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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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auf die Entschließungen der Regierung gewirkt hat. Aber ich meine, alle die
angedeuteten Verhältnisse müssen bei einer Regierung, die in den Selbst¬
verwaltungskörpern nicht mehr die wichtigste Schule für die politische Reifung
der Gesellschaft sah, den Gedanken angeregt haben, sich nach einer Klasse in
der Gesellschaft umzusehen, die nach ihrer Meinung geeignet war, die Cadres
der Behörden zu füllen. Diese Klasse aber war der Teil des Adels, der in
altrussischer Auffassung seinen innern Wert aus dem Maße der ihm durch den
Zaren zugewandten Gnade herleitete -- der Dienstadel. Diesen Dienstadel
wiederhergestellt und mit Machtbefugnissen ausgerüstet zu haben, war eine
der wesentlichsten Leistungen der Negierung Alexanders des Dritten.




Irland als Dorn unter dem Panzer Englands
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er Versuch, Irland zufrieden zu stellen, ist natürlich des Schweißes
der Edeln wert. Nur hat die Geschichte längst das Urteil for¬
muliert, daß der Versuch, den Gladstone nun unternahm, scheitern
mußte, nicht nur wegen der Abneigung des englischen Volks,
sondern auch an seiner innern Unmöglichkeit. Durch den Rück¬
gang der Bevölkerung Irlands auf die Hälfte des frühern Standes war die
Zahl seiner Parlainentsabgeordneten relativ viel zu groß geworden. Gladstone
wollte sie entsprechend verringern, was natürlich in der Sachlage ganz begründet
ist und auch in England keinen Widerspruch fand. Aber für diese Einbuße
sollten die Iren überreich entschädigt werden. Sie sollten endlich Homerule
erhalten: ein eignes Parlament in Dublin, das die irischen Angelegenheiten
erledigen sollte. Ein zweites Gesetz sollte Farmerstellen aus Großgrundbesitz
bilden. Gladstone verwies auf Österreich-Ungarn; Irland werde nicht so viel
Selbständigkeit erhalten wie Ungarn; sein Verhältnis zu England werde eher
dem jetzigen Bayerns zu Preußen zu vergleichen sein. Das war denn doch den
Engländern zu viel, nicht nur den alten Whigs, sondern auch vielen Radikalen.
Der Herzog von Devonshire, Goschen, Forster, ferner Bright und Chamberlain
trennten sich von den Gladstonicmern, die nunmehr offiziell den Namen Liberale
annahmen, und verbanden sich mit den Konservativen zu der neuen ""monistischen"
Partei; sie wollte die Union Irlands mit England aufrecht erhalten. Das
Unterhaus lehnte das Homerulegesetz ab. Gladstone ordnete Neuwahl des
Parlaments an, erlitt aber eine schwere Niederlage.

Die Folge war, daß im Januar 1887 ein neues konservatives Ministerium
Salisbury gebildet wurde, in das alsbald auch Goschen und Devonshire ein¬
traten. Die neue Regierungspartei wurde vor allem durch den gemeinsamen
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Grenzboien III 1907 L6
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auf die Entschließungen der Regierung gewirkt hat. Aber ich meine, alle die
angedeuteten Verhältnisse müssen bei einer Regierung, die in den Selbst¬
verwaltungskörpern nicht mehr die wichtigste Schule für die politische Reifung
der Gesellschaft sah, den Gedanken angeregt haben, sich nach einer Klasse in
der Gesellschaft umzusehen, die nach ihrer Meinung geeignet war, die Cadres
der Behörden zu füllen. Diese Klasse aber war der Teil des Adels, der in
altrussischer Auffassung seinen innern Wert aus dem Maße der ihm durch den
Zaren zugewandten Gnade herleitete — der Dienstadel. Diesen Dienstadel
wiederhergestellt und mit Machtbefugnissen ausgerüstet zu haben, war eine
der wesentlichsten Leistungen der Negierung Alexanders des Dritten.




