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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Thomas Bailey Aldrich

Weisen von Concord, dessen Gedankenflug weit über Amerikas Grenzen hinaus
seine Kreise zieht. Dennoch war Aldrich als Herausgeber der Wochenschrift
Lvor^ Lawi-äg.^ und später als Leiter der vornehmen ^elf-ullo Nontdl^
von bedeutendem literarischem Einfluß, und es spricht für sein ausgereiftes
kritisches Urteil, daß unter seiner Ägide die ^Uantio NorMI^ den Ruf ge¬
wann, die bestredigierte Zeitschrift in englischer Sprache zu sein. Wie groß die
Bedeutung solch sorgsamen Sichtens und Ausschaltens für eine junge Literatur
ist, wird erst in spätrer Zeit an den Resultaten klar, und dann wird freilich
das Verdienst eines Einzelnen dabei leicht übersehen, ob auch ein guter Teil
seines Lebenswerkes dieser mühsamen kritischen Arbeit gewidmet war.

Über seine Abstammung hat Aldrich einmal in einem kleinen Gedicht be¬
richtet. Da erzählt er von dem wunderlichen Herzensbund seines Ahnen, der
ein Krieger vom Schlage Cromwells gewesen und sich zur Gattin eine Tochter
des Südens gewühlt hatte, in deren Adern das Blut wie feuriger Wein rollte;
und in bezug auf sich selbst fügt er hinzu:

Seeleute waren die Aldrichs der frühern Generationen. Erst als infolge
der Einführung des Schutzzollsystems Neuenglands Häfen verödeten, wandten
die Familienhäupter ihre Energie finanziellen Unternehmungen zu. Doch genug
von dem Temperament der auf den Meeren heimischen Vorfahren hatte
Thomas Bailey geerbt, um den Hafencharakter seiner Vaterstadt Portsmouth,
die so durchdrungen ist von Erinnerungen an das Meer, zu verstehn. Unter
dem Namen Nivermouth hat er sie oft zum Schauplatz seiner Erzählungen ge¬
wählt und in Poesie und Prosa immer wieder die ulmenbeschatteten Straßen
geschildert, die hinab zum Hafen führten. "Giebel und Dächer der ostwärts
schauenden Häuser sind mit rotem Rost überzogen gleich den Schaufeln alter
Anker; Salzgeruch durchdringt die Luft, und dichte graue Nebel, der unmittel¬
bare Hauch des Ozeans, wälzen sich von Zeit zu Zeit bis in die stillen Straßen
hinauf und hüllen alles ein. Furchtbare Stürme peitschen das Küstenland, und
die erzürnten Wogen werfen Tang und Spiere und zuweilen die Leichen Er-
trunkner an den Strand. Schisfsbauplütze, Werften und die rotbraune Flotte
der Fischerboote, die alljährlich in Rivermouth ausgerüstet wird -- alle diese
Dinge und hundert andre nähren die Phantasie jedes gesunden Knaben und
füllen ihm das Hirn mit abenteuerlichen Träumen."

So sah der Tummelplatz von Aldrichs Knabenjahren aus; unter Obhut
Großvater Nutters sollte er die Schule in Portsmouth besuchen, während der
Vater in Neworleans sein in einem Bankunternehmen "allzu sicher" angelegtes
Vermögen zu retten suchte, was sich nach jahrelanger Arbeit als unmöglich


Thomas Bailey Aldrich

Weisen von Concord, dessen Gedankenflug weit über Amerikas Grenzen hinaus
seine Kreise zieht. Dennoch war Aldrich als Herausgeber der Wochenschrift
Lvor^ Lawi-äg.^ und später als Leiter der vornehmen ^elf-ullo Nontdl^
von bedeutendem literarischem Einfluß, und es spricht für sein ausgereiftes
kritisches Urteil, daß unter seiner Ägide die ^Uantio NorMI^ den Ruf ge¬
wann, die bestredigierte Zeitschrift in englischer Sprache zu sein. Wie groß die
Bedeutung solch sorgsamen Sichtens und Ausschaltens für eine junge Literatur
ist, wird erst in spätrer Zeit an den Resultaten klar, und dann wird freilich
das Verdienst eines Einzelnen dabei leicht übersehen, ob auch ein guter Teil
seines Lebenswerkes dieser mühsamen kritischen Arbeit gewidmet war.

