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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line Mittelmeerfahrt nach Spanien

purpurgesättigtem Azur über; es schien, als sauge er Tiefe aus der Unendlich¬
keit des Raumes. Unmerklich stieg er durch Violett und Lila, wurde zu heftigem
Blutrot, zu hitzestrahlendem Feueräther und zuhöchst droben zur Sonne selbst,
die wie ein toter Fleck erschien in den weißglühenden Lichtmassen, das einzige,
bei dem das Auge zu verweilen vermochte. Das ganze Himmelsgewölbe
zitterte Sonne aus, in starkem Licht und tiefen Würmetönen, während die
Sonne selbst wie eine verlassene Puppenhülse mitten droben am Firmament
hing. starrte man aber hinein in ihre matte Haut, so floß alsobald alles
milchweiß auseinander, und das Auge vermochte statt Bilder nur schmerzende
Lichtmassen einzufangen.

Über Himmel und See legte sich ein Glanz der Verzückung, ein Schimmer
großer Freude. Vielleicht griff er auch in die Tiefe hinab, denn fliegende
Fische tauchten auf, blitzten eine silberhelle Sekunde über dem Wasser und
verschwanden wieder; Thunfische schnitten da und dort wie schwarze Dreh¬
scheiben einzeln durch die Wogen oder "hutschten" wie Schaukelpferde in langen
Reihen über das Meer dahin; hie und da stieg ein Strahl empor, stand in
der Luft und verzog sich als feiner weißer Staubregen. Es war dort, wo
die großen Wale gingen.

Zahlreiche Dampfer nehmen denselben Weg wie wir oder kommen uns
entgegen oder steuern südlich längs der afrikanischen Küste. Einer steht mit
dem Steven ganz oben auf dem Land, ein kleines eifriges Schweizerboot zerrt
unermüdlich daran, ohne etwas auszurichten -- wie eine Ameise, die sich mit
einem toten Käfer abmüht. Die dänische Flagge auf dem Dükerboot brennt
wie roter Mohn in der Sonne.

Weit vor uns ragen unzählige Rauchsäulen wie Pinien gegen den Himmel,
als lägen dort Hunderte von Fabriken. Aber dieses ist eine der Weltstraßen
des Ozeans, unter der nächsten Rauchpinie erhebt sich ein Schiffsrumpf und
dampft uns entgegen, gleitet vorüber und verschwindet in der Meerenge -- und
noch einer und wieder einer, bis ins Unendliche. Schwarze Stahlungetüme
von 10000 Tonnen wälzen sich stöhnend mit Hilfe zweier Schrauben daher,
stoßen zu beiden Seiten schmutziggelbes Wasser aus und hinterlassen einen
Kielwasserstreifen von Schlacken, Küchenabfällen und glänzendem Kohlenstaub,
über dem ein erstickender Rauchschweif hängt, blauschwarz wie eine Gewitter¬
wolke. Das sind die großen Kohlendampfer nach Gibraltar, Malta und
Port Said.

Es leuchtet festlich über der Meeresfläche von Weißen Perlenfarben und
Vergoldung, blankem Metall und Kristallglas, widergespiegelt von unzähligen
Ochsenaugen. Aus den vier Schornsteinen des mächtigen Schiffsrumpfs wogt
kein Rauch, sondern nur Wärme, auf den übereinanderliegenden Promenade¬
decks wandeln sommerlich geputzte Menschen oder liegen hingeworfen in niedrigen
Streckstühlen; schwarzgekleidete Kellner laufen zwischen ihnen umher. Während
das Schiff dicht an ihnen vorbeigleitet, steigen aus seinem Innern die Töne


Line Mittelmeerfahrt nach Spanien

purpurgesättigtem Azur über; es schien, als sauge er Tiefe aus der Unendlich¬
keit des Raumes. Unmerklich stieg er durch Violett und Lila, wurde zu heftigem
Blutrot, zu hitzestrahlendem Feueräther und zuhöchst droben zur Sonne selbst,
die wie ein toter Fleck erschien in den weißglühenden Lichtmassen, das einzige,
bei dem das Auge zu verweilen vermochte. Das ganze Himmelsgewölbe
zitterte Sonne aus, in starkem Licht und tiefen Würmetönen, während die
Sonne selbst wie eine verlassene Puppenhülse mitten droben am Firmament
hing. starrte man aber hinein in ihre matte Haut, so floß alsobald alles
milchweiß auseinander, und das Auge vermochte statt Bilder nur schmerzende
Lichtmassen einzufangen.

Über Himmel und See legte sich ein Glanz der Verzückung, ein Schimmer
großer Freude. Vielleicht griff er auch in die Tiefe hinab, denn fliegende
Fische tauchten auf, blitzten eine silberhelle Sekunde über dem Wasser und
verschwanden wieder; Thunfische schnitten da und dort wie schwarze Dreh¬
scheiben einzeln durch die Wogen oder „hutschten" wie Schaukelpferde in langen
Reihen über das Meer dahin; hie und da stieg ein Strahl empor, stand in
der Luft und verzog sich als feiner weißer Staubregen. Es war dort, wo
die großen Wale gingen.

Zahlreiche Dampfer nehmen denselben Weg wie wir oder kommen uns
entgegen oder steuern südlich längs der afrikanischen Küste. Einer steht mit
dem Steven ganz oben auf dem Land, ein kleines eifriges Schweizerboot zerrt
unermüdlich daran, ohne etwas auszurichten — wie eine Ameise, die sich mit
einem toten Käfer abmüht. Die dänische Flagge auf dem Dükerboot brennt
wie roter Mohn in der Sonne.

