedenheit der in den nunmehr vier Jahren
des neuen Herrn vom Vatikan ausgegangnen Kundgebungen war
eine Enttäuschung für alle die, die in Giuseppe Sarto den "nur
religiösen" Mann erkannt zu haben glaubten. Man muß den
Begriff des Religiösen seiner wesentlichsten Merkmale berauben,
um heute noch an dieser, vielleicht auf einen Papst überhaupt nicht recht an¬
wendbaren Charakteristik festhalten zu können.

Pius der Zehnte hat nicht unterlassen, des öftern auf die letzten Voraus¬
setzungen und die idealen Ziele der christlichen Kirche zurückzukommen. Die
Aufrichtigkeit und Unmittelbarkeit seiner Äußerungen über die Wege, die ein¬
zuschlagen sind, um das Leben der katholischen Kirche wieder mit dem ursprüng¬
lichen Geiste zu erfüllen, find nicht zu verkennen. Auch der heilige Ernst
dessen, der eine große Mission zu erfüllen sich vorgesetzt hat, beseelt seine
Arbeit. Aber dem Papste Pius dem Zehnten fehlt jene geistige Fähigkeit, die
zur Erkenntnis der Bedingungen und der Beziehungen aller geschichtlichen und
aktuellen Erscheinungen führt, und die bei jeder Bewertung und praktischen
Behandlung von Personen und Dingen unerläßlich ist. Jene geistige Fähig¬
keit, die durchaus nicht notwendig von dem Wesen eines "wahren" Katholiken
und ebensowenig von dem eines Papstes ausgeschlossen ist, und die zum Bei¬
spiel der heilige Augustinus und Papst Leo der Dreizehnte in hohem Grade
hatten und literarisch und politisch betätigt haben. Und eben wegen dieses
auf Anlage und Bildung zurückzuführenden Mangels ist das Walten Pius des
Zehnten weder in seinen Zwecken noch in seinen Wegen einwandfrei, auch ohne
daß man einen antikatholischen oder auch nur antiklerikalen Standpunkt ein¬
nimmt; auf ihn nicht zum wenigsten ist es zurückzuführen, daß wohl im Bereich
der Kurie selbst und im Kirchenbezirk Rom ansehnliche moralische und technische
Verbesserungen der Verhältnisse zu verzeichnen sind, daß aber im übrigen die


Grenzboten III 1907 29


Papst plus der Zehnte
Chr. D. pflaum i vonn

le Fülle und die Entschiedenheit der in den nunmehr vier Jahren
des neuen Herrn vom Vatikan ausgegangnen Kundgebungen war
eine Enttäuschung für alle die, die in Giuseppe Sarto den „nur
religiösen" Mann erkannt zu haben glaubten. Man muß den
Begriff des Religiösen seiner wesentlichsten Merkmale berauben,
um heute noch an dieser, vielleicht auf einen Papst überhaupt nicht recht an¬
wendbaren Charakteristik festhalten zu können.

Pius der Zehnte hat nicht unterlassen, des öftern auf die letzten Voraus¬
setzungen und die idealen Ziele der christlichen Kirche zurückzukommen. Die
Aufrichtigkeit und Unmittelbarkeit seiner Äußerungen über die Wege, die ein¬
zuschlagen sind, um das Leben der katholischen Kirche wieder mit dem ursprüng¬
lichen Geiste zu erfüllen, find nicht zu verkennen. Auch der heilige Ernst
dessen, der eine große Mission zu erfüllen sich vorgesetzt hat, beseelt seine
Arbeit. Aber dem Papste Pius dem Zehnten fehlt jene geistige Fähigkeit, die
zur Erkenntnis der Bedingungen und der Beziehungen aller geschichtlichen und
aktuellen Erscheinungen führt, und die bei jeder Bewertung und praktischen
Behandlung von Personen und Dingen unerläßlich ist. Jene geistige Fähig¬
keit, die durchaus nicht notwendig von dem Wesen eines „wahren" Katholiken
und ebensowenig von dem eines Papstes ausgeschlossen ist, und die zum Bei¬
spiel der heilige Augustinus und Papst Leo der Dreizehnte in hohem Grade
hatten und literarisch und politisch betätigt haben. Und eben wegen dieses
auf Anlage und Bildung zurückzuführenden Mangels ist das Walten Pius des
Zehnten weder in seinen Zwecken noch in seinen Wegen einwandfrei, auch ohne
daß man einen antikatholischen oder auch nur antiklerikalen Standpunkt ein¬
nimmt; auf ihn nicht zum wenigsten ist es zurückzuführen, daß wohl im Bereich
der Kurie selbst und im Kirchenbezirk Rom ansehnliche moralische und technische
Verbesserungen der Verhältnisse zu verzeichnen sind, daß aber im übrigen die


Grenzboten III 1907 29
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[0225] [Abbildung] Papst plus der Zehnte Chr. D. pflaum i vonn le Fülle und die Entschiedenheit der in den nunmehr vier Jahren des neuen Herrn vom Vatikan ausgegangnen Kundgebungen war eine Enttäuschung für alle die, die in Giuseppe Sarto den „nur religiösen" Mann erkannt zu haben glaubten. Man muß den Begriff des Religiösen seiner wesentlichsten Merkmale berauben, um heute noch an dieser, vielleicht auf einen Papst überhaupt nicht recht an¬ wendbaren Charakteristik festhalten zu können. Pius der Zehnte hat nicht unterlassen, des öftern auf die letzten Voraus¬ setzungen und die idealen Ziele der christlichen Kirche zurückzukommen. Die Aufrichtigkeit und Unmittelbarkeit seiner Äußerungen über die Wege, die ein¬ zuschlagen sind, um das Leben der katholischen Kirche wieder mit dem ursprüng¬ lichen Geiste zu erfüllen, find nicht zu verkennen. Auch der heilige Ernst dessen, der eine große Mission zu erfüllen sich vorgesetzt hat, beseelt seine Arbeit. Aber dem Papste Pius dem Zehnten fehlt jene geistige Fähigkeit, die zur Erkenntnis der Bedingungen und der Beziehungen aller geschichtlichen und aktuellen Erscheinungen führt, und die bei jeder Bewertung und praktischen Behandlung von Personen und Dingen unerläßlich ist. Jene geistige Fähig¬ keit, die durchaus nicht notwendig von dem Wesen eines „wahren" Katholiken und ebensowenig von dem eines Papstes ausgeschlossen ist, und die zum Bei¬ spiel der heilige Augustinus und Papst Leo der Dreizehnte in hohem Grade hatten und literarisch und politisch betätigt haben. Und eben wegen dieses auf Anlage und Bildung zurückzuführenden Mangels ist das Walten Pius des Zehnten weder in seinen Zwecken noch in seinen Wegen einwandfrei, auch ohne daß man einen antikatholischen oder auch nur antiklerikalen Standpunkt ein¬ nimmt; auf ihn nicht zum wenigsten ist es zurückzuführen, daß wohl im Bereich der Kurie selbst und im Kirchenbezirk Rom ansehnliche moralische und technische Verbesserungen der Verhältnisse zu verzeichnen sind, daß aber im übrigen die Grenzboten III 1907 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/225>, abgerufen am 29.04.2024.