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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Neues von Seilliere und über Gobineau

Wirtschaftsführung, von Kochen und Nähen haben sie meist keine Ahnung.
Wer aber gesehn hat, mit welchem Eifer die Mädchen aus Arbeiterkreisen an
dem Unterricht in Hauswirtschaftsschulen teilnehmen, wo solche eingerichtet sind,
der wird sich auch darüber klar geworden sein, wie viel auf diesem Gebiete zu
erreichen ist. Es gibt kaum ein besseres Mittel, die materielle Lage der arbeitenden
Klassen zu heben, als die Erziehung der weiblichen Jugend zur Wirtschaftlich¬
keit, damit die Mädchen, wenn sie Frauen und Mütter werden, ihrer Aufgabe
gewachsen sind. In Süddeutschland ist man auf diesem Gebiete weit voraus,
besonders in Baden, wo dank der unermüdlichen Tätigkeit der edeln Gro߬
herzogin überall in Stadt und Land Frauenarbeitsschulen bestehn.




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! on den Kunstgriffen, die geschäftsmüßige Schlaue unter dem Stachel
der Konkurrenz erfunden hat, ist dieBezeichnung allbekannter Waren
mit neuen schönen Namen einer der wirksamsten. Taufe ein Fabri¬
kant sein mehr oder weniger harmloses Fruchtwasser "Sinalco",
! dann nimmt der Absatz so reißend zu, daß er nach wenigen Wochen
schon Pferd und Wagen anschaffen muß oder kann, die gleich den Bierwagen
den Allheiltrank den Kunden täglich vors Haus bringen. In der Literatur ists
nun nicht viel anders. So z. B.: was man früher Herrschsucht oder Expansions¬
drang nannte, das nennt man heute Imperialismus, und die Leser bilden sich
ein, es werde ihnen damit eine neue Offenbarung zuteil. Deu ersten Anstoß
zu der neuen Benennung hat Disraeli gegeben, indem er die Königin Viktoria
als Kaisar-i-Hind ausrufen ließ. Die Titulatur war berechtigt, denn die Herr¬
schaft der Engländer über Indien hat wirklich, wie im 23. Heft der Grenzboten
richtig bemerkt worden ist, große Ähnlichkeit mit der Herrschaft Roms über seinen
ortis körr-u'uiri, und das Wort Imperium, das in dem seitdem aufgekommnen
Ausdruck Imperialismus steckt, bezeichnet die Sache noch treffender als die
Wörter Kaiser und Kaisertum, in denen der Sieg des Alleinherrschers über
die Rivalen innerhalb des eignen Staates zu stark vorschmeckt. Versteht man
unter Imperialismus das Streben der Engländer, zu den schon erworbnen
exotischen Kolonien noch weitere zu erobern, so paßt das Wort, dagegen paßt
es ganz und gar nicht auf die Versuche, von denen soeben wieder einer gescheitert
ist, die Ansiedlerkolonien enger an das Mutterland anzuschließen, denn diese zu
beherrschen, darauf haben die englischen Staatsmänner schon längst weise ver¬
zichtet. Viel eher wären die französischen Expansionsbestrebungen so zu benennen,
und auch das kleine Holland hat sein Imperium, wenn es auch an dessen Ver¬
größerung, also an Imperialismus nicht mehr denken kann. Wird aber vom


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Wirtschaftsführung, von Kochen und Nähen haben sie meist keine Ahnung.
Wer aber gesehn hat, mit welchem Eifer die Mädchen aus Arbeiterkreisen an
dem Unterricht in Hauswirtschaftsschulen teilnehmen, wo solche eingerichtet sind,
der wird sich auch darüber klar geworden sein, wie viel auf diesem Gebiete zu
erreichen ist. Es gibt kaum ein besseres Mittel, die materielle Lage der arbeitenden
Klassen zu heben, als die Erziehung der weiblichen Jugend zur Wirtschaftlich¬
keit, damit die Mädchen, wenn sie Frauen und Mütter werden, ihrer Aufgabe
gewachsen sind. In Süddeutschland ist man auf diesem Gebiete weit voraus,
besonders in Baden, wo dank der unermüdlichen Tätigkeit der edeln Gro߬
herzogin überall in Stadt und Land Frauenarbeitsschulen bestehn.