Weit vor uns ragen unzählige Rauchsäulen wie Pinien gegen den Himmel,
als lägen dort Hunderte von Fabriken. Aber dieses ist eine der Weltstraßen
des Ozeans, unter der nächsten Rauchpinie erhebt sich ein Schiffsrumpf und
dampft uns entgegen, gleitet vorüber und verschwindet in der Meerenge — und
noch einer und wieder einer, bis ins Unendliche. Schwarze Stahlungetüme
von 10000 Tonnen wälzen sich stöhnend mit Hilfe zweier Schrauben daher,
stoßen zu beiden Seiten schmutziggelbes Wasser aus und hinterlassen einen
Kielwasserstreifen von Schlacken, Küchenabfällen und glänzendem Kohlenstaub,
über dem ein erstickender Rauchschweif hängt, blauschwarz wie eine Gewitter¬
wolke. Das sind die großen Kohlendampfer nach Gibraltar, Malta und
Port Said.

Es leuchtet festlich über der Meeresfläche von Weißen Perlenfarben und
Vergoldung, blankem Metall und Kristallglas, widergespiegelt von unzähligen
Ochsenaugen. Aus den vier Schornsteinen des mächtigen Schiffsrumpfs wogt
kein Rauch, sondern nur Wärme, auf den übereinanderliegenden Promenade¬
decks wandeln sommerlich geputzte Menschen oder liegen hingeworfen in niedrigen
Streckstühlen; schwarzgekleidete Kellner laufen zwischen ihnen umher. Während
das Schiff dicht an ihnen vorbeigleitet, steigen aus seinem Innern die Töne


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[0368] Line Mittelmeerfahrt nach Spanien purpurgesättigtem Azur über; es schien, als sauge er Tiefe aus der Unendlich¬ keit des Raumes. Unmerklich stieg er durch Violett und Lila, wurde zu heftigem Blutrot, zu hitzestrahlendem Feueräther und zuhöchst droben zur Sonne selbst, die wie ein toter Fleck erschien in den weißglühenden Lichtmassen, das einzige, bei dem das Auge zu verweilen vermochte. Das ganze Himmelsgewölbe zitterte Sonne aus, in starkem Licht und tiefen Würmetönen, während die Sonne selbst wie eine verlassene Puppenhülse mitten droben am Firmament hing. starrte man aber hinein in ihre matte Haut, so floß alsobald alles milchweiß auseinander, und das Auge vermochte statt Bilder nur schmerzende Lichtmassen einzufangen. Über Himmel und See legte sich ein Glanz der Verzückung, ein Schimmer großer Freude. Vielleicht griff er auch in die Tiefe hinab, denn fliegende Fische tauchten auf, blitzten eine silberhelle Sekunde über dem Wasser und verschwanden wieder; Thunfische schnitten da und dort wie schwarze Dreh¬ scheiben einzeln durch die Wogen oder „hutschten" wie Schaukelpferde in langen Reihen über das Meer dahin; hie und da stieg ein Strahl empor, stand in der Luft und verzog sich als feiner weißer Staubregen. Es war dort, wo die großen Wale gingen. Zahlreiche Dampfer nehmen denselben Weg wie wir oder kommen uns entgegen oder steuern südlich längs der afrikanischen Küste. Einer steht mit dem Steven ganz oben auf dem Land, ein kleines eifriges Schweizerboot zerrt unermüdlich daran, ohne etwas auszurichten — wie eine Ameise, die sich mit einem toten Käfer abmüht. Die dänische Flagge auf dem Dükerboot brennt wie roter Mohn in der Sonne. Weit vor uns ragen unzählige Rauchsäulen wie Pinien gegen den Himmel, als lägen dort Hunderte von Fabriken. Aber dieses ist eine der Weltstraßen des Ozeans, unter der nächsten Rauchpinie erhebt sich ein Schiffsrumpf und dampft uns entgegen, gleitet vorüber und verschwindet in der Meerenge — und noch einer und wieder einer, bis ins Unendliche. Schwarze Stahlungetüme von 10000 Tonnen wälzen sich stöhnend mit Hilfe zweier Schrauben daher, stoßen zu beiden Seiten schmutziggelbes Wasser aus und hinterlassen einen Kielwasserstreifen von Schlacken, Küchenabfällen und glänzendem Kohlenstaub, über dem ein erstickender Rauchschweif hängt, blauschwarz wie eine Gewitter¬ wolke. Das sind die großen Kohlendampfer nach Gibraltar, Malta und Port Said. Es leuchtet festlich über der Meeresfläche von Weißen Perlenfarben und Vergoldung, blankem Metall und Kristallglas, widergespiegelt von unzähligen Ochsenaugen. Aus den vier Schornsteinen des mächtigen Schiffsrumpfs wogt kein Rauch, sondern nur Wärme, auf den übereinanderliegenden Promenade¬ decks wandeln sommerlich geputzte Menschen oder liegen hingeworfen in niedrigen Streckstühlen; schwarzgekleidete Kellner laufen zwischen ihnen umher. Während das Schiff dicht an ihnen vorbeigleitet, steigen aus seinem Innern die Töne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/368>, abgerufen am 14.05.2024.