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er Versuch, Irland zufrieden zu stellen, ist natürlich des Schweißes
der Edeln wert. Nur hat die Geschichte längst das Urteil for¬
muliert, daß der Versuch, den Gladstone nun unternahm, scheitern
mußte, nicht nur wegen der Abneigung des englischen Volks,
sondern auch an seiner innern Unmöglichkeit. Durch den Rück¬
gang der Bevölkerung Irlands auf die Hälfte des frühern Standes war die
Zahl seiner Parlainentsabgeordneten relativ viel zu groß geworden. Gladstone
wollte sie entsprechend verringern, was natürlich in der Sachlage ganz begründet
ist und auch in England keinen Widerspruch fand. Aber für diese Einbuße
sollten die Iren überreich entschädigt werden. Sie sollten endlich Homerule
erhalten: ein eignes Parlament in Dublin, das die irischen Angelegenheiten
erledigen sollte. Ein zweites Gesetz sollte Farmerstellen aus Großgrundbesitz
bilden. Gladstone verwies auf Österreich-Ungarn; Irland werde nicht so viel
Selbständigkeit erhalten wie Ungarn; sein Verhältnis zu England werde eher
dem jetzigen Bayerns zu Preußen zu vergleichen sein. Das war denn doch den
Engländern zu viel, nicht nur den alten Whigs, sondern auch vielen Radikalen.
Der Herzog von Devonshire, Goschen, Forster, ferner Bright und Chamberlain
trennten sich von den Gladstonicmern, die nunmehr offiziell den Namen Liberale
annahmen, und verbanden sich mit den Konservativen zu der neuen „»monistischen"
Partei; sie wollte die Union Irlands mit England aufrecht erhalten. Das
Unterhaus lehnte das Homerulegesetz ab. Gladstone ordnete Neuwahl des
Parlaments an, erlitt aber eine schwere Niederlage.

Die Folge war, daß im Januar 1887 ein neues konservatives Ministerium
Salisbury gebildet wurde, in das alsbald auch Goschen und Devonshire ein¬
traten. Die neue Regierungspartei wurde vor allem durch den gemeinsamen
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Grenzboien III 1907 L6
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[0661] Irland als Dorn unter dem Panzer Englands auf die Entschließungen der Regierung gewirkt hat. Aber ich meine, alle die angedeuteten Verhältnisse müssen bei einer Regierung, die in den Selbst¬ verwaltungskörpern nicht mehr die wichtigste Schule für die politische Reifung der Gesellschaft sah, den Gedanken angeregt haben, sich nach einer Klasse in der Gesellschaft umzusehen, die nach ihrer Meinung geeignet war, die Cadres der Behörden zu füllen. Diese Klasse aber war der Teil des Adels, der in altrussischer Auffassung seinen innern Wert aus dem Maße der ihm durch den Zaren zugewandten Gnade herleitete — der Dienstadel. Diesen Dienstadel wiederhergestellt und mit Machtbefugnissen ausgerüstet zu haben, war eine der wesentlichsten Leistungen der Negierung Alexanders des Dritten. Irland als Dorn unter dem Panzer Englands 2 er Versuch, Irland zufrieden zu stellen, ist natürlich des Schweißes der Edeln wert. Nur hat die Geschichte längst das Urteil for¬ muliert, daß der Versuch, den Gladstone nun unternahm, scheitern mußte, nicht nur wegen der Abneigung des englischen Volks, sondern auch an seiner innern Unmöglichkeit. Durch den Rück¬ gang der Bevölkerung Irlands auf die Hälfte des frühern Standes war die Zahl seiner Parlainentsabgeordneten relativ viel zu groß geworden. Gladstone wollte sie entsprechend verringern, was natürlich in der Sachlage ganz begründet ist und auch in England keinen Widerspruch fand. Aber für diese Einbuße sollten die Iren überreich entschädigt werden. Sie sollten endlich Homerule erhalten: ein eignes Parlament in Dublin, das die irischen Angelegenheiten erledigen sollte. Ein zweites Gesetz sollte Farmerstellen aus Großgrundbesitz bilden. Gladstone verwies auf Österreich-Ungarn; Irland werde nicht so viel Selbständigkeit erhalten wie Ungarn; sein Verhältnis zu England werde eher dem jetzigen Bayerns zu Preußen zu vergleichen sein. Das war denn doch den Engländern zu viel, nicht nur den alten Whigs, sondern auch vielen Radikalen. Der Herzog von Devonshire, Goschen, Forster, ferner Bright und Chamberlain trennten sich von den Gladstonicmern, die nunmehr offiziell den Namen Liberale annahmen, und verbanden sich mit den Konservativen zu der neuen „»monistischen" Partei; sie wollte die Union Irlands mit England aufrecht erhalten. Das Unterhaus lehnte das Homerulegesetz ab. Gladstone ordnete Neuwahl des Parlaments an, erlitt aber eine schwere Niederlage. Die Folge war, daß im Januar 1887 ein neues konservatives Ministerium Salisbury gebildet wurde, in das alsbald auch Goschen und Devonshire ein¬ traten. Die neue Regierungspartei wurde vor allem durch den gemeinsamen " Grenzboien III 1907 L6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/661>, abgerufen am 29.04.2024.