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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Thomas Valley Aldrich

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MD"hö^^^^i is Aldrich vor zwei Monaten seine Ode an Longfellow zu dessen
1 hundertjährigem Geburtstag dichtete, da ahnte er nicht, daß diese
Verse der Huldigung und des liebevollen Erinnerns die letzten
sein sollten, die er schrieb. Denn zu ihm kamen die Todesgedanken
!nur in flüchtig vorüberhuschenden Stimmungen, die vergessen
waren, sobald ein Sonnenstrahl ihn streifte oder eine kleine, wenn auch noch so
vergängliche Freude ihn ablenkte. Solcher kleinen Freuden hat er sich viele
zu schaffen gewußt, sich auch im Alter die Frische bewahrt, die die Lebens-
künstler im alten Attika so weise festzuhalten wußten. Eine gewisse finanzielle
Befähigung ermöglichte es ihm, seine nicht sehr umfangreichen literarischen
Werke so nutzbar zu machen, daß er in spätern Jahren vor Sorgen gesichert
war. Da hat er nun im wahrsten Sinne des Wortes seines Lebens Feier¬
abend gehalten. Wenig hat es ihn gekümmert, daß sein bescheidner europäischer
Ruf allmählich verblaßte, daß auch seine Landsleute weniger von ihm sprachen,
seit die Muse seltner und seltner bei ihm zu Gaste kam.

Um die Zeit, als Bret Hartes Argonautenerzühlungen jugendliche Köpfe
mit übersprudelnden romantischen Ideen füllten, war Aldrich auch bei uns einer
der meistgelesnen amerikanischen Autoren. Zwar wir in Europa kennen ihn
mehr als Humoristen, wahrend Amerika ihn als Dichter ehrt. Noch ein drittes
aber, das in beiden Seiten seines Schaffens gelegentlich zum Ausdruck kommt,
ist zu merken. Die trauliche Behaglichkeit der Kleinstadt, das ein wenig philiströse
Festhalten an altväterischen Sitten, und über dem allen der eigentümlich
schüchterne Reiz der neuenglischen Landschaft im Schneesturm wie in der Glorie
des Frühlings, das alles findet sich in Aldrichs Werken zu einem zu der feinsten
Harmonie abgetöntem Bilde zusammengefügt. Seine scharfe Beobachtungsgabe
macht ihn zum zuverlässigen Sittenschildrer eines Zeitabschnitts, der bei der
raschen Entwicklung des amerikanischen Kulturlebens bald der Geschichte ange¬
hören wird.

Aldrich hat den Reiz dieser Bilder von seinen Knabenjahren an in sich
aufgenommen; war er doch Neuengländer durch und durch, nicht frei von dem
feinen geistigen Hochmut, mit dem sich die Zeitgenossen Emersons und ihre
Nachkommen als der zu Kulturaposteln Amerikas cmserwühlte Stamm fühlten.
Zwar war Aldrichs Tätigkeit von bescheidneren Umfang als das Wirken des




Thomas Valley Aldrich

WK^M* -v
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MD»hö^^^^i is Aldrich vor zwei Monaten seine Ode an Longfellow zu dessen
1 hundertjährigem Geburtstag dichtete, da ahnte er nicht, daß diese
Verse der Huldigung und des liebevollen Erinnerns die letzten
sein sollten, die er schrieb. Denn zu ihm kamen die Todesgedanken
!nur in flüchtig vorüberhuschenden Stimmungen, die vergessen
waren, sobald ein Sonnenstrahl ihn streifte oder eine kleine, wenn auch noch so
vergängliche Freude ihn ablenkte. Solcher kleinen Freuden hat er sich viele
zu schaffen gewußt, sich auch im Alter die Frische bewahrt, die die Lebens-
künstler im alten Attika so weise festzuhalten wußten. Eine gewisse finanzielle
Befähigung ermöglichte es ihm, seine nicht sehr umfangreichen literarischen
Werke so nutzbar zu machen, daß er in spätern Jahren vor Sorgen gesichert
war. Da hat er nun im wahrsten Sinne des Wortes seines Lebens Feier¬
abend gehalten. Wenig hat es ihn gekümmert, daß sein bescheidner europäischer
Ruf allmählich verblaßte, daß auch seine Landsleute weniger von ihm sprachen,
seit die Muse seltner und seltner bei ihm zu Gaste kam.

