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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen
3

urch Dilettantismus und durch Nepotismus ist also, wie ich
gezeigt zu haben glaube, die innere Entwicklung des höhern
preußischen Verwaltungsdienstes in den letzten drei Menschen¬
altern und sein gegenwärtiger Zustand bezeichnet.
I Man hatte offenbar in den maßgebenden Kreisen schon früh ver¬
gessen, daß der höhere Verwaltungsdienst dank den unausgesetzten Bemühungen
des Königs Friedrich Wilhelm des Ersten und seines Sohnes genau so ein
besondrer, abgeschlossener Beruf geworden war wie etwa der höhere Justizdienst.
Demgemäß hatte man auch das Verständnis für die einfache Wahrheit verloren,
daß in der Verwaltung ebenso wie in jedem andern Berufe nur der geschulte
Fachmann etwas gedeihliches leisten kann, oder mit andern Worten, nur
jemand, der durch planmäßige Schulung die theoretischen und praktischen
Kenntnisse und Fertigkeiten erworben und die Erfahrungen gesammelt hat, die
der Verwaltungsdienst seinem Zweck und Wesen nach von seinen Angehörigen
logischerweise nun einmal fordert. So erklärt es sich, daß man Laien und
andre Dilettanten, denen diese Voraussetzungen für eine fruchtbringende Tätig¬
keit in der Verwaltung fehlten, ohne Bedenken in die wichtigsten Stellen nahm,
und daß man immer bescheidner wurde in den Anforderungen an das Wissen
und Können der eigentlichen Verwaltungsbeamten. Der Nepotismus schadete
dadurch, daß er die natürliche Auslese der Besten fast vollständig aufhob.

Und diese Entwicklung wirkte bedauerlicherweise weit über den preußischen
Verwaltungsdienst hinaus.

Sie hat zunächst den Reichsdienst ergriffen. Auch dieser ist vom Dilet¬
tantismus und nach den Enthüllungen der letzten Monate über die Personalien¬
wirtschaft in der Kolonialverwaltung und im Reichsamt des Innern auch vom
Nepotismus angesteckt worden. Es kommt zum Beispiel auch hier vor, daß
ein junger Assessor oder ein einseitiger Privatrechtsjurist dazu berufen wird, in
einem der obern Reichsämter die schwierigsten Referate wahrzunehmen, obwohl
ihm vielleicht jede Sachkunde und die bescheidensten Erfahrungen auf dem ihm
anvertrauten Gebiet fehlen.

Im auswärtigen Dienst des Reichs herrscht gegenwärtig ebenfalls vielfach der
Dilettantismus. In Preußen mußte nach zwei Kabinettsordern von 1327 und 1842
der Anwärter für die diplomatische Laufbahn unter allen Umständen das juristische
Studium abgeschlossen und die erste juristische Staatsprüfung bestanden haben.
Dann mußte er durch entsprechende Tätigkeit im Justizdienst die Reife für die zweite




Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen
3

urch Dilettantismus und durch Nepotismus ist also, wie ich
gezeigt zu haben glaube, die innere Entwicklung des höhern
preußischen Verwaltungsdienstes in den letzten drei Menschen¬
altern und sein gegenwärtiger Zustand bezeichnet.
I Man hatte offenbar in den maßgebenden Kreisen schon früh ver¬
gessen, daß der höhere Verwaltungsdienst dank den unausgesetzten Bemühungen
des Königs Friedrich Wilhelm des Ersten und seines Sohnes genau so ein
besondrer, abgeschlossener Beruf geworden war wie etwa der höhere Justizdienst.
Demgemäß hatte man auch das Verständnis für die einfache Wahrheit verloren,
daß in der Verwaltung ebenso wie in jedem andern Berufe nur der geschulte
Fachmann etwas gedeihliches leisten kann, oder mit andern Worten, nur
jemand, der durch planmäßige Schulung die theoretischen und praktischen
Kenntnisse und Fertigkeiten erworben und die Erfahrungen gesammelt hat, die
der Verwaltungsdienst seinem Zweck und Wesen nach von seinen Angehörigen
logischerweise nun einmal fordert. So erklärt es sich, daß man Laien und
andre Dilettanten, denen diese Voraussetzungen für eine fruchtbringende Tätig¬
keit in der Verwaltung fehlten, ohne Bedenken in die wichtigsten Stellen nahm,
und daß man immer bescheidner wurde in den Anforderungen an das Wissen
und Können der eigentlichen Verwaltungsbeamten. Der Nepotismus schadete
dadurch, daß er die natürliche Auslese der Besten fast vollständig aufhob.

