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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Unsre Wohnzimmer

Maßregeln ergreifen könne; es fehle seitdem die Möglichkeit, die Offiziere und
Soldaten zu bearbeiten und sie auf ein heroisches Unternehmen vorzubereiten.
Jetzt werde die Armee auf des Königs Befehl sich willig dem französischen Joch
unterwerfen.

Wenn es im Befreiungskriege gelang, dieses Joch zu zerbrechen, so war
das nur dadurch möglich, daß sich unter den preußischen Generalen, als den
Führern des Volkes in Waffen, eine Reihe ausgeprägter Charaktere befanden.
Am höchsten aber unter diesen steht Blücher. Ihn dem jetzigen in einem langen
Frieden zur Verweichlichung neigenden Geschlecht in seinem ganzen Heroismus
vorgeführt zu haben, ist eine Tat. Seien wir dem Verfasser dankbar, daß er
uns Gelegenheit geboten hat, uns an dem Feuer vaterländischer Begeisterung,
das in diesem Heldengreise loderte, zu erwärmen.




Unsre Wohnzimmer

eher die Zeit der "Stile" in den Wohnungen wächst man heute
glücklicherweise hinaus. Es war schrecklich, als alles stilvoll sein
mußte: entweder Rokoko oder englisch oder gar "altdeutsch", mit
Butzenscheiben, Ritterschilden und Hellebarden, diese allerdings
oft nur in dem friedlichen Beruf von Portierenstangen. Daß
solche Sinnlosigkeiten möglich waren, ist kein glänzendes Zeugnis für unsern
kunstgewerblichen Verstand; daß man sie aber hübsch fand und sich in solchen
künstlich verstilisierten Räumen wohl fühlte, beweist einen bedenklichen Tief¬
stand des Geschmacks. Aber nach der tiefsten Ebbe setzt die Flut ein, und jetzt
haben wir ja wohl eine steigende Bewegung in unsrer Wohnungskultur.

Der Begriff Stil läßt sich ungefähr mit dem Wort Einheitlichkeit wieder¬
geben. Nun ist es aber der Einheitlichkeit zum Beispiel eines Beamtendaseins
im zwanzigsten Jahrhundert durchaus nicht entsprechend, sich eine Einrichtung
anzuschaffen, die den Formen des sechzehnten nachgebildet ist. Die einfachen
derben Möbel aus Luthers Zeit sind schön, weil sie aus gutem Holz, in
zweckmäßigen Formen dauerhaft gearbeitet waren; auch die nicht einfachen,
reich geschnitzten Schränke und Truhen jener Zeit sind teilweise sehr schön,
und mit Recht ist jeder stolz, der einen solchen Besitz sein eigen nennen kann.
Aber im allgemeinen gesprochen: passen die großen schweren Stücke in unsre
Zeit der Umzüge und Mietwohnungen? Haben wir für neue Bedürfnisse
nicht neue Geräte nötig? Ist es nicht Künstelei, diese für unsre Zeit not¬
wendigen Dinge -- wie etwa Ausziehtische. Damenschreibtische, Bücher¬
schränke usw. -- in die äußerlichen Formen einer Vergangenheit zu kleiden, in>


Unsre Wohnzimmer

Maßregeln ergreifen könne; es fehle seitdem die Möglichkeit, die Offiziere und
Soldaten zu bearbeiten und sie auf ein heroisches Unternehmen vorzubereiten.
Jetzt werde die Armee auf des Königs Befehl sich willig dem französischen Joch
unterwerfen.

Wenn es im Befreiungskriege gelang, dieses Joch zu zerbrechen, so war
das nur dadurch möglich, daß sich unter den preußischen Generalen, als den
Führern des Volkes in Waffen, eine Reihe ausgeprägter Charaktere befanden.
Am höchsten aber unter diesen steht Blücher. Ihn dem jetzigen in einem langen
Frieden zur Verweichlichung neigenden Geschlecht in seinem ganzen Heroismus
vorgeführt zu haben, ist eine Tat. Seien wir dem Verfasser dankbar, daß er
uns Gelegenheit geboten hat, uns an dem Feuer vaterländischer Begeisterung,
das in diesem Heldengreise loderte, zu erwärmen.




Unsre Wohnzimmer

eher die Zeit der „Stile" in den Wohnungen wächst man heute
glücklicherweise hinaus. Es war schrecklich, als alles stilvoll sein
mußte: entweder Rokoko oder englisch oder gar „altdeutsch", mit
Butzenscheiben, Ritterschilden und Hellebarden, diese allerdings
oft nur in dem friedlichen Beruf von Portierenstangen. Daß
solche Sinnlosigkeiten möglich waren, ist kein glänzendes Zeugnis für unsern
kunstgewerblichen Verstand; daß man sie aber hübsch fand und sich in solchen
künstlich verstilisierten Räumen wohl fühlte, beweist einen bedenklichen Tief¬
stand des Geschmacks. Aber nach der tiefsten Ebbe setzt die Flut ein, und jetzt
haben wir ja wohl eine steigende Bewegung in unsrer Wohnungskultur.

