Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

juristische Staatsprüfung dargetan, die Aufnahmeprüfung für den Verwaltungs¬
dienst bestanden und schließlich ein und ein halbes Jahr bei einer Regierung
praktisch gearbeitet haben, ehe er überhaupt in den diplomatischen Vorbereitungs¬
dienst übernommen werden konnte, der dann auch noch mehrere Jahre dauerte
und mit dem diplomatischen Examen abschloß. Der junge Diplomat hatte also,
bevor er in den auswärtigen Dienst trat, immerhin Gelegenheit gehabt, im innern
Dienst einiges zu leisten, namentlich arbeiten zu lernen und sich in der Heimat
Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln, die ihm einen einigermaßen brauch¬
baren Maßstab zur Beurteilung der ausländischen Verhältnisse gaben. Über¬
dies scheinen aber auch viele der ältern Diplomaten Regierungsassessoren gewesen
zu sein. Seit etwa einem Menschenalter ist dies anders geworden. Es gab
seither noch immer einige Assessoren im diplomatischen Dienst. Aber in der
Regel waren dies Gerichtsassessoren, die also die wirtschaftlichen Verhältnisse,
die innere Verwaltung und das öffentliche Leben ihrer Heimat nicht kannten,
und denen so jeder Vergleichsmaßstab für die Beobachtung und die Beurteilung
des Auslandes fehlte. Die meisten Berufsdiplomaten des Reichs waren jedoch
ehemalige Offiziere, die sich günstigstenfalls einige Semester irgendwo studierens-
halber aufgehalten hatten, oder Gerichtsreferendare, die gewöhnlich unmittelbar
nach dem Referendarexamen in die diplomatische Laufbahn übergetreten waren.
Die einzige Leistung, die von diesen Herren zum Nachweis ihrer Befähigung für
den auswärtigen Dienst verlangt wurde, war das Bestehen der diplomatischen
Prüfung, die als letzter Rest jener alten preußischen Bestimmungen auf den
diplomatischen Dienst des Reichs übergegangen war. Aber diese Prüfung ist
längst eine leere Form gewesen; sie hat jetzt zugestcmdnermaßen hauptsächlich
nur noch den Zweck, persönlich mißliebig gewordne Anwärter zu beseitigen, und
soll oft von den unfähigsten Leuten bestanden worden sein. Auch jemand, der
nicht studiert hatte, konnte sich in Jahresfrist etwa auf die Prüfung ausreichend
vorbereiten. Bezeichnend ist denn auch, daß die meisten Vortragenden Rate der
Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts nicht aus der diplomatischen Lauf¬
bahn, sondern aus einem andern Beruf hervorgegangen sind, meist aus dem
Konsulatsdienst.*)

Der andre Zweig des auswärtigen Dienstes, der Konsulatsdienst, wird nicht
nur äußerlich, sondern auch geistig so sehr vom Gerichtsassessor beherrscht, daß
man neulich einem Beamten, der zum Generalkonsul an dem für uns wichtigsten
Handelsplatz der Welt ernannt worden war, in einer halbamtlichen Zeitungs¬
nachricht keine bessere Empfehlung auf den Weg zu geben wußte, als daß er
em besonders genauer Kenner des Handelsrechts sei. Ein harmloses Gemüt
würde angenommen haben, daß ein Generalkonsul, zumal an einer solchen Stelle,
ein besonders genauer Kenner der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Heimat und
des Auslands und der Handelsbeziehungen beider zueinander sein müsse.



") Vgl. auch K. v. S., Diplomatische Nichtigkeiten und Wichtigkeiten. Gegenwart 1904,
Ur. 26, S. 401 ff.
Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen

juristische Staatsprüfung dargetan, die Aufnahmeprüfung für den Verwaltungs¬
dienst bestanden und schließlich ein und ein halbes Jahr bei einer Regierung
praktisch gearbeitet haben, ehe er überhaupt in den diplomatischen Vorbereitungs¬
dienst übernommen werden konnte, der dann auch noch mehrere Jahre dauerte
und mit dem diplomatischen Examen abschloß. Der junge Diplomat hatte also,
bevor er in den auswärtigen Dienst trat, immerhin Gelegenheit gehabt, im innern
Dienst einiges zu leisten, namentlich arbeiten zu lernen und sich in der Heimat
Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln, die ihm einen einigermaßen brauch¬
baren Maßstab zur Beurteilung der ausländischen Verhältnisse gaben. Über¬
dies scheinen aber auch viele der ältern Diplomaten Regierungsassessoren gewesen
zu sein. Seit etwa einem Menschenalter ist dies anders geworden. Es gab
seither noch immer einige Assessoren im diplomatischen Dienst. Aber in der
Regel waren dies Gerichtsassessoren, die also die wirtschaftlichen Verhältnisse,
die innere Verwaltung und das öffentliche Leben ihrer Heimat nicht kannten,
und denen so jeder Vergleichsmaßstab für die Beobachtung und die Beurteilung
des Auslandes fehlte. Die meisten Berufsdiplomaten des Reichs waren jedoch
ehemalige Offiziere, die sich günstigstenfalls einige Semester irgendwo studierens-
halber aufgehalten hatten, oder Gerichtsreferendare, die gewöhnlich unmittelbar
nach dem Referendarexamen in die diplomatische Laufbahn übergetreten waren.
Die einzige Leistung, die von diesen Herren zum Nachweis ihrer Befähigung für
den auswärtigen Dienst verlangt wurde, war das Bestehen der diplomatischen
Prüfung, die als letzter Rest jener alten preußischen Bestimmungen auf den
diplomatischen Dienst des Reichs übergegangen war. Aber diese Prüfung ist
längst eine leere Form gewesen; sie hat jetzt zugestcmdnermaßen hauptsächlich
nur noch den Zweck, persönlich mißliebig gewordne Anwärter zu beseitigen, und
soll oft von den unfähigsten Leuten bestanden worden sein. Auch jemand, der
nicht studiert hatte, konnte sich in Jahresfrist etwa auf die Prüfung ausreichend
vorbereiten. Bezeichnend ist denn auch, daß die meisten Vortragenden Rate der
Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts nicht aus der diplomatischen Lauf¬
bahn, sondern aus einem andern Beruf hervorgegangen sind, meist aus dem
Konsulatsdienst.*)

