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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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aber dürften bei diesem Wechsel durchaus nicht leiden." Und einen Haupt¬
rebellen läßt die englische Regierung, die sich darin wieder von ihrer besten
Seite zeigt, Premierminister werden. -- Wir freuen uns auf den versprochnen
zweiten Band, der die Ereignisse nach 1894 erzählen soll. Werden wir doch
in ihm eine quellenmäßige Geschichte des letzten Burenkrieges erhalten.


Carl Ientsch


Aus Weimars Vergangenheit
Liszt und Carolyne Prinzessin 5ayn-ZVittgenstein

riefe, sagt Ludmilla Ussing einmal, sind wie geöffnete Fenster,
durch die man in die Seele ihrer Verfasser blickt; und so ehrlich
sind Briefe ihrer Natur nach, daß, selbst wenn die Schreiber nicht
die ganze Wahrheit aussprechen, dem psychologischen Forscher sich
doch aus solchen Zeugnissen die volle Charakteristik siegreich ent¬
hüllt. In der Tat nehmen Briefe nach ihrem Zweck oder nach der Stellung
und Eigenart des Empfängers mitunter eine Art von Schutzfärbung an. Trotz¬
dem behalten sie, auch ohne bloß der Neugier zu dienen, oft Reiz und Wert,
besonders, wenn sie über die geistige Eigenart eines ganzen Kreises und seines
Mittelpunkts aufklären, und wenn dieser Kreis so einzig erscheint, daß man an
eine analoge Wiederholung nicht glaubt, wenn es auch sonst Analogien in der
Geschichte gibt.

Den Mittelpunkt eines solchen Künstlerkreises bildeten etwa seit der Mitte
des vorigen Jahrhunderts Liszt und Carolyne, die 1836, siebzehn Jahre alt,
nicht eigentlich mit vollen: Bewußtsein und ganzem Willen den Fürsten von
Sayn-Wittgenstein geheiratet und 1848 mit ihrer Tochter unter dem Vorwand
einer längern Badereise verlassen hatte. Sie folgte Liszt, den sie 1847 in einem
Konzert in Kiew kennen und lieben lernte. Obgleich sie sich 1876 in Rom eine
ihrer Güter beraubte Witwe nannte und als "Pfennig der Witwe" dreihundert
Gulden für zwei Denkmäler anwies, konnte sie doch beim Scheiden von der
teuern Heimat eine Million Rubel für ein verkauftes Gut mitnehmen. In
Weimar fand sie das Asyl des Exils. Sie bewohnte mit ihrer Tochter einen
Teil der "Altenburg", während Liszt in einem andern Flügel lebte. Das wäre
ja nun sehr schön gewesen, wenn nicht Carolyne mehr als ein Dutzend Jahre
die Scheidung von ihrem Manne vergeblich betrieben hätte. An klassischer Stätte
mochte sich Goethes Distichon aus den Vier Jahreszeiten, Sommer, 24, be¬
merklich machen: Sorge! sie steiget mit dir zu Roß, sie steiget zu Schiffe. ..
Auch Liszt erfuhr, daß es seine Tragik hat, die Frau eines andern zu lieben.
Immerhin war er auch diesmal, gerade wie früher bei der Gräfin d'Agonie,
ein ganz freier Freier gewesen und so im Vorteil gegen Wagner, der doch das


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aber dürften bei diesem Wechsel durchaus nicht leiden." Und einen Haupt¬
rebellen läßt die englische Regierung, die sich darin wieder von ihrer besten
Seite zeigt, Premierminister werden. — Wir freuen uns auf den versprochnen
zweiten Band, der die Ereignisse nach 1894 erzählen soll. Werden wir doch
in ihm eine quellenmäßige Geschichte des letzten Burenkrieges erhalten.


Carl Ientsch


Aus Weimars Vergangenheit
Liszt und Carolyne Prinzessin 5ayn-ZVittgenstein

riefe, sagt Ludmilla Ussing einmal, sind wie geöffnete Fenster,
durch die man in die Seele ihrer Verfasser blickt; und so ehrlich
sind Briefe ihrer Natur nach, daß, selbst wenn die Schreiber nicht
die ganze Wahrheit aussprechen, dem psychologischen Forscher sich
doch aus solchen Zeugnissen die volle Charakteristik siegreich ent¬
hüllt. In der Tat nehmen Briefe nach ihrem Zweck oder nach der Stellung
und Eigenart des Empfängers mitunter eine Art von Schutzfärbung an. Trotz¬
dem behalten sie, auch ohne bloß der Neugier zu dienen, oft Reiz und Wert,
besonders, wenn sie über die geistige Eigenart eines ganzen Kreises und seines
Mittelpunkts aufklären, und wenn dieser Kreis so einzig erscheint, daß man an
eine analoge Wiederholung nicht glaubt, wenn es auch sonst Analogien in der
Geschichte gibt.