Der Begriff Stil läßt sich ungefähr mit dem Wort Einheitlichkeit wieder¬
geben. Nun ist es aber der Einheitlichkeit zum Beispiel eines Beamtendaseins
im zwanzigsten Jahrhundert durchaus nicht entsprechend, sich eine Einrichtung
anzuschaffen, die den Formen des sechzehnten nachgebildet ist. Die einfachen
derben Möbel aus Luthers Zeit sind schön, weil sie aus gutem Holz, in
zweckmäßigen Formen dauerhaft gearbeitet waren; auch die nicht einfachen,
reich geschnitzten Schränke und Truhen jener Zeit sind teilweise sehr schön,
und mit Recht ist jeder stolz, der einen solchen Besitz sein eigen nennen kann.
Aber im allgemeinen gesprochen: passen die großen schweren Stücke in unsre
Zeit der Umzüge und Mietwohnungen? Haben wir für neue Bedürfnisse
nicht neue Geräte nötig? Ist es nicht Künstelei, diese für unsre Zeit not¬
wendigen Dinge — wie etwa Ausziehtische. Damenschreibtische, Bücher¬
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[0359] Unsre Wohnzimmer Maßregeln ergreifen könne; es fehle seitdem die Möglichkeit, die Offiziere und Soldaten zu bearbeiten und sie auf ein heroisches Unternehmen vorzubereiten. Jetzt werde die Armee auf des Königs Befehl sich willig dem französischen Joch unterwerfen. Wenn es im Befreiungskriege gelang, dieses Joch zu zerbrechen, so war das nur dadurch möglich, daß sich unter den preußischen Generalen, als den Führern des Volkes in Waffen, eine Reihe ausgeprägter Charaktere befanden. Am höchsten aber unter diesen steht Blücher. Ihn dem jetzigen in einem langen Frieden zur Verweichlichung neigenden Geschlecht in seinem ganzen Heroismus vorgeführt zu haben, ist eine Tat. Seien wir dem Verfasser dankbar, daß er uns Gelegenheit geboten hat, uns an dem Feuer vaterländischer Begeisterung, das in diesem Heldengreise loderte, zu erwärmen. Unsre Wohnzimmer eher die Zeit der „Stile" in den Wohnungen wächst man heute glücklicherweise hinaus. Es war schrecklich, als alles stilvoll sein mußte: entweder Rokoko oder englisch oder gar „altdeutsch", mit Butzenscheiben, Ritterschilden und Hellebarden, diese allerdings oft nur in dem friedlichen Beruf von Portierenstangen. Daß solche Sinnlosigkeiten möglich waren, ist kein glänzendes Zeugnis für unsern kunstgewerblichen Verstand; daß man sie aber hübsch fand und sich in solchen künstlich verstilisierten Räumen wohl fühlte, beweist einen bedenklichen Tief¬ stand des Geschmacks. Aber nach der tiefsten Ebbe setzt die Flut ein, und jetzt haben wir ja wohl eine steigende Bewegung in unsrer Wohnungskultur. Der Begriff Stil läßt sich ungefähr mit dem Wort Einheitlichkeit wieder¬ geben. Nun ist es aber der Einheitlichkeit zum Beispiel eines Beamtendaseins im zwanzigsten Jahrhundert durchaus nicht entsprechend, sich eine Einrichtung anzuschaffen, die den Formen des sechzehnten nachgebildet ist. Die einfachen derben Möbel aus Luthers Zeit sind schön, weil sie aus gutem Holz, in zweckmäßigen Formen dauerhaft gearbeitet waren; auch die nicht einfachen, reich geschnitzten Schränke und Truhen jener Zeit sind teilweise sehr schön, und mit Recht ist jeder stolz, der einen solchen Besitz sein eigen nennen kann. Aber im allgemeinen gesprochen: passen die großen schweren Stücke in unsre Zeit der Umzüge und Mietwohnungen? Haben wir für neue Bedürfnisse nicht neue Geräte nötig? Ist es nicht Künstelei, diese für unsre Zeit not¬ wendigen Dinge — wie etwa Ausziehtische. Damenschreibtische, Bücher¬ schränke usw. — in die äußerlichen Formen einer Vergangenheit zu kleiden, in>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/359>, abgerufen am 29.04.2024.