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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Irland als Dorn unter dem Panzer Englands
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cum wir Deutschen seufzen über die Schwierigkeiten, die uns die
drei Millionen Polen innerhalb unsrer Grenzen bereiten, so
können wir das Dichterwort vom Trost über Unglücksgenossen
auf uns anwenden. England hat mit seinen Iren ein ähnliches,
nur noch viel Schwierigeres Problem zu lösen. Seit Jahr¬
hunderten wälzt es den Sisyphusstein der irischen Frage den Berg hinauf,
und wenn es meint, ihn oben zu haben, so heißt es wieder: "Hurtig mit
Donnergepolter entrollt ihm der tückische Marmor." Ein solcher verhängnis¬
voller Augenblick ist eben jetzt wieder eingetreten. Die liberale Partei Eng¬
lands hat in den Parlamentswahlen vom Januar 1906 gesiegt und dabei
die Unterstützung der Iren genossen. Sie hat dabei Versprechungen gemacht;
Kenn sie auch viel vorsichtiger gewesen ist als Gladstone 1893 > der mit
seiner unseligen Homerulebill die Ansprüche der Iren womöglich noch ge¬
steigert, tatsächlich für diese nichts erreicht, seine Partei aber in den Abgrund
gestürzt hat, so kann sie sich doch von dieser verhängnisvollen Hinterlassen-
?chaise nicht gänzlich frei machen. Sie hat, seitdem sie wieder ans Ruder ge¬
kommen ist, schon zwei Entwürfe für die irische Frage vorgelegt: eine Skizze
durch Mr. Bryce, der, sobald die Iren seine Gedanken als unzulänglich zurück¬
gewiesen hatten, schleunigst das Staatssekretariat für Irland mit dem Botschafter-
Posten in Washington vertauschte; und ein fertiges Gesetz durch den jetzigen
Staatssekretär Mr. Birrell. Auch dieses ist von der irischen Nationalkonvention
sofort mit dem größten Hohn verworfen worden. Im englischen Parlament ist
die Entscheidung darüber weit hinausgeschoben worden. Die Konservativen find
Hre geschwornen Gegner, aber auch die Liberalen werden sie nicht genehmigen,
Kenn ihr einziger Zweck, die Zufriedenheit Irlands, nicht wenigstens ernstlich
dadurch gefördert wird.

Daran ist schon nicht mehr zu denken, denn das organisierte Jrentum,
die Hintkü Iiisn I^s^us, hat den Birrellschen Entwurf geradezu mit einer


Grenzboten III 1907 78


Irland als Dorn unter dem Panzer Englands
i

cum wir Deutschen seufzen über die Schwierigkeiten, die uns die
drei Millionen Polen innerhalb unsrer Grenzen bereiten, so
können wir das Dichterwort vom Trost über Unglücksgenossen
auf uns anwenden. England hat mit seinen Iren ein ähnliches,
nur noch viel Schwierigeres Problem zu lösen. Seit Jahr¬
hunderten wälzt es den Sisyphusstein der irischen Frage den Berg hinauf,
und wenn es meint, ihn oben zu haben, so heißt es wieder: „Hurtig mit
Donnergepolter entrollt ihm der tückische Marmor." Ein solcher verhängnis¬
voller Augenblick ist eben jetzt wieder eingetreten. Die liberale Partei Eng¬
lands hat in den Parlamentswahlen vom Januar 1906 gesiegt und dabei
die Unterstützung der Iren genossen. Sie hat dabei Versprechungen gemacht;
Kenn sie auch viel vorsichtiger gewesen ist als Gladstone 1893 > der mit
seiner unseligen Homerulebill die Ansprüche der Iren womöglich noch ge¬
steigert, tatsächlich für diese nichts erreicht, seine Partei aber in den Abgrund
gestürzt hat, so kann sie sich doch von dieser verhängnisvollen Hinterlassen-
?chaise nicht gänzlich frei machen. Sie hat, seitdem sie wieder ans Ruder ge¬
kommen ist, schon zwei Entwürfe für die irische Frage vorgelegt: eine Skizze
durch Mr. Bryce, der, sobald die Iren seine Gedanken als unzulänglich zurück¬
gewiesen hatten, schleunigst das Staatssekretariat für Irland mit dem Botschafter-
Posten in Washington vertauschte; und ein fertiges Gesetz durch den jetzigen
Staatssekretär Mr. Birrell. Auch dieses ist von der irischen Nationalkonvention
sofort mit dem größten Hohn verworfen worden. Im englischen Parlament ist
die Entscheidung darüber weit hinausgeschoben worden. Die Konservativen find
Hre geschwornen Gegner, aber auch die Liberalen werden sie nicht genehmigen,
Kenn ihr einziger Zweck, die Zufriedenheit Irlands, nicht wenigstens ernstlich
dadurch gefördert wird.

Daran ist schon nicht mehr zu denken, denn das organisierte Jrentum,
die Hintkü Iiisn I^s^us, hat den Birrellschen Entwurf geradezu mit einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/601>, abgerufen am 29.04.2024.