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! on den Kunstgriffen, die geschäftsmüßige Schlaue unter dem Stachel
der Konkurrenz erfunden hat, ist dieBezeichnung allbekannter Waren
mit neuen schönen Namen einer der wirksamsten. Taufe ein Fabri¬
kant sein mehr oder weniger harmloses Fruchtwasser „Sinalco",
! dann nimmt der Absatz so reißend zu, daß er nach wenigen Wochen
schon Pferd und Wagen anschaffen muß oder kann, die gleich den Bierwagen
den Allheiltrank den Kunden täglich vors Haus bringen. In der Literatur ists
nun nicht viel anders. So z. B.: was man früher Herrschsucht oder Expansions¬
drang nannte, das nennt man heute Imperialismus, und die Leser bilden sich
ein, es werde ihnen damit eine neue Offenbarung zuteil. Deu ersten Anstoß
zu der neuen Benennung hat Disraeli gegeben, indem er die Königin Viktoria
als Kaisar-i-Hind ausrufen ließ. Die Titulatur war berechtigt, denn die Herr¬
schaft der Engländer über Indien hat wirklich, wie im 23. Heft der Grenzboten
richtig bemerkt worden ist, große Ähnlichkeit mit der Herrschaft Roms über seinen
ortis körr-u'uiri, und das Wort Imperium, das in dem seitdem aufgekommnen
Ausdruck Imperialismus steckt, bezeichnet die Sache noch treffender als die
Wörter Kaiser und Kaisertum, in denen der Sieg des Alleinherrschers über
die Rivalen innerhalb des eignen Staates zu stark vorschmeckt. Versteht man
unter Imperialismus das Streben der Engländer, zu den schon erworbnen
exotischen Kolonien noch weitere zu erobern, so paßt das Wort, dagegen paßt
es ganz und gar nicht auf die Versuche, von denen soeben wieder einer gescheitert
ist, die Ansiedlerkolonien enger an das Mutterland anzuschließen, denn diese zu
beherrschen, darauf haben die englischen Staatsmänner schon längst weise ver¬
zichtet. Viel eher wären die französischen Expansionsbestrebungen so zu benennen,
und auch das kleine Holland hat sein Imperium, wenn es auch an dessen Ver¬
größerung, also an Imperialismus nicht mehr denken kann. Wird aber vom


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[0618] Neues von Seilliere und über Gobineau Wirtschaftsführung, von Kochen und Nähen haben sie meist keine Ahnung. Wer aber gesehn hat, mit welchem Eifer die Mädchen aus Arbeiterkreisen an dem Unterricht in Hauswirtschaftsschulen teilnehmen, wo solche eingerichtet sind, der wird sich auch darüber klar geworden sein, wie viel auf diesem Gebiete zu erreichen ist. Es gibt kaum ein besseres Mittel, die materielle Lage der arbeitenden Klassen zu heben, als die Erziehung der weiblichen Jugend zur Wirtschaftlich¬ keit, damit die Mädchen, wenn sie Frauen und Mütter werden, ihrer Aufgabe gewachsen sind. In Süddeutschland ist man auf diesem Gebiete weit voraus, besonders in Baden, wo dank der unermüdlichen Tätigkeit der edeln Gro߬ herzogin überall in Stadt und Land Frauenarbeitsschulen bestehn. Neues von Heilliere und über Gobineau ! on den Kunstgriffen, die geschäftsmüßige Schlaue unter dem Stachel der Konkurrenz erfunden hat, ist dieBezeichnung allbekannter Waren mit neuen schönen Namen einer der wirksamsten. Taufe ein Fabri¬ kant sein mehr oder weniger harmloses Fruchtwasser „Sinalco", ! dann nimmt der Absatz so reißend zu, daß er nach wenigen Wochen schon Pferd und Wagen anschaffen muß oder kann, die gleich den Bierwagen den Allheiltrank den Kunden täglich vors Haus bringen. In der Literatur ists nun nicht viel anders. So z. B.: was man früher Herrschsucht oder Expansions¬ drang nannte, das nennt man heute Imperialismus, und die Leser bilden sich ein, es werde ihnen damit eine neue Offenbarung zuteil. Deu ersten Anstoß zu der neuen Benennung hat Disraeli gegeben, indem er die Königin Viktoria als Kaisar-i-Hind ausrufen ließ. Die Titulatur war berechtigt, denn die Herr¬ schaft der Engländer über Indien hat wirklich, wie im 23. Heft der Grenzboten richtig bemerkt worden ist, große Ähnlichkeit mit der Herrschaft Roms über seinen ortis körr-u'uiri, und das Wort Imperium, das in dem seitdem aufgekommnen Ausdruck Imperialismus steckt, bezeichnet die Sache noch treffender als die Wörter Kaiser und Kaisertum, in denen der Sieg des Alleinherrschers über die Rivalen innerhalb des eignen Staates zu stark vorschmeckt. Versteht man unter Imperialismus das Streben der Engländer, zu den schon erworbnen exotischen Kolonien noch weitere zu erobern, so paßt das Wort, dagegen paßt es ganz und gar nicht auf die Versuche, von denen soeben wieder einer gescheitert ist, die Ansiedlerkolonien enger an das Mutterland anzuschließen, denn diese zu beherrschen, darauf haben die englischen Staatsmänner schon längst weise ver¬ zichtet. Viel eher wären die französischen Expansionsbestrebungen so zu benennen, und auch das kleine Holland hat sein Imperium, wenn es auch an dessen Ver¬ größerung, also an Imperialismus nicht mehr denken kann. Wird aber vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/618>, abgerufen am 29.04.2024.