Und diese Entwicklung wirkte bedauerlicherweise weit über den preußischen
Verwaltungsdienst hinaus.

Sie hat zunächst den Reichsdienst ergriffen. Auch dieser ist vom Dilet¬
tantismus und nach den Enthüllungen der letzten Monate über die Personalien¬
wirtschaft in der Kolonialverwaltung und im Reichsamt des Innern auch vom
Nepotismus angesteckt worden. Es kommt zum Beispiel auch hier vor, daß
ein junger Assessor oder ein einseitiger Privatrechtsjurist dazu berufen wird, in
einem der obern Reichsämter die schwierigsten Referate wahrzunehmen, obwohl
ihm vielleicht jede Sachkunde und die bescheidensten Erfahrungen auf dem ihm
anvertrauten Gebiet fehlen.

Im auswärtigen Dienst des Reichs herrscht gegenwärtig ebenfalls vielfach der
Dilettantismus. In Preußen mußte nach zwei Kabinettsordern von 1327 und 1842
der Anwärter für die diplomatische Laufbahn unter allen Umständen das juristische
Studium abgeschlossen und die erste juristische Staatsprüfung bestanden haben.
Dann mußte er durch entsprechende Tätigkeit im Justizdienst die Reife für die zweite


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[0236] [Abbildung] Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen 3 urch Dilettantismus und durch Nepotismus ist also, wie ich gezeigt zu haben glaube, die innere Entwicklung des höhern preußischen Verwaltungsdienstes in den letzten drei Menschen¬ altern und sein gegenwärtiger Zustand bezeichnet. I Man hatte offenbar in den maßgebenden Kreisen schon früh ver¬ gessen, daß der höhere Verwaltungsdienst dank den unausgesetzten Bemühungen des Königs Friedrich Wilhelm des Ersten und seines Sohnes genau so ein besondrer, abgeschlossener Beruf geworden war wie etwa der höhere Justizdienst. Demgemäß hatte man auch das Verständnis für die einfache Wahrheit verloren, daß in der Verwaltung ebenso wie in jedem andern Berufe nur der geschulte Fachmann etwas gedeihliches leisten kann, oder mit andern Worten, nur jemand, der durch planmäßige Schulung die theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fertigkeiten erworben und die Erfahrungen gesammelt hat, die der Verwaltungsdienst seinem Zweck und Wesen nach von seinen Angehörigen logischerweise nun einmal fordert. So erklärt es sich, daß man Laien und andre Dilettanten, denen diese Voraussetzungen für eine fruchtbringende Tätig¬ keit in der Verwaltung fehlten, ohne Bedenken in die wichtigsten Stellen nahm, und daß man immer bescheidner wurde in den Anforderungen an das Wissen und Können der eigentlichen Verwaltungsbeamten. Der Nepotismus schadete dadurch, daß er die natürliche Auslese der Besten fast vollständig aufhob. Und diese Entwicklung wirkte bedauerlicherweise weit über den preußischen Verwaltungsdienst hinaus. Sie hat zunächst den Reichsdienst ergriffen. Auch dieser ist vom Dilet¬ tantismus und nach den Enthüllungen der letzten Monate über die Personalien¬ wirtschaft in der Kolonialverwaltung und im Reichsamt des Innern auch vom Nepotismus angesteckt worden. Es kommt zum Beispiel auch hier vor, daß ein junger Assessor oder ein einseitiger Privatrechtsjurist dazu berufen wird, in einem der obern Reichsämter die schwierigsten Referate wahrzunehmen, obwohl ihm vielleicht jede Sachkunde und die bescheidensten Erfahrungen auf dem ihm anvertrauten Gebiet fehlen. Im auswärtigen Dienst des Reichs herrscht gegenwärtig ebenfalls vielfach der Dilettantismus. In Preußen mußte nach zwei Kabinettsordern von 1327 und 1842 der Anwärter für die diplomatische Laufbahn unter allen Umständen das juristische Studium abgeschlossen und die erste juristische Staatsprüfung bestanden haben. Dann mußte er durch entsprechende Tätigkeit im Justizdienst die Reife für die zweite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/236>, abgerufen am 28.04.2024.