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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line Mittelmeerfahrt nach Spanien

Im übrigen scheint das Ausland von dem gesamten Geschäftsleben dieser
"englisch betriebsamen" Stadt Besitz ergriffen zu haben; alle großen Handels¬
häuser sind in französischen, englischen, namentlich aber deutschen Händen. In
allen südeuropüischen Städten trifft man ja deutsche Kaufleute, oft in ganzen
Kolonien, die sich selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen zu behaupten
wissen. Den Rest unsers Aufenthalts verbringen wir auf den Straßen umher¬
schlendernd. Wir trinken Muskateller und essen Malagatrauben und besteigen
den hohen Felsen Gibralfaro mit den maurischen Ruinen, wo das ärmste Volk
wohnt. Die Weiber da oben sagen uns grauenhafte Dinge im Vertrauen
darauf, daß wir sie nicht verstehen, und lachen einander verständnisvoll zu.
Als ich aber, um ihnen Einhalt zu tun, zeige, daß ich sie verstanden habe, treiben
sie es noch ärger und sagen etwas sehr Gemeines über uns beide. Da werde
ich zornig und gebe ihnen einen häßlichen Namen, und sie schreien entsetzlich
und bücken sich, um Steine aufzuheben. Wir sputen uns, den Berg hinab¬
zukommen, während böse Worte und kleine Steine hinter uns hersausen.

Die weiße Stadt

Und wieder sind wir auf dem Wasser. Wir verließen Malaga um Mitter¬
nacht, lautlos, wie wir gekommen waren, passierten Gibraltar und steuerten
westlich. Die afrikanische Küste verzog sich gegen Süden, hinter uns versank
die Felsenfestung Fuß um Fuß in den Wogen, starke See und kalter Wind
verrieten, daß wir uns dem Atlantischen Ozean näherten. Vor nicht mehr als
zwei Stunden glitten wir über die unterseeische Schwelle, die die andalusischen
Berge mit dem Gebirge Nordafrikas verbindet und eine unsichtbare aber scharfe
Grenzscheide zwischen zwei Meeren errichtet: dem blauen lächelnden Mittel¬
meere, dessen Wärmegrad (15 bis 17 Grad Neaumur) uns erlaubte, jetzt im
November täglich zu baden, und jenem Zipfel des Atlantischen Ozeans, der
wie ein schmollend gespitzter Mund uns Strömung und See und kalten Wind
entgegenblies, sodaß wir trotz sorgfältiger Vermummung heimlich froren. Der
Himmel war hell, fast weißblau, ohne die verzehrende Tiefe, die der südliche
Himmel sonst hat, und an Stelle der steilen blauenden Küsten mit endlos
hintereinander aufragenden Berggipfeln wies uns Spanien hier im Norden
wellenförmige Unterländer und eine bald flache und sandige, bald in gelben,
vom Meere benagten Lehmkuchen vorspringende Küste.

Im Laufe des Vormittags kam die See allmählich in gute Laune, so wie
das Mittelmeer auch hie und da in üble geraten kann. Dieses begann damit,
daß sich die Sonne bemerkbar zu machen begann; irritierend wie ein böses
Auge saß sie an dem kalten Himmel und stach. Dann legte sich der Wind
vor ihr auf den Bauch, kroch wie an den Wellen hin und blieb zuletzt ganz
full liegen. Und die Wogen sanken zusammen wie lange Dünungen, die
schwächer und schwächer wurden, je wärmer und einschläfernder sich die Luft
auf sie senkte. Der Himmel ging von weißlicher Milchfarbe zU blauem, zu


Line Mittelmeerfahrt nach Spanien

Im übrigen scheint das Ausland von dem gesamten Geschäftsleben dieser
„englisch betriebsamen" Stadt Besitz ergriffen zu haben; alle großen Handels¬
häuser sind in französischen, englischen, namentlich aber deutschen Händen. In
allen südeuropüischen Städten trifft man ja deutsche Kaufleute, oft in ganzen
Kolonien, die sich selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen zu behaupten
wissen. Den Rest unsers Aufenthalts verbringen wir auf den Straßen umher¬
schlendernd. Wir trinken Muskateller und essen Malagatrauben und besteigen
den hohen Felsen Gibralfaro mit den maurischen Ruinen, wo das ärmste Volk
wohnt. Die Weiber da oben sagen uns grauenhafte Dinge im Vertrauen
darauf, daß wir sie nicht verstehen, und lachen einander verständnisvoll zu.
Als ich aber, um ihnen Einhalt zu tun, zeige, daß ich sie verstanden habe, treiben
sie es noch ärger und sagen etwas sehr Gemeines über uns beide. Da werde
ich zornig und gebe ihnen einen häßlichen Namen, und sie schreien entsetzlich
und bücken sich, um Steine aufzuheben. Wir sputen uns, den Berg hinab¬
zukommen, während böse Worte und kleine Steine hinter uns hersausen.

