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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Lranziskus von Assisi
Georg Bornkainin vonin

u dem eigentlichen Orden der Franziskaner, oder, daß ich nicht
einen Namen gebrauche, den sie zwar später erhalten, den sie
aber selber nicht verwandt haben, zu dem Orden der Minoriten
oder Minderbrüder, gesellte sich nun bald ein zweiter und dritter
Orden auf derselben Grundlage. Im Jahre 1212 entriß sich Klara
Scivi dem elterlichen Reichtum. Wie eine Ausgießung des Heiligen Geistes war
es ihr unter den Worten des Armen von Assisi gewesen. Nun eilte sie hinaus
zur Portiunkula. Allen ihren Schmuck tat sie von sich. Unter den