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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Aus Weimars Vergangenheit

erstemal, als ihn die Neigung für Mathilde Wesendonk packte, seine Minna in
Zürich bei sich hatte. Ob diese Kollision mit dem zehnten Gebot zur Psycho¬
logischen Tragik der Künstler gehört, ließe sich nur durch eine schwierige Statistik
feststellen. Auch die heute so inbrünstig betriebne experimentelle Psychologie könnte
die Sache nicht entscheiden.

In ihrer Heimat und Jugend war Carolyne etwas exzentrisch gewesen.
In Weimar wich sie höchstens dadurch von der wohltemperierten Gewohnheit
ab, daß sie in ihrem Salon eine Zigarre rauchte, darin George Sand gleich,
die sich nicht ohne Grund ein Ztrs as gentiiusut nannte und sich mitunter in
ihrem Landhaus für ihre Trabukos von Chopin einen künstlerisch geweihten
Fidibus bringen ließ. Carolyne war eine kluge, feingebildete Frau. In den
Briefen*), die sie als vornehme Dame und Liszts Freundin von vielen hervor¬
ragenden Künstlern und Gelehrten erhielt, mag man mitunter etwas von dem
spüren, was sogar der weltfremde Beethoven wußte: "Die Welt ist ein König,
und sie will geschmeichelt sein." Aber offenbar erfuhr die Fürstin viel mehr
wahr empfundne Huldigung wegen ihres Geistes, ihrer Liebenswürdigkeit, Hilfs¬
bereitschaft und Freigebigkeit, Eigenschaften, die sie mit Liszt gemeinsam hatte.
Unter den Briefschreibcrn und Besuchern der Altenburg erscheinen z. B. Klara
Schumann, Schmorr von Carolsfeld, A. von Humboldt (dessen kleine französische
Briefe immer besonders fein und höflich sind), Schwind, der wahrheitsliebende
Friedrich Preller, Rietschel, Gutzkow, Genelli, Hoffmann von Fallersleben, das
Ehepaar Kaulbach, G. Freytag, A. Rubinstein, Rauch. Alfred Meißner, Berlioz,
G. Semper, Fr. Bischer, Hebbel, Wagner, Varnhagen. Welch reicher Himmel,
Stern bei Stern!

Die Fürstin betrachtete es offenbar als ihre Aufgabe, Liszt das Leben so
angenehm wie möglich zu machen. Seine Freunde und Verehrer waren nicht
nur die ihrigen, sondern sie zog noch ihrerseits eine Menge Leute in die von
geistigen, besonders künstlerischen Genüssen wundervoll gesättigte Atmosphäre
des Hauses. Sie und Liszt waren nicht Deutsche; gerade darum beweisen sie,
daß Wissenschaft und Kunst Gebiete sind, auf denen sich die feinen, gleichge¬
stimmten Persönlichkeiten zu einer andern Einheit als der der Staatsangehörigkeit
und Nationalität zusammenfinden. Von Politik hören wir fast gar nichts.
Nur Alfred Meißner läßt einige Stoßseufzer hören. Jene Zeit war für den
schönen, feinen Lebensgenuß geeignet, wie wohl nie wieder. Man zog sich von
der Politik zurück, wie Goethe in den Zeiten des Divans. Man stierte nicht
wie heute auf das Idol der Nationalität. Die Aristokratie des Geistes fand
sich zusammen, als man noch nicht für demokratische Gleichmacherei schwärmte.
Güte und Großmut (die Wagner wiederholt an der Fürstin rühmt) betätigten
sich, obgleich man noch nicht zur Kleinkinderei unsers Jahrhunderts gekommen



Aus der Glanzzeit der Weimarer Altenburg. Bilder und Briefe aus dem Leben der
Fürstin Carolyne Sayn-Wtttgenstein, herausgegeben von La Mara, mit vielen Abbildungen.
Leipzig, Breitkopf K Härtel, 1906. 444 Seiten.
Aus Weimars Vergangenheit

erstemal, als ihn die Neigung für Mathilde Wesendonk packte, seine Minna in
Zürich bei sich hatte. Ob diese Kollision mit dem zehnten Gebot zur Psycho¬
logischen Tragik der Künstler gehört, ließe sich nur durch eine schwierige Statistik
feststellen. Auch die heute so inbrünstig betriebne experimentelle Psychologie könnte
die Sache nicht entscheiden.

