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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Russische Briefe
George cLleinow von
9- Der Adel nach der Bauernbefreiung

ährend sich die Zaren bemühten, aus der ävwi-Mök.vo einen Adel
von westeuropäischem Wert zu schaffen, reifte die Bauernfrage
zu immer größerer Bedeutung für den russischen Staat heran.
Gerade in der Zeit, wo der Adel juristisch die höchste Stufe
seiner Stellung im russischen Staate zugewiesen erhalten hatte,*)
die Einführung einiger staatlicher Kreditinstitute**) auch die wirtschaftliche Seite
seiner Lage möglichst günstig zu gestalten suchte, befanden sich die Bauern auf
dem tiefsten Punkt in rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Beziehung. Die
gutsherrliche Fabrik***) mag das schlimmste gewesen sein, was je einer
Menschenklasse nach dem Mittelalter zugemutet wurde. Wie jede Ungerechtig¬
keit, die gegen ganze Teile der Bevölkerung begangen wird, vor allem die
Stärke des Ungerechten untergräbt, so ging es auch in unserm Falle mit den
eidlichen Fabrikanten. Die Gutsfabriken mit ihren Schrecken sind die Geburts¬
stätte der russischen Revolution. Sie waren der Punkt, an dem sich bei den
unbemittelten Adlichen der Neid gegen den reichen Standesgenossen und das
Mitleid mit den gequälten Fabrikarbeitern entwickelte. Sie stellten das Mittel
sozialer und wirtschaftlicher Differenzierung dar, das den bureaukratisch
zusammengefügten "Adelsstand" zunächst in zwei einander feindliche Lager





*) Baron S. A. Korff, Die ävoi'simswo. Se. Petersburg, 1906. S. 181.
Vormundschaftsrat, Vorschußbank und Institut (piiws) der öffentlichen Wohltätigkeit,-
sie wurden 1861 aufgehoben.
Sogenannte Erbgutsfabriken; sie wurden besonders in der zweiten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts gegründet! in ihnen wurde die Zwangsarbeit angewandt. M. Tug-m-
Baronowski, Geschichte der russischen Fabrik. Deutsche Ausgabe S. 120 ff. Berlin, Emil
Felder, 1900.
Grenzboten III 1907 85


Russische Briefe
George cLleinow von
9- Der Adel nach der Bauernbefreiung

ährend sich die Zaren bemühten, aus der ävwi-Mök.vo einen Adel
von westeuropäischem Wert zu schaffen, reifte die Bauernfrage
zu immer größerer Bedeutung für den russischen Staat heran.
Gerade in der Zeit, wo der Adel juristisch die höchste Stufe
seiner Stellung im russischen Staate zugewiesen erhalten hatte,*)
die Einführung einiger staatlicher Kreditinstitute**) auch die wirtschaftliche Seite
seiner Lage möglichst günstig zu gestalten suchte, befanden sich die Bauern auf
dem tiefsten Punkt in rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Beziehung. Die
gutsherrliche Fabrik***) mag das schlimmste gewesen sein, was je einer
Menschenklasse nach dem Mittelalter zugemutet wurde. Wie jede Ungerechtig¬
keit, die gegen ganze Teile der Bevölkerung begangen wird, vor allem die
Stärke des Ungerechten untergräbt, so ging es auch in unserm Falle mit den
eidlichen Fabrikanten. Die Gutsfabriken mit ihren Schrecken sind die Geburts¬
stätte der russischen Revolution. Sie waren der Punkt, an dem sich bei den
unbemittelten Adlichen der Neid gegen den reichen Standesgenossen und das
Mitleid mit den gequälten Fabrikarbeitern entwickelte. Sie stellten das Mittel
sozialer und wirtschaftlicher Differenzierung dar, das den bureaukratisch
zusammengefügten „Adelsstand" zunächst in zwei einander feindliche Lager





*) Baron S. A. Korff, Die ävoi'simswo. Se. Petersburg, 1906. S. 181.
Vormundschaftsrat, Vorschußbank und Institut (piiws) der öffentlichen Wohltätigkeit,-
sie wurden 1861 aufgehoben.
Sogenannte Erbgutsfabriken; sie wurden besonders in der zweiten Hälfte des acht¬
zehnten Jahrhunderts gegründet! in ihnen wurde die Zwangsarbeit angewandt. M. Tug-m-
Baronowski, Geschichte der russischen Fabrik. Deutsche Ausgabe S. 120 ff. Berlin, Emil
Felder, 1900.
Grenzboten III 1907 85
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[0653] [Abbildung] Russische Briefe George cLleinow von 9- Der Adel nach der Bauernbefreiung ährend sich die Zaren bemühten, aus der ävwi-Mök.vo einen Adel von westeuropäischem Wert zu schaffen, reifte die Bauernfrage zu immer größerer Bedeutung für den russischen Staat heran. Gerade in der Zeit, wo der Adel juristisch die höchste Stufe seiner Stellung im russischen Staate zugewiesen erhalten hatte,*) die Einführung einiger staatlicher Kreditinstitute**) auch die wirtschaftliche Seite seiner Lage möglichst günstig zu gestalten suchte, befanden sich die Bauern auf dem tiefsten Punkt in rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Beziehung. Die gutsherrliche Fabrik***) mag das schlimmste gewesen sein, was je einer Menschenklasse nach dem Mittelalter zugemutet wurde. Wie jede Ungerechtig¬ keit, die gegen ganze Teile der Bevölkerung begangen wird, vor allem die Stärke des Ungerechten untergräbt, so ging es auch in unserm Falle mit den eidlichen Fabrikanten. Die Gutsfabriken mit ihren Schrecken sind die Geburts¬ stätte der russischen Revolution. Sie waren der Punkt, an dem sich bei den unbemittelten Adlichen der Neid gegen den reichen Standesgenossen und das Mitleid mit den gequälten Fabrikarbeitern entwickelte. Sie stellten das Mittel sozialer und wirtschaftlicher Differenzierung dar, das den bureaukratisch zusammengefügten „Adelsstand" zunächst in zwei einander feindliche Lager *) Baron S. A. Korff, Die ävoi'simswo. Se. Petersburg, 1906. S. 181. Vormundschaftsrat, Vorschußbank und Institut (piiws) der öffentlichen Wohltätigkeit,- sie wurden 1861 aufgehoben. Sogenannte Erbgutsfabriken; sie wurden besonders in der zweiten Hälfte des acht¬ zehnten Jahrhunderts gegründet! in ihnen wurde die Zwangsarbeit angewandt. M. Tug-m- Baronowski, Geschichte der russischen Fabrik. Deutsche Ausgabe S. 120 ff. Berlin, Emil Felder, 1900. Grenzboten III 1907 85

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/653>, abgerufen am 28.04.2024.