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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Einquartierung

Eine sehr niedliche kleine Geschichte muß ich noch berichten. Kam jüngst nach
Lauscha als Gast ein schönes Mädchen, blind seit seiner Geburt, mit strahlenden
blauen Augen, künstlichen Ersatzdecken, die die unglücklichen Augapfel zudeckten. Das
Mädchen hatte einen fröhlichen aber nichtsdestoweniger hartnäckigen Herzenswunsch.
Es ersehnte nicht etwa das Licht seiner Augen -- ganz gewiß nicht. Es hatte
sich seine eigne Welt inwendigen Schauens gebildet, in der es getrost sein Leben
zu Ende spinnen wollte. Es wollte nicht vor Bildern, die ihm fremd waren, er¬
schrecken und von den eignen Bildern seines bisherigen Besitzes als von Täuschungen
Abschied nehmen. Aber es hatte nun achtzehn oder neunzehn Jahre blane Augen
getragen und wollte, wenn die jetzigen Ersatzaugen verbraucht wären, dafür braune
haben. Ja ganz gewiß. Das wünschte sich das schöne Mädchen.

Ich weiß nicht, was mich an der kleinen Episode so sehr gerührt hat. War
es die heitere, naive Herzlichkeit -- war es der impulsive Änderungstricb -- war
es die stille seelische Kraft? Nichts sonst von großen UnWünschen, nur einmal statt
der blauen Augen braune Augen, die die Besitzerin ihrer Blindheit wegen nicht
einmal selber bewundern konnte!




Einquartierung
Georg Stellanus Von

> le von der Mochwitzer Einwohnerschaft seit Vormittag zehn Uhr sehn¬
lichst erwartete Einquartierung war endlich in der Mittagsstunde
eingetroffen: eine Schwadron kornblumenblauer, goldgelb geschnürter
Husaren mit mohnrotem Kalpak. Von der begeisterten männlichen
Jugend mit atemlosem Staunen empfangen, waren sie abgesessen und
! "Paketelweise" oder einzeln von den Wirten oder deren Abgesandten
im Triumph nach den Quartieren geleitet worden. Mochwitz hatte seit Menschen¬
gedenken keine Kavallerieeinquartieruug gehabt: es lag in einer teichreichen Gegend
abseits von der Heerstraße, und der soeben angelangten Schwadron würde auch
diesesmal eine der mehr zur Hand gelegnen Ortschaften angewiesen worden sein,
wenn nicht die Rücksicht auf die wünschenswerte weitläufige Unterbringung eines
zahlreichen höhern Kominandostabes eine Veränderung des Dislokationstableaus
veranlaßt hätte. Eine Veränderung, die ganz im Sinne der Mochwitzer war, denn
die Gemeinde war wohlhabend, und wo es galt, sich sehn zu lassen und rechtschaffne
Gastfreundschaft zu üben, tat man mit Freuden ein übriges.

Der Quartiermacher hatte sich nach Verteilung der Zettel entfernt, um die
Offiziere und den Wachtmeister nach deren Gehöften zu begleiten, und als schließlich
von der Mannschaft nur noch vier übrig waren, trat ein hübscher strammer Bauer¬
bengel, auf der Grenzscheide des Übergangs vom Jungen zum Jüngling, auf sie
zu: Un Sie, sagte er, Sie wern wohl vors Rote Vorwerk sin.

Jawohl, Anton, sagte der, der den Quartterzettel hatte, alle viere willn mer
hin, un du, du werscht wohl den Noten Vorwerk sei Schtift sin.

Ja, das war er, und sein Vater hatte ihn geschickt, um ihnen den nächsten
Weg zu "weisen", der durch den Busch ging. Ich heeße Friedrich August, und se
rufen mich August.


Einquartierung

Eine sehr niedliche kleine Geschichte muß ich noch berichten. Kam jüngst nach
Lauscha als Gast ein schönes Mädchen, blind seit seiner Geburt, mit strahlenden
blauen Augen, künstlichen Ersatzdecken, die die unglücklichen Augapfel zudeckten. Das
Mädchen hatte einen fröhlichen aber nichtsdestoweniger hartnäckigen Herzenswunsch.
Es ersehnte nicht etwa das Licht seiner Augen — ganz gewiß nicht. Es hatte
sich seine eigne Welt inwendigen Schauens gebildet, in der es getrost sein Leben
zu Ende spinnen wollte. Es wollte nicht vor Bildern, die ihm fremd waren, er¬
schrecken und von den eignen Bildern seines bisherigen Besitzes als von Täuschungen
Abschied nehmen. Aber es hatte nun achtzehn oder neunzehn Jahre blane Augen
getragen und wollte, wenn die jetzigen Ersatzaugen verbraucht wären, dafür braune
haben. Ja ganz gewiß. Das wünschte sich das schöne Mädchen.

Ich weiß nicht, was mich an der kleinen Episode so sehr gerührt hat. War
es die heitere, naive Herzlichkeit — war es der impulsive Änderungstricb — war
es die stille seelische Kraft? Nichts sonst von großen UnWünschen, nur einmal statt
der blauen Augen braune Augen, die die Besitzerin ihrer Blindheit wegen nicht
einmal selber bewundern konnte!




Einquartierung
Georg Stellanus Von

> le von der Mochwitzer Einwohnerschaft seit Vormittag zehn Uhr sehn¬
lichst erwartete Einquartierung war endlich in der Mittagsstunde
eingetroffen: eine Schwadron kornblumenblauer, goldgelb geschnürter
Husaren mit mohnrotem Kalpak. Von der begeisterten männlichen
Jugend mit atemlosem Staunen empfangen, waren sie abgesessen und
! „Paketelweise" oder einzeln von den Wirten oder deren Abgesandten
im Triumph nach den Quartieren geleitet worden. Mochwitz hatte seit Menschen¬
gedenken keine Kavallerieeinquartieruug gehabt: es lag in einer teichreichen Gegend
abseits von der Heerstraße, und der soeben angelangten Schwadron würde auch
diesesmal eine der mehr zur Hand gelegnen Ortschaften angewiesen worden sein,
wenn nicht die Rücksicht auf die wünschenswerte weitläufige Unterbringung eines
zahlreichen höhern Kominandostabes eine Veränderung des Dislokationstableaus
veranlaßt hätte. Eine Veränderung, die ganz im Sinne der Mochwitzer war, denn
die Gemeinde war wohlhabend, und wo es galt, sich sehn zu lassen und rechtschaffne
Gastfreundschaft zu üben, tat man mit Freuden ein übriges.

Der Quartiermacher hatte sich nach Verteilung der Zettel entfernt, um die
Offiziere und den Wachtmeister nach deren Gehöften zu begleiten, und als schließlich
von der Mannschaft nur noch vier übrig waren, trat ein hübscher strammer Bauer¬
bengel, auf der Grenzscheide des Übergangs vom Jungen zum Jüngling, auf sie
zu: Un Sie, sagte er, Sie wern wohl vors Rote Vorwerk sin.

Jawohl, Anton, sagte der, der den Quartterzettel hatte, alle viere willn mer
hin, un du, du werscht wohl den Noten Vorwerk sei Schtift sin.

Ja, das war er, und sein Vater hatte ihn geschickt, um ihnen den nächsten
Weg zu „weisen", der durch den Busch ging. Ich heeße Friedrich August, und se
rufen mich August.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/590>, abgerufen am 28.04.2024.