Den Mittelpunkt eines solchen Künstlerkreises bildeten etwa seit der Mitte
des vorigen Jahrhunderts Liszt und Carolyne, die 1836, siebzehn Jahre alt,
nicht eigentlich mit vollen: Bewußtsein und ganzem Willen den Fürsten von
Sayn-Wittgenstein geheiratet und 1848 mit ihrer Tochter unter dem Vorwand
einer längern Badereise verlassen hatte. Sie folgte Liszt, den sie 1847 in einem
Konzert in Kiew kennen und lieben lernte. Obgleich sie sich 1876 in Rom eine
ihrer Güter beraubte Witwe nannte und als „Pfennig der Witwe" dreihundert
Gulden für zwei Denkmäler anwies, konnte sie doch beim Scheiden von der
teuern Heimat eine Million Rubel für ein verkauftes Gut mitnehmen. In
Weimar fand sie das Asyl des Exils. Sie bewohnte mit ihrer Tochter einen
Teil der „Altenburg", während Liszt in einem andern Flügel lebte. Das wäre
ja nun sehr schön gewesen, wenn nicht Carolyne mehr als ein Dutzend Jahre
die Scheidung von ihrem Manne vergeblich betrieben hätte. An klassischer Stätte
mochte sich Goethes Distichon aus den Vier Jahreszeiten, Sommer, 24, be¬
merklich machen: Sorge! sie steiget mit dir zu Roß, sie steiget zu Schiffe. ..
Auch Liszt erfuhr, daß es seine Tragik hat, die Frau eines andern zu lieben.
Immerhin war er auch diesmal, gerade wie früher bei der Gräfin d'Agonie,
ein ganz freier Freier gewesen und so im Vorteil gegen Wagner, der doch das


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[0254] Aus Weimars Vergangenheit aber dürften bei diesem Wechsel durchaus nicht leiden." Und einen Haupt¬ rebellen läßt die englische Regierung, die sich darin wieder von ihrer besten Seite zeigt, Premierminister werden. — Wir freuen uns auf den versprochnen zweiten Band, der die Ereignisse nach 1894 erzählen soll. Werden wir doch in ihm eine quellenmäßige Geschichte des letzten Burenkrieges erhalten. Carl Ientsch Aus Weimars Vergangenheit Liszt und Carolyne Prinzessin 5ayn-ZVittgenstein riefe, sagt Ludmilla Ussing einmal, sind wie geöffnete Fenster, durch die man in die Seele ihrer Verfasser blickt; und so ehrlich sind Briefe ihrer Natur nach, daß, selbst wenn die Schreiber nicht die ganze Wahrheit aussprechen, dem psychologischen Forscher sich doch aus solchen Zeugnissen die volle Charakteristik siegreich ent¬ hüllt. In der Tat nehmen Briefe nach ihrem Zweck oder nach der Stellung und Eigenart des Empfängers mitunter eine Art von Schutzfärbung an. Trotz¬ dem behalten sie, auch ohne bloß der Neugier zu dienen, oft Reiz und Wert, besonders, wenn sie über die geistige Eigenart eines ganzen Kreises und seines Mittelpunkts aufklären, und wenn dieser Kreis so einzig erscheint, daß man an eine analoge Wiederholung nicht glaubt, wenn es auch sonst Analogien in der Geschichte gibt. Den Mittelpunkt eines solchen Künstlerkreises bildeten etwa seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts Liszt und Carolyne, die 1836, siebzehn Jahre alt, nicht eigentlich mit vollen: Bewußtsein und ganzem Willen den Fürsten von Sayn-Wittgenstein geheiratet und 1848 mit ihrer Tochter unter dem Vorwand einer längern Badereise verlassen hatte. Sie folgte Liszt, den sie 1847 in einem Konzert in Kiew kennen und lieben lernte. Obgleich sie sich 1876 in Rom eine ihrer Güter beraubte Witwe nannte und als „Pfennig der Witwe" dreihundert Gulden für zwei Denkmäler anwies, konnte sie doch beim Scheiden von der teuern Heimat eine Million Rubel für ein verkauftes Gut mitnehmen. In Weimar fand sie das Asyl des Exils. Sie bewohnte mit ihrer Tochter einen Teil der „Altenburg", während Liszt in einem andern Flügel lebte. Das wäre ja nun sehr schön gewesen, wenn nicht Carolyne mehr als ein Dutzend Jahre die Scheidung von ihrem Manne vergeblich betrieben hätte. An klassischer Stätte mochte sich Goethes Distichon aus den Vier Jahreszeiten, Sommer, 24, be¬ merklich machen: Sorge! sie steiget mit dir zu Roß, sie steiget zu Schiffe. .. Auch Liszt erfuhr, daß es seine Tragik hat, die Frau eines andern zu lieben. Immerhin war er auch diesmal, gerade wie früher bei der Gräfin d'Agonie, ein ganz freier Freier gewesen und so im Vorteil gegen Wagner, der doch das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/254>, abgerufen am 28.04.2024.