In ihrer Heimat und Jugend war Carolyne etwas exzentrisch gewesen.
In Weimar wich sie höchstens dadurch von der wohltemperierten Gewohnheit
ab, daß sie in ihrem Salon eine Zigarre rauchte, darin George Sand gleich,
die sich nicht ohne Grund ein Ztrs as gentiiusut nannte und sich mitunter in
ihrem Landhaus für ihre Trabukos von Chopin einen künstlerisch geweihten
Fidibus bringen ließ. Carolyne war eine kluge, feingebildete Frau. In den
Briefen*), die sie als vornehme Dame und Liszts Freundin von vielen hervor¬
ragenden Künstlern und Gelehrten erhielt, mag man mitunter etwas von dem
spüren, was sogar der weltfremde Beethoven wußte: „Die Welt ist ein König,
und sie will geschmeichelt sein." Aber offenbar erfuhr die Fürstin viel mehr
wahr empfundne Huldigung wegen ihres Geistes, ihrer Liebenswürdigkeit, Hilfs¬
bereitschaft und Freigebigkeit, Eigenschaften, die sie mit Liszt gemeinsam hatte.
Unter den Briefschreibcrn und Besuchern der Altenburg erscheinen z. B. Klara
Schumann, Schmorr von Carolsfeld, A. von Humboldt (dessen kleine französische
Briefe immer besonders fein und höflich sind), Schwind, der wahrheitsliebende
Friedrich Preller, Rietschel, Gutzkow, Genelli, Hoffmann von Fallersleben, das
Ehepaar Kaulbach, G. Freytag, A. Rubinstein, Rauch. Alfred Meißner, Berlioz,
G. Semper, Fr. Bischer, Hebbel, Wagner, Varnhagen. Welch reicher Himmel,
Stern bei Stern!

Die Fürstin betrachtete es offenbar als ihre Aufgabe, Liszt das Leben so
angenehm wie möglich zu machen. Seine Freunde und Verehrer waren nicht
nur die ihrigen, sondern sie zog noch ihrerseits eine Menge Leute in die von
geistigen, besonders künstlerischen Genüssen wundervoll gesättigte Atmosphäre
des Hauses. Sie und Liszt waren nicht Deutsche; gerade darum beweisen sie,
daß Wissenschaft und Kunst Gebiete sind, auf denen sich die feinen, gleichge¬
stimmten Persönlichkeiten zu einer andern Einheit als der der Staatsangehörigkeit
und Nationalität zusammenfinden. Von Politik hören wir fast gar nichts.
Nur Alfred Meißner läßt einige Stoßseufzer hören. Jene Zeit war für den
schönen, feinen Lebensgenuß geeignet, wie wohl nie wieder. Man zog sich von
der Politik zurück, wie Goethe in den Zeiten des Divans. Man stierte nicht
wie heute auf das Idol der Nationalität. Die Aristokratie des Geistes fand
sich zusammen, als man noch nicht für demokratische Gleichmacherei schwärmte.
Güte und Großmut (die Wagner wiederholt an der Fürstin rühmt) betätigten
sich, obgleich man noch nicht zur Kleinkinderei unsers Jahrhunderts gekommen