Die weiße Stadt

Und wieder sind wir auf dem Wasser. Wir verließen Malaga um Mitter¬
nacht, lautlos, wie wir gekommen waren, passierten Gibraltar und steuerten
westlich. Die afrikanische Küste verzog sich gegen Süden, hinter uns versank
die Felsenfestung Fuß um Fuß in den Wogen, starke See und kalter Wind
verrieten, daß wir uns dem Atlantischen Ozean näherten. Vor nicht mehr als
zwei Stunden glitten wir über die unterseeische Schwelle, die die andalusischen
Berge mit dem Gebirge Nordafrikas verbindet und eine unsichtbare aber scharfe
Grenzscheide zwischen zwei Meeren errichtet: dem blauen lächelnden Mittel¬
meere, dessen Wärmegrad (15 bis 17 Grad Neaumur) uns erlaubte, jetzt im
November täglich zu baden, und jenem Zipfel des Atlantischen Ozeans, der
wie ein schmollend gespitzter Mund uns Strömung und See und kalten Wind
entgegenblies, sodaß wir trotz sorgfältiger Vermummung heimlich froren. Der
Himmel war hell, fast weißblau, ohne die verzehrende Tiefe, die der südliche
Himmel sonst hat, und an Stelle der steilen blauenden Küsten mit endlos
hintereinander aufragenden Berggipfeln wies uns Spanien hier im Norden
wellenförmige Unterländer und eine bald flache und sandige, bald in gelben,
vom Meere benagten Lehmkuchen vorspringende Küste.

Im Laufe des Vormittags kam die See allmählich in gute Laune, so wie
das Mittelmeer auch hie und da in üble geraten kann. Dieses begann damit,
daß sich die Sonne bemerkbar zu machen begann; irritierend wie ein böses
Auge saß sie an dem kalten Himmel und stach. Dann legte sich der Wind
vor ihr auf den Bauch, kroch wie an den Wellen hin und blieb zuletzt ganz
full liegen. Und die Wogen sanken zusammen wie lange Dünungen, die
schwächer und schwächer wurden, je wärmer und einschläfernder sich die Luft
auf sie senkte. Der Himmel ging von weißlicher Milchfarbe zU blauem, zu


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[0367] Line Mittelmeerfahrt nach Spanien Im übrigen scheint das Ausland von dem gesamten Geschäftsleben dieser „englisch betriebsamen" Stadt Besitz ergriffen zu haben; alle großen Handels¬ häuser sind in französischen, englischen, namentlich aber deutschen Händen. In allen südeuropüischen Städten trifft man ja deutsche Kaufleute, oft in ganzen Kolonien, die sich selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen zu behaupten wissen. Den Rest unsers Aufenthalts verbringen wir auf den Straßen umher¬ schlendernd. Wir trinken Muskateller und essen Malagatrauben und besteigen den hohen Felsen Gibralfaro mit den maurischen Ruinen, wo das ärmste Volk wohnt. Die Weiber da oben sagen uns grauenhafte Dinge im Vertrauen darauf, daß wir sie nicht verstehen, und lachen einander verständnisvoll zu. Als ich aber, um ihnen Einhalt zu tun, zeige, daß ich sie verstanden habe, treiben sie es noch ärger und sagen etwas sehr Gemeines über uns beide. Da werde ich zornig und gebe ihnen einen häßlichen Namen, und sie schreien entsetzlich und bücken sich, um Steine aufzuheben. Wir sputen uns, den Berg hinab¬ zukommen, während böse Worte und kleine Steine hinter uns hersausen. Die weiße Stadt Und wieder sind wir auf dem Wasser. Wir verließen Malaga um Mitter¬ nacht, lautlos, wie wir gekommen waren, passierten Gibraltar und steuerten westlich. Die afrikanische Küste verzog sich gegen Süden, hinter uns versank die Felsenfestung Fuß um Fuß in den Wogen, starke See und kalter Wind verrieten, daß wir uns dem Atlantischen Ozean näherten. Vor nicht mehr als zwei Stunden glitten wir über die unterseeische Schwelle, die die andalusischen Berge mit dem Gebirge Nordafrikas verbindet und eine unsichtbare aber scharfe Grenzscheide zwischen zwei Meeren errichtet: dem blauen lächelnden Mittel¬ meere, dessen Wärmegrad (15 bis 17 Grad Neaumur) uns erlaubte, jetzt im November täglich zu baden, und jenem Zipfel des Atlantischen Ozeans, der wie ein schmollend gespitzter Mund uns Strömung und See und kalten Wind entgegenblies, sodaß wir trotz sorgfältiger Vermummung heimlich froren. Der Himmel war hell, fast weißblau, ohne die verzehrende Tiefe, die der südliche Himmel sonst hat, und an Stelle der steilen blauenden Küsten mit endlos hintereinander aufragenden Berggipfeln wies uns Spanien hier im Norden wellenförmige Unterländer und eine bald flache und sandige, bald in gelben, vom Meere benagten Lehmkuchen vorspringende Küste. Im Laufe des Vormittags kam die See allmählich in gute Laune, so wie das Mittelmeer auch hie und da in üble geraten kann. Dieses begann damit, daß sich die Sonne bemerkbar zu machen begann; irritierend wie ein böses Auge saß sie an dem kalten Himmel und stach. Dann legte sich der Wind vor ihr auf den Bauch, kroch wie an den Wellen hin und blieb zuletzt ganz full liegen. Und die Wogen sanken zusammen wie lange Dünungen, die schwächer und schwächer wurden, je wärmer und einschläfernder sich die Luft auf sie senkte. Der Himmel ging von weißlicher Milchfarbe zU blauem, zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/367>, abgerufen am 29.04.2024.