Über seine Abstammung hat Aldrich einmal in einem kleinen Gedicht be¬
richtet. Da erzählt er von dem wunderlichen Herzensbund seines Ahnen, der
ein Krieger vom Schlage Cromwells gewesen und sich zur Gattin eine Tochter
des Südens gewühlt hatte, in deren Adern das Blut wie feuriger Wein rollte;
und in bezug auf sich selbst fügt er hinzu:

Seeleute waren die Aldrichs der frühern Generationen. Erst als infolge
der Einführung des Schutzzollsystems Neuenglands Häfen verödeten, wandten
die Familienhäupter ihre Energie finanziellen Unternehmungen zu. Doch genug
von dem Temperament der auf den Meeren heimischen Vorfahren hatte
Thomas Bailey geerbt, um den Hafencharakter seiner Vaterstadt Portsmouth,
die so durchdrungen ist von Erinnerungen an das Meer, zu verstehn. Unter
dem Namen Nivermouth hat er sie oft zum Schauplatz seiner Erzählungen ge¬
wählt und in Poesie und Prosa immer wieder die ulmenbeschatteten Straßen
geschildert, die hinab zum Hafen führten. „Giebel und Dächer der ostwärts
schauenden Häuser sind mit rotem Rost überzogen gleich den Schaufeln alter
Anker; Salzgeruch durchdringt die Luft, und dichte graue Nebel, der unmittel¬
bare Hauch des Ozeans, wälzen sich von Zeit zu Zeit bis in die stillen Straßen
hinauf und hüllen alles ein. Furchtbare Stürme peitschen das Küstenland, und
die erzürnten Wogen werfen Tang und Spiere und zuweilen die Leichen Er-
trunkner an den Strand. Schisfsbauplütze, Werften und die rotbraune Flotte
der Fischerboote, die alljährlich in Rivermouth ausgerüstet wird — alle diese
Dinge und hundert andre nähren die Phantasie jedes gesunden Knaben und
füllen ihm das Hirn mit abenteuerlichen Träumen."

So sah der Tummelplatz von Aldrichs Knabenjahren aus; unter Obhut
Großvater Nutters sollte er die Schule in Portsmouth besuchen, während der
Vater in Neworleans sein in einem Bankunternehmen „allzu sicher" angelegtes
Vermögen zu retten suchte, was sich nach jahrelanger Arbeit als unmöglich


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[0309] Thomas Bailey Aldrich Weisen von Concord, dessen Gedankenflug weit über Amerikas Grenzen hinaus seine Kreise zieht. Dennoch war Aldrich als Herausgeber der Wochenschrift Lvor^ Lawi-äg.^ und später als Leiter der vornehmen ^elf-ullo Nontdl^ von bedeutendem literarischem Einfluß, und es spricht für sein ausgereiftes kritisches Urteil, daß unter seiner Ägide die ^Uantio NorMI^ den Ruf ge¬ wann, die bestredigierte Zeitschrift in englischer Sprache zu sein. Wie groß die Bedeutung solch sorgsamen Sichtens und Ausschaltens für eine junge Literatur ist, wird erst in spätrer Zeit an den Resultaten klar, und dann wird freilich das Verdienst eines Einzelnen dabei leicht übersehen, ob auch ein guter Teil seines Lebenswerkes dieser mühsamen kritischen Arbeit gewidmet war. Über seine Abstammung hat Aldrich einmal in einem kleinen Gedicht be¬ richtet. Da erzählt er von dem wunderlichen Herzensbund seines Ahnen, der ein Krieger vom Schlage Cromwells gewesen und sich zur Gattin eine Tochter des Südens gewühlt hatte, in deren Adern das Blut wie feuriger Wein rollte; und in bezug auf sich selbst fügt er hinzu: Seeleute waren die Aldrichs der frühern Generationen. Erst als infolge der Einführung des Schutzzollsystems Neuenglands Häfen verödeten, wandten die Familienhäupter ihre Energie finanziellen Unternehmungen zu. Doch genug von dem Temperament der auf den Meeren heimischen Vorfahren hatte Thomas Bailey geerbt, um den Hafencharakter seiner Vaterstadt Portsmouth, die so durchdrungen ist von Erinnerungen an das Meer, zu verstehn. Unter dem Namen Nivermouth hat er sie oft zum Schauplatz seiner Erzählungen ge¬ wählt und in Poesie und Prosa immer wieder die ulmenbeschatteten Straßen geschildert, die hinab zum Hafen führten. „Giebel und Dächer der ostwärts schauenden Häuser sind mit rotem Rost überzogen gleich den Schaufeln alter Anker; Salzgeruch durchdringt die Luft, und dichte graue Nebel, der unmittel¬ bare Hauch des Ozeans, wälzen sich von Zeit zu Zeit bis in die stillen Straßen hinauf und hüllen alles ein. Furchtbare Stürme peitschen das Küstenland, und die erzürnten Wogen werfen Tang und Spiere und zuweilen die Leichen Er- trunkner an den Strand. Schisfsbauplütze, Werften und die rotbraune Flotte der Fischerboote, die alljährlich in Rivermouth ausgerüstet wird — alle diese Dinge und hundert andre nähren die Phantasie jedes gesunden Knaben und füllen ihm das Hirn mit abenteuerlichen Träumen." So sah der Tummelplatz von Aldrichs Knabenjahren aus; unter Obhut Großvater Nutters sollte er die Schule in Portsmouth besuchen, während der Vater in Neworleans sein in einem Bankunternehmen „allzu sicher" angelegtes Vermögen zu retten suchte, was sich nach jahrelanger Arbeit als unmöglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/309>, abgerufen am 14.05.2024.