Aus der Glanzzeit der Weimarer Altenburg. Bilder und Briefe aus dem Leben der
Fürstin Carolyne Sayn-Wtttgenstein, herausgegeben von La Mara, mit vielen Abbildungen.
Leipzig, Breitkopf K Härtel, 1906. 444 Seiten.
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[0255] Aus Weimars Vergangenheit erstemal, als ihn die Neigung für Mathilde Wesendonk packte, seine Minna in Zürich bei sich hatte. Ob diese Kollision mit dem zehnten Gebot zur Psycho¬ logischen Tragik der Künstler gehört, ließe sich nur durch eine schwierige Statistik feststellen. Auch die heute so inbrünstig betriebne experimentelle Psychologie könnte die Sache nicht entscheiden. In ihrer Heimat und Jugend war Carolyne etwas exzentrisch gewesen. In Weimar wich sie höchstens dadurch von der wohltemperierten Gewohnheit ab, daß sie in ihrem Salon eine Zigarre rauchte, darin George Sand gleich, die sich nicht ohne Grund ein Ztrs as gentiiusut nannte und sich mitunter in ihrem Landhaus für ihre Trabukos von Chopin einen künstlerisch geweihten Fidibus bringen ließ. Carolyne war eine kluge, feingebildete Frau. In den Briefen*), die sie als vornehme Dame und Liszts Freundin von vielen hervor¬ ragenden Künstlern und Gelehrten erhielt, mag man mitunter etwas von dem spüren, was sogar der weltfremde Beethoven wußte: „Die Welt ist ein König, und sie will geschmeichelt sein." Aber offenbar erfuhr die Fürstin viel mehr wahr empfundne Huldigung wegen ihres Geistes, ihrer Liebenswürdigkeit, Hilfs¬ bereitschaft und Freigebigkeit, Eigenschaften, die sie mit Liszt gemeinsam hatte. Unter den Briefschreibcrn und Besuchern der Altenburg erscheinen z. B. Klara Schumann, Schmorr von Carolsfeld, A. von Humboldt (dessen kleine französische Briefe immer besonders fein und höflich sind), Schwind, der wahrheitsliebende Friedrich Preller, Rietschel, Gutzkow, Genelli, Hoffmann von Fallersleben, das Ehepaar Kaulbach, G. Freytag, A. Rubinstein, Rauch. Alfred Meißner, Berlioz, G. Semper, Fr. Bischer, Hebbel, Wagner, Varnhagen. Welch reicher Himmel, Stern bei Stern! Die Fürstin betrachtete es offenbar als ihre Aufgabe, Liszt das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Seine Freunde und Verehrer waren nicht nur die ihrigen, sondern sie zog noch ihrerseits eine Menge Leute in die von geistigen, besonders künstlerischen Genüssen wundervoll gesättigte Atmosphäre des Hauses. Sie und Liszt waren nicht Deutsche; gerade darum beweisen sie, daß Wissenschaft und Kunst Gebiete sind, auf denen sich die feinen, gleichge¬ stimmten Persönlichkeiten zu einer andern Einheit als der der Staatsangehörigkeit und Nationalität zusammenfinden. Von Politik hören wir fast gar nichts. Nur Alfred Meißner läßt einige Stoßseufzer hören. Jene Zeit war für den schönen, feinen Lebensgenuß geeignet, wie wohl nie wieder. Man zog sich von der Politik zurück, wie Goethe in den Zeiten des Divans. Man stierte nicht wie heute auf das Idol der Nationalität. Die Aristokratie des Geistes fand sich zusammen, als man noch nicht für demokratische Gleichmacherei schwärmte. Güte und Großmut (die Wagner wiederholt an der Fürstin rühmt) betätigten sich, obgleich man noch nicht zur Kleinkinderei unsers Jahrhunderts gekommen Aus der Glanzzeit der Weimarer Altenburg. Bilder und Briefe aus dem Leben der Fürstin Carolyne Sayn-Wtttgenstein, herausgegeben von La Mara, mit vielen Abbildungen. Leipzig, Breitkopf K Härtel, 1906. 444 Seiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/255>, abgerufen am 14.05.2024.