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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Der Antiquar

großer, der Geschichte angehöriger Persönlichkeiten uns deren Taten erinnern
dürfen. Viel Schönes und Sehenswertes wurde uns zu schauen geboten; nie
und nirgends wollten wir uns durch den Gedanken, daß noch mehr zu sehen
war, die Freude an dem zunächst erreichbaren verderben lassen. So ist nur an¬
genehme Erinnerung an die Sammlung gekaufter und selbst aufgenommener
Bilder geknüpft, die den mit jeder vernünftigen Reise verbundnen Genuß rück¬
schauender Betrachtung wesentlich vertiefen.




Der Antiquar
Julius R. Haarhaus von(Fortsetzung)

> er Antiquar hatte das Rezept des Helmstedter Gelehrten schon min¬
destens ein dutzendmal gelesen. Nicht etwa, daß er an die Wirkung
des Mittels geglaubt hätte! Beileibe nicht! Ein Mann, der seinen
Geist an der literarischen und philosophischen Hinterlassenschaft des
Altertums geschult hat, ist gegen den Zauber, den das Übernatür-
Iliche auf unbefangne Menschen ausübt, gründlich gefeit. Hatte sich
das Mittelalter, als es die kostbare Erbschaft der Antike antrat, weniger an die
philologisch-grammatikalische Schale und mehr an den geistigen Kern der Klassiker
gehalten, so würde es die Irrwege mystisch-hyperphysischer Spekulationen vermieden
und die Kulturentwicklung nicht um mehrere Jahrhunderte aufgehalten haben.
Allerdings -- das mußte sich auch Polykarp Seyler immer wieder fragen -- wo
lagen in den verschiednen Perioden der Menschheitsgeschichte bei den höher organi¬
sierten Individuen die Grenzen der Naturerkenntnis? Sollte es nicht zu jeder Zeit
Männer gegeben haben, deren geistigem Auge sich die rätselhaften Kräfte, die das
All beseelen und bewegen, williger enthüllten als andern? Schienen nicht auch in
unsern Tagen die Entdeckungen eines Röntgen, eines Hertz, eines Marconi die
ganze mühsam erworbne Schulweisheit unsrer physikalischen Wissenschaft über den
Haufen zu werfen? Vielleicht war der alte Beireis auch so einer gewesen, dem sich
der Zauberberg von selber auftat, an dessen Eingang Tausende vergebens stehn und
ihr "Scham, öffne dich!" rufen?

Gewiß, der kritiklose Glaube an die tiefern Naturkenntnisse des Helmstedter
Professors wäre lächerlich und eines gebildeten Mannes unwürdig gewesen. Aber
daß Beireis tatsächlich in mancher Hinsicht seiner Zeit weit voraus gewesen war,
dafür sprachen seine von glaubwürdigen Zeugen verbürgten wissenschaftlichen Erfolge
und Entdeckungen.

Hier war nun ein Rezept von seiner Hand. War es wirklich das ernstzu¬
nehmende Resultat langjähriger Versuche, oder war es eine jener Mystifikationen,
in denen sich der Sonderling gefiel, wenn es galt, mißgünstigen Kollegen, lästigen
Besuchern oder dreisten Plagiatoren ein Schnippchen zu schlagen? Seyler gestand
sich ein, daß es einen eignen Reiz haben müsse, dieses Rätsel durch eine vor¬
urteilslos unternommne Probe zu lösen. Erwies sich das Mittel als unwirksam,
so war der Mystifikator wieder einmal entlarvt, zeigte es sich wirksam, um so besser,


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großer, der Geschichte angehöriger Persönlichkeiten uns deren Taten erinnern
dürfen. Viel Schönes und Sehenswertes wurde uns zu schauen geboten; nie
und nirgends wollten wir uns durch den Gedanken, daß noch mehr zu sehen
war, die Freude an dem zunächst erreichbaren verderben lassen. So ist nur an¬
genehme Erinnerung an die Sammlung gekaufter und selbst aufgenommener
Bilder geknüpft, die den mit jeder vernünftigen Reise verbundnen Genuß rück¬
schauender Betrachtung wesentlich vertiefen.




Der Antiquar
Julius R. Haarhaus von(Fortsetzung)

> er Antiquar hatte das Rezept des Helmstedter Gelehrten schon min¬
destens ein dutzendmal gelesen. Nicht etwa, daß er an die Wirkung
des Mittels geglaubt hätte! Beileibe nicht! Ein Mann, der seinen
Geist an der literarischen und philosophischen Hinterlassenschaft des
Altertums geschult hat, ist gegen den Zauber, den das Übernatür-
Iliche auf unbefangne Menschen ausübt, gründlich gefeit. Hatte sich
das Mittelalter, als es die kostbare Erbschaft der Antike antrat, weniger an die
philologisch-grammatikalische Schale und mehr an den geistigen Kern der Klassiker
gehalten, so würde es die Irrwege mystisch-hyperphysischer Spekulationen vermieden
und die Kulturentwicklung nicht um mehrere Jahrhunderte aufgehalten haben.
Allerdings — das mußte sich auch Polykarp Seyler immer wieder fragen — wo
lagen in den verschiednen Perioden der Menschheitsgeschichte bei den höher organi¬
sierten Individuen die Grenzen der Naturerkenntnis? Sollte es nicht zu jeder Zeit
Männer gegeben haben, deren geistigem Auge sich die rätselhaften Kräfte, die das
All beseelen und bewegen, williger enthüllten als andern? Schienen nicht auch in
unsern Tagen die Entdeckungen eines Röntgen, eines Hertz, eines Marconi die
ganze mühsam erworbne Schulweisheit unsrer physikalischen Wissenschaft über den
Haufen zu werfen? Vielleicht war der alte Beireis auch so einer gewesen, dem sich
der Zauberberg von selber auftat, an dessen Eingang Tausende vergebens stehn und
ihr „Scham, öffne dich!" rufen?

