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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Russische Briefe
George (Lleinow von
7. Nach dem Staatsstreich

eit meinem letzten Briefe sind äußerlich viele Veränderungen in
Rußland vor sich gegangen. Die zweite Reichsduma wurde auf¬
gelöst, ein Manifest verkündete am 3. (16.) Juni die Einführung
eines neuen Wahlgesetzes, der Reichskontrolleur von Schwanebach
mußte zu seiner großen Überraschung plötzlich aus dem Amte
scheiden, und -- am Kopf der Moskowskija Wjedemosti prangt nicht mehr das
csteruM oenseo für die Auflösung der Duma, sondern es heißt: "Und nun
vor allen Dingen muß dem Aufruhr ein Ziel gesetzt werden!" Der deutsche
Leser wird wahrscheinlich das neue Wahlgesetz als das wichtigste aller dieser
Geschehnisse betrachten. Tatsächlich wäre das aber eine Überschätzung seiner
Bedeutung. Die Wahlrechtsünderung an sich hätte wohl die ihr zugedachte
positive Bedeutung, wenn sie nicht zugleich den Sieg einer ganz bestimmten
Gruppe aus der Gesellschaft über die Negierung darstellte, also wenn sie als
Zeichen und Ausfluß der Stärke der Regierungsgewalt hingenommen werden
könnte. Das Gesetz ist aber tatsächlich nicht das Werk einer tatkräftigen, weit-
schciucnden Regierung, wie viele meinen, es ist ein vorläufiges Ergebnis des
Kampfes einer verhältnismäßig kleinen Gruppe aus der Gesellschaft, die von
Reformen nichts wissen will, gegen die zu Reformen geneigte Regierung.
Darum darf auch das mit dem Gesetz verbundne Auftreten der Negierung nicht
schlechthin als ein Zeichen erstarkender Regierungsautorität aufgefaßt werden.
Es ist lediglich, wie schon gesagt, der augenblickliche Erfolg einer revolutionären
Partei über eine andre, erkämpft mit Hilfe einer geschwächten Regierungs-
gewalt. Das mag paradox klingen, ist aber tatsächliche Wahrheit. Nußland
ist kein durch das Zusammenwirken der Gesellschaft und der Exekutive regierter
Verfassungsstaat, worin sich die Regierungsautorität auf eine oder mehrere
Politische Parteien im Lande stützt. Es ist heute, wie vor 1905, ein von der
Bureaukratie selbstherrlich regierter Staat, worin allerdings die Regierung vom


Grenzboten III 1907 36


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7. Nach dem Staatsstreich

eit meinem letzten Briefe sind äußerlich viele Veränderungen in
Rußland vor sich gegangen. Die zweite Reichsduma wurde auf¬
gelöst, ein Manifest verkündete am 3. (16.) Juni die Einführung
eines neuen Wahlgesetzes, der Reichskontrolleur von Schwanebach
mußte zu seiner großen Überraschung plötzlich aus dem Amte
scheiden, und — am Kopf der Moskowskija Wjedemosti prangt nicht mehr das
csteruM oenseo für die Auflösung der Duma, sondern es heißt: „Und nun
vor allen Dingen muß dem Aufruhr ein Ziel gesetzt werden!" Der deutsche
Leser wird wahrscheinlich das neue Wahlgesetz als das wichtigste aller dieser
Geschehnisse betrachten. Tatsächlich wäre das aber eine Überschätzung seiner
Bedeutung. Die Wahlrechtsünderung an sich hätte wohl die ihr zugedachte
positive Bedeutung, wenn sie nicht zugleich den Sieg einer ganz bestimmten
Gruppe aus der Gesellschaft über die Negierung darstellte, also wenn sie als
Zeichen und Ausfluß der Stärke der Regierungsgewalt hingenommen werden
könnte. Das Gesetz ist aber tatsächlich nicht das Werk einer tatkräftigen, weit-
schciucnden Regierung, wie viele meinen, es ist ein vorläufiges Ergebnis des
Kampfes einer verhältnismäßig kleinen Gruppe aus der Gesellschaft, die von
Reformen nichts wissen will, gegen die zu Reformen geneigte Regierung.
Darum darf auch das mit dem Gesetz verbundne Auftreten der Negierung nicht
schlechthin als ein Zeichen erstarkender Regierungsautorität aufgefaßt werden.
Es ist lediglich, wie schon gesagt, der augenblickliche Erfolg einer revolutionären
Partei über eine andre, erkämpft mit Hilfe einer geschwächten Regierungs-
gewalt. Das mag paradox klingen, ist aber tatsächliche Wahrheit. Nußland
ist kein durch das Zusammenwirken der Gesellschaft und der Exekutive regierter
Verfassungsstaat, worin sich die Regierungsautorität auf eine oder mehrere
Politische Parteien im Lande stützt. Es ist heute, wie vor 1905, ein von der
Bureaukratie selbstherrlich regierter Staat, worin allerdings die Regierung vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/281>, abgerufen am 28.04.2024.