Der andre Zweig des auswärtigen Dienstes, der Konsulatsdienst, wird nicht
nur äußerlich, sondern auch geistig so sehr vom Gerichtsassessor beherrscht, daß
man neulich einem Beamten, der zum Generalkonsul an dem für uns wichtigsten
Handelsplatz der Welt ernannt worden war, in einer halbamtlichen Zeitungs¬
nachricht keine bessere Empfehlung auf den Weg zu geben wußte, als daß er
em besonders genauer Kenner des Handelsrechts sei. Ein harmloses Gemüt
würde angenommen haben, daß ein Generalkonsul, zumal an einer solchen Stelle,
ein besonders genauer Kenner der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Heimat und
des Auslands und der Handelsbeziehungen beider zueinander sein müsse.



") Vgl. auch K. v. S., Diplomatische Nichtigkeiten und Wichtigkeiten. Gegenwart 1904,
Ur. 26, S. 401 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0237" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302939"/>
          <fw type="header" place="top"> Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_990" prev="#ID_989"> juristische Staatsprüfung dargetan, die Aufnahmeprüfung für den Verwaltungs¬<lb/>
dienst bestanden und schließlich ein und ein halbes Jahr bei einer Regierung<lb/>
praktisch gearbeitet haben, ehe er überhaupt in den diplomatischen Vorbereitungs¬<lb/>
dienst übernommen werden konnte, der dann auch noch mehrere Jahre dauerte<lb/>
und mit dem diplomatischen Examen abschloß. Der junge Diplomat hatte also,<lb/>
bevor er in den auswärtigen Dienst trat, immerhin Gelegenheit gehabt, im innern<lb/>
Dienst einiges zu leisten, namentlich arbeiten zu lernen und sich in der Heimat<lb/>
Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln, die ihm einen einigermaßen brauch¬<lb/>
baren Maßstab zur Beurteilung der ausländischen Verhältnisse gaben. Über¬<lb/>
dies scheinen aber auch viele der ältern Diplomaten Regierungsassessoren gewesen<lb/>
zu sein. Seit etwa einem Menschenalter ist dies anders geworden. Es gab<lb/>
seither noch immer einige Assessoren im diplomatischen Dienst. Aber in der<lb/>
Regel waren dies Gerichtsassessoren, die also die wirtschaftlichen Verhältnisse,<lb/>
die innere Verwaltung und das öffentliche Leben ihrer Heimat nicht kannten,<lb/>
und denen so jeder Vergleichsmaßstab für die Beobachtung und die Beurteilung<lb/>
des Auslandes fehlte. Die meisten Berufsdiplomaten des Reichs waren jedoch<lb/>
ehemalige Offiziere, die sich günstigstenfalls einige Semester irgendwo studierens-<lb/>
halber aufgehalten hatten, oder Gerichtsreferendare, die gewöhnlich unmittelbar<lb/>
nach dem Referendarexamen in die diplomatische Laufbahn übergetreten waren.<lb/>
Die einzige Leistung, die von diesen Herren zum Nachweis ihrer Befähigung für<lb/>
den auswärtigen Dienst verlangt wurde, war das Bestehen der diplomatischen<lb/>
Prüfung, die als letzter Rest jener alten preußischen Bestimmungen auf den<lb/>
diplomatischen Dienst des Reichs übergegangen war. Aber diese Prüfung ist<lb/>
längst eine leere Form gewesen; sie hat jetzt zugestcmdnermaßen hauptsächlich<lb/>
nur noch den Zweck, persönlich mißliebig gewordne Anwärter zu beseitigen, und<lb/>
soll oft von den unfähigsten Leuten bestanden worden sein. Auch jemand, der<lb/>
nicht studiert hatte, konnte sich in Jahresfrist etwa auf die Prüfung ausreichend<lb/>
vorbereiten. Bezeichnend ist denn auch, daß die meisten Vortragenden Rate der<lb/>
Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts nicht aus der diplomatischen Lauf¬<lb/>
bahn, sondern aus einem andern Beruf hervorgegangen sind, meist aus dem<lb/>
Konsulatsdienst.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_991"> Der andre Zweig des auswärtigen Dienstes, der Konsulatsdienst, wird nicht<lb/>
nur äußerlich, sondern auch geistig so sehr vom Gerichtsassessor beherrscht, daß<lb/>
man neulich einem Beamten, der zum Generalkonsul an dem für uns wichtigsten<lb/>
Handelsplatz der Welt ernannt worden war, in einer halbamtlichen Zeitungs¬<lb/>