Um die Zeit, als Bret Hartes Argonautenerzühlungen jugendliche Köpfe
mit übersprudelnden romantischen Ideen füllten, war Aldrich auch bei uns einer
der meistgelesnen amerikanischen Autoren. Zwar wir in Europa kennen ihn
mehr als Humoristen, wahrend Amerika ihn als Dichter ehrt. Noch ein drittes
aber, das in beiden Seiten seines Schaffens gelegentlich zum Ausdruck kommt,
ist zu merken. Die trauliche Behaglichkeit der Kleinstadt, das ein wenig philiströse
Festhalten an altväterischen Sitten, und über dem allen der eigentümlich
schüchterne Reiz der neuenglischen Landschaft im Schneesturm wie in der Glorie
des Frühlings, das alles findet sich in Aldrichs Werken zu einem zu der feinsten
Harmonie abgetöntem Bilde zusammengefügt. Seine scharfe Beobachtungsgabe
macht ihn zum zuverlässigen Sittenschildrer eines Zeitabschnitts, der bei der
raschen Entwicklung des amerikanischen Kulturlebens bald der Geschichte ange¬
hören wird.

Aldrich hat den Reiz dieser Bilder von seinen Knabenjahren an in sich
aufgenommen; war er doch Neuengländer durch und durch, nicht frei von dem
feinen geistigen Hochmut, mit dem sich die Zeitgenossen Emersons und ihre
Nachkommen als der zu Kulturaposteln Amerikas cmserwühlte Stamm fühlten.
Zwar war Aldrichs Tätigkeit von bescheidneren Umfang als das Wirken des


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[0308] [Abbildung] Thomas Valley Aldrich WK^M* -v sWß MD»hö^^^^i is Aldrich vor zwei Monaten seine Ode an Longfellow zu dessen 1 hundertjährigem Geburtstag dichtete, da ahnte er nicht, daß diese Verse der Huldigung und des liebevollen Erinnerns die letzten sein sollten, die er schrieb. Denn zu ihm kamen die Todesgedanken !nur in flüchtig vorüberhuschenden Stimmungen, die vergessen waren, sobald ein Sonnenstrahl ihn streifte oder eine kleine, wenn auch noch so vergängliche Freude ihn ablenkte. Solcher kleinen Freuden hat er sich viele zu schaffen gewußt, sich auch im Alter die Frische bewahrt, die die Lebens- künstler im alten Attika so weise festzuhalten wußten. Eine gewisse finanzielle Befähigung ermöglichte es ihm, seine nicht sehr umfangreichen literarischen Werke so nutzbar zu machen, daß er in spätern Jahren vor Sorgen gesichert war. Da hat er nun im wahrsten Sinne des Wortes seines Lebens Feier¬ abend gehalten. Wenig hat es ihn gekümmert, daß sein bescheidner europäischer Ruf allmählich verblaßte, daß auch seine Landsleute weniger von ihm sprachen, seit die Muse seltner und seltner bei ihm zu Gaste kam. Um die Zeit, als Bret Hartes Argonautenerzühlungen jugendliche Köpfe mit übersprudelnden romantischen Ideen füllten, war Aldrich auch bei uns einer der meistgelesnen amerikanischen Autoren. Zwar wir in Europa kennen ihn mehr als Humoristen, wahrend Amerika ihn als Dichter ehrt. Noch ein drittes aber, das in beiden Seiten seines Schaffens gelegentlich zum Ausdruck kommt, ist zu merken. Die trauliche Behaglichkeit der Kleinstadt, das ein wenig philiströse Festhalten an altväterischen Sitten, und über dem allen der eigentümlich schüchterne Reiz der neuenglischen Landschaft im Schneesturm wie in der Glorie des Frühlings, das alles findet sich in Aldrichs Werken zu einem zu der feinsten Harmonie abgetöntem Bilde zusammengefügt. Seine scharfe Beobachtungsgabe macht ihn zum zuverlässigen Sittenschildrer eines Zeitabschnitts, der bei der raschen Entwicklung des amerikanischen Kulturlebens bald der Geschichte ange¬ hören wird. Aldrich hat den Reiz dieser Bilder von seinen Knabenjahren an in sich aufgenommen; war er doch Neuengländer durch und durch, nicht frei von dem feinen geistigen Hochmut, mit dem sich die Zeitgenossen Emersons und ihre Nachkommen als der zu Kulturaposteln Amerikas cmserwühlte Stamm fühlten. Zwar war Aldrichs Tätigkeit von bescheidneren Umfang als das Wirken des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/308>, abgerufen am 28.04.2024.