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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

bereitet werden, daß gegen fünf Uhr noch eine andre Dame, "eine entfernte Ver¬
wandte", erscheinen werde, die natürlich nicht zu wissen brauche, welcher Veranlassung
er -- Seyler -- den Besuch Fräulein Rosaliens verdanke. Sie möge deshalb er¬
lauben, daß er sie der andern Dame ebenfalls als eine entfernte Verwandte vorstelle.
Die Tochter des Kgl. Preußischen Kauzleirats mußte sich nun mit der Unterhaltung
Mthchens begnügen, denn Herr Polykarp Seyler schien plötzlich das dringende
Bedürfnis zu empfinden, das Arrangement des Schaufensters von Grund auf zu
ändern und die Kupferstiche, die bisher auf der rechten Seite gehangen hatten, mit
denen auf der linken Seite zu vertauschen. Er war übrigens jetzt bei weitem nicht
so aufgeregt wie vor einer Stunde, was vielleicht daher kam, daß er den herben
Reizen Rosaliens Geschmack abgewonnen hatte und sich der Hoffnung hingab, Frau
Minna Krause möchte ihm weniger gefallen und deshalb von vornherein für ihn
nicht weiter in Betracht kommen. Eins wußte er jetzt schon: so pünktlich wie die
ehemalige Lehrerin war sie nicht. Fünf war längst vorüber, und noch immer ließ
sich in Reichenbachs Hof kein weißes Taschentuch sehen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

(K Reichsspiegel. aiser Wilhelm und König Eduard. Wilhelmshöhe und
Ischl. Agitationen für Wahlrechtsreform in Preußen. Herrn Spahns Rhein¬
bacher Rede.)

Der bedeutsamen Monarchenbegegnung in Swinemünde sind zwei weitere
gefolgt, in Wilhelmshöhe zwischen König Eduard und Kaiser Wilhelm, und in
Ischl zwischen König Eduard und Kaiser Franz Joseph. Schon bei Besprechung
der Zusammenkunft in Swinemünde wurde an dieser Stelle hervorgehoben, daß
der angekündigte Besuch König Eduards in Wilhelmshöhe im Zusammenhang
damit betrachtet werden müsse. Es handelt sich bei allen diesen Zusammenkünften
nicht um besondre Abmachungen und Neugruppierungen der Mächte, sondern um
freundschaftliche Aussprachen über die gegebne Lage; ihre Bedeutung liegt lediglich
darin, daß sie zur Klärung beitragen und als Anzeichen dafür gelten können, daß
in der politischen Atmosphäre die Spannungen nachgelassen und die Wolken sich
verzogen haben.

Es ist nicht zu leugnen, daß der Besuch König Eduards bei seinem kaiserlichen
Neffen, so kurz das Zusammensein auch war, entschieden das größte Interesse er¬
regt hat. Es sind nun einmal die beiden Herrscherpersönlichkeiten, die bisher die
Blicke der Welt am meisten auf sich gelenkt haben. Auf beide trifft die Erfahrung
zu, daß die monarchische Würde immer noch -- oder vielmehr eben jetzt -- sehr
viel mehr bedeutet, als in Verfassungsparagraphen umschrieben werden kann. Es
kommt nur darauf an, daß der Träger der Krone ein starkes Gefühl und ein
lebendiges Bewußtsein hat für die Regungen der Volksseele, die sich in der Per-
sönlichen des höchsten Vertreters der irdischen Gewalt gern spiegeln möchte. Jede
Eifersucht auf die feste Jnnehaltung der Schranken, die Verfassung und Gesetz dieser
irdischen Gewalt gezogen haben, verschwindet gegenüber der volkstümlichen Auf¬
fassung des Herrscherberufs, die ganz ihre eignen Wege geht und ihre besondern


Maßgebliches und Unmaßgebliches

bereitet werden, daß gegen fünf Uhr noch eine andre Dame, „eine entfernte Ver¬
wandte", erscheinen werde, die natürlich nicht zu wissen brauche, welcher Veranlassung
er — Seyler — den Besuch Fräulein Rosaliens verdanke. Sie möge deshalb er¬
lauben, daß er sie der andern Dame ebenfalls als eine entfernte Verwandte vorstelle.
Die Tochter des Kgl. Preußischen Kauzleirats mußte sich nun mit der Unterhaltung
Mthchens begnügen, denn Herr Polykarp Seyler schien plötzlich das dringende
Bedürfnis zu empfinden, das Arrangement des Schaufensters von Grund auf zu
ändern und die Kupferstiche, die bisher auf der rechten Seite gehangen hatten, mit
denen auf der linken Seite zu vertauschen. Er war übrigens jetzt bei weitem nicht
so aufgeregt wie vor einer Stunde, was vielleicht daher kam, daß er den herben
Reizen Rosaliens Geschmack abgewonnen hatte und sich der Hoffnung hingab, Frau
Minna Krause möchte ihm weniger gefallen und deshalb von vornherein für ihn
nicht weiter in Betracht kommen. Eins wußte er jetzt schon: so pünktlich wie die
ehemalige Lehrerin war sie nicht. Fünf war längst vorüber, und noch immer ließ
sich in Reichenbachs Hof kein weißes Taschentuch sehen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

(K Reichsspiegel. aiser Wilhelm und König Eduard. Wilhelmshöhe und
Ischl. Agitationen für Wahlrechtsreform in Preußen. Herrn Spahns Rhein¬
bacher Rede.)

Der bedeutsamen Monarchenbegegnung in Swinemünde sind zwei weitere
gefolgt, in Wilhelmshöhe zwischen König Eduard und Kaiser Wilhelm, und in
Ischl zwischen König Eduard und Kaiser Franz Joseph. Schon bei Besprechung
der Zusammenkunft in Swinemünde wurde an dieser Stelle hervorgehoben, daß
der angekündigte Besuch König Eduards in Wilhelmshöhe im Zusammenhang
damit betrachtet werden müsse. Es handelt sich bei allen diesen Zusammenkünften
nicht um besondre Abmachungen und Neugruppierungen der Mächte, sondern um
freundschaftliche Aussprachen über die gegebne Lage; ihre Bedeutung liegt lediglich
darin, daß sie zur Klärung beitragen und als Anzeichen dafür gelten können, daß
in der politischen Atmosphäre die Spannungen nachgelassen und die Wolken sich
verzogen haben.

Es ist nicht zu leugnen, daß der Besuch König Eduards bei seinem kaiserlichen
Neffen, so kurz das Zusammensein auch war, entschieden das größte Interesse er¬
regt hat. Es sind nun einmal die beiden Herrscherpersönlichkeiten, die bisher die
Blicke der Welt am meisten auf sich gelenkt haben. Auf beide trifft die Erfahrung
zu, daß die monarchische Würde immer noch — oder vielmehr eben jetzt — sehr
viel mehr bedeutet, als in Verfassungsparagraphen umschrieben werden kann. Es
kommt nur darauf an, daß der Träger der Krone ein starkes Gefühl und ein
lebendiges Bewußtsein hat für die Regungen der Volksseele, die sich in der Per-
sönlichen des höchsten Vertreters der irdischen Gewalt gern spiegeln möchte. Jede
Eifersucht auf die feste Jnnehaltung der Schranken, die Verfassung und Gesetz dieser
irdischen Gewalt gezogen haben, verschwindet gegenüber der volkstümlichen Auf¬
fassung des Herrscherberufs, die ganz ihre eignen Wege geht und ihre besondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/434>, abgerufen am 29.04.2024.