Gewiß, der kritiklose Glaube an die tiefern Naturkenntnisse des Helmstedter
Professors wäre lächerlich und eines gebildeten Mannes unwürdig gewesen. Aber
daß Beireis tatsächlich in mancher Hinsicht seiner Zeit weit voraus gewesen war,
dafür sprachen seine von glaubwürdigen Zeugen verbürgten wissenschaftlichen Erfolge
und Entdeckungen.

Hier war nun ein Rezept von seiner Hand. War es wirklich das ernstzu¬
nehmende Resultat langjähriger Versuche, oder war es eine jener Mystifikationen,
in denen sich der Sonderling gefiel, wenn es galt, mißgünstigen Kollegen, lästigen
Besuchern oder dreisten Plagiatoren ein Schnippchen zu schlagen? Seyler gestand
sich ein, daß es einen eignen Reiz haben müsse, dieses Rätsel durch eine vor¬
urteilslos unternommne Probe zu lösen. Erwies sich das Mittel als unwirksam,
so war der Mystifikator wieder einmal entlarvt, zeigte es sich wirksam, um so besser,


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[0426] Der Antiquar großer, der Geschichte angehöriger Persönlichkeiten uns deren Taten erinnern dürfen. Viel Schönes und Sehenswertes wurde uns zu schauen geboten; nie und nirgends wollten wir uns durch den Gedanken, daß noch mehr zu sehen war, die Freude an dem zunächst erreichbaren verderben lassen. So ist nur an¬ genehme Erinnerung an die Sammlung gekaufter und selbst aufgenommener Bilder geknüpft, die den mit jeder vernünftigen Reise verbundnen Genuß rück¬ schauender Betrachtung wesentlich vertiefen. Der Antiquar Julius R. Haarhaus von(Fortsetzung) > er Antiquar hatte das Rezept des Helmstedter Gelehrten schon min¬ destens ein dutzendmal gelesen. Nicht etwa, daß er an die Wirkung des Mittels geglaubt hätte! Beileibe nicht! Ein Mann, der seinen Geist an der literarischen und philosophischen Hinterlassenschaft des Altertums geschult hat, ist gegen den Zauber, den das Übernatür- Iliche auf unbefangne Menschen ausübt, gründlich gefeit. Hatte sich das Mittelalter, als es die kostbare Erbschaft der Antike antrat, weniger an die philologisch-grammatikalische Schale und mehr an den geistigen Kern der Klassiker gehalten, so würde es die Irrwege mystisch-hyperphysischer Spekulationen vermieden und die Kulturentwicklung nicht um mehrere Jahrhunderte aufgehalten haben. Allerdings — das mußte sich auch Polykarp Seyler immer wieder fragen — wo lagen in den verschiednen Perioden der Menschheitsgeschichte bei den höher organi¬ sierten Individuen die Grenzen der Naturerkenntnis? Sollte es nicht zu jeder Zeit Männer gegeben haben, deren geistigem Auge sich die rätselhaften Kräfte, die das All beseelen und bewegen, williger enthüllten als andern? Schienen nicht auch in unsern Tagen die Entdeckungen eines Röntgen, eines Hertz, eines Marconi die ganze mühsam erworbne Schulweisheit unsrer physikalischen Wissenschaft über den Haufen zu werfen? Vielleicht war der alte Beireis auch so einer gewesen, dem sich der Zauberberg von selber auftat, an dessen Eingang Tausende vergebens stehn und ihr „Scham, öffne dich!" rufen? Gewiß, der kritiklose Glaube an die tiefern Naturkenntnisse des Helmstedter Professors wäre lächerlich und eines gebildeten Mannes unwürdig gewesen. Aber daß Beireis tatsächlich in mancher Hinsicht seiner Zeit weit voraus gewesen war, dafür sprachen seine von glaubwürdigen Zeugen verbürgten wissenschaftlichen Erfolge und Entdeckungen. Hier war nun ein Rezept von seiner Hand. War es wirklich das ernstzu¬ nehmende Resultat langjähriger Versuche, oder war es eine jener Mystifikationen, in denen sich der Sonderling gefiel, wenn es galt, mißgünstigen Kollegen, lästigen Besuchern oder dreisten Plagiatoren ein Schnippchen zu schlagen? Seyler gestand sich ein, daß es einen eignen Reiz haben müsse, dieses Rätsel durch eine vor¬ urteilslos unternommne Probe zu lösen. Erwies sich das Mittel als unwirksam, so war der Mystifikator wieder einmal entlarvt, zeigte es sich wirksam, um so besser,

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/426>, abgerufen am 28.04.2024.