nachricht keine bessere Empfehlung auf den Weg zu geben wußte, als daß er<lb/>
em besonders genauer Kenner des Handelsrechts sei. Ein harmloses Gemüt<lb/>
würde angenommen haben, daß ein Generalkonsul, zumal an einer solchen Stelle,<lb/>
ein besonders genauer Kenner der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Heimat und<lb/>
des Auslands und der Handelsbeziehungen beider zueinander sein müsse.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_20" place="foot"> ") Vgl. auch K. v. S., Diplomatische Nichtigkeiten und Wichtigkeiten. Gegenwart 1904,<lb/>
Ur. 26, S. 401 ff.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0237] Nochmals der höhere Verwaltungsdienst in Preußen juristische Staatsprüfung dargetan, die Aufnahmeprüfung für den Verwaltungs¬ dienst bestanden und schließlich ein und ein halbes Jahr bei einer Regierung praktisch gearbeitet haben, ehe er überhaupt in den diplomatischen Vorbereitungs¬ dienst übernommen werden konnte, der dann auch noch mehrere Jahre dauerte und mit dem diplomatischen Examen abschloß. Der junge Diplomat hatte also, bevor er in den auswärtigen Dienst trat, immerhin Gelegenheit gehabt, im innern Dienst einiges zu leisten, namentlich arbeiten zu lernen und sich in der Heimat Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln, die ihm einen einigermaßen brauch¬ baren Maßstab zur Beurteilung der ausländischen Verhältnisse gaben. Über¬ dies scheinen aber auch viele der ältern Diplomaten Regierungsassessoren gewesen zu sein. Seit etwa einem Menschenalter ist dies anders geworden. Es gab seither noch immer einige Assessoren im diplomatischen Dienst. Aber in der Regel waren dies Gerichtsassessoren, die also die wirtschaftlichen Verhältnisse, die innere Verwaltung und das öffentliche Leben ihrer Heimat nicht kannten, und denen so jeder Vergleichsmaßstab für die Beobachtung und die Beurteilung des Auslandes fehlte. Die meisten Berufsdiplomaten des Reichs waren jedoch ehemalige Offiziere, die sich günstigstenfalls einige Semester irgendwo studierens- halber aufgehalten hatten, oder Gerichtsreferendare, die gewöhnlich unmittelbar nach dem Referendarexamen in die diplomatische Laufbahn übergetreten waren. Die einzige Leistung, die von diesen Herren zum Nachweis ihrer Befähigung für den auswärtigen Dienst verlangt wurde, war das Bestehen der diplomatischen Prüfung, die als letzter Rest jener alten preußischen Bestimmungen auf den diplomatischen Dienst des Reichs übergegangen war. Aber diese Prüfung ist längst eine leere Form gewesen; sie hat jetzt zugestcmdnermaßen hauptsächlich nur noch den Zweck, persönlich mißliebig gewordne Anwärter zu beseitigen, und soll oft von den unfähigsten Leuten bestanden worden sein. Auch jemand, der nicht studiert hatte, konnte sich in Jahresfrist etwa auf die Prüfung ausreichend vorbereiten. Bezeichnend ist denn auch, daß die meisten Vortragenden Rate der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amts nicht aus der diplomatischen Lauf¬ bahn, sondern aus einem andern Beruf hervorgegangen sind, meist aus dem Konsulatsdienst.*) Der andre Zweig des auswärtigen Dienstes, der Konsulatsdienst, wird nicht nur äußerlich, sondern auch geistig so sehr vom Gerichtsassessor beherrscht, daß man neulich einem Beamten, der zum Generalkonsul an dem für uns wichtigsten Handelsplatz der Welt ernannt worden war, in einer halbamtlichen Zeitungs¬ nachricht keine bessere Empfehlung auf den Weg zu geben wußte, als daß er em besonders genauer Kenner des Handelsrechts sei. Ein harmloses Gemüt würde angenommen haben, daß ein Generalkonsul, zumal an einer solchen Stelle, ein besonders genauer Kenner der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Heimat und des Auslands und der Handelsbeziehungen beider zueinander sein müsse. ") Vgl. auch K. v. S., Diplomatische Nichtigkeiten und Wichtigkeiten. Gegenwart 1904, Ur. 26, S. 401 ff.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/237
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/237>, abgerufen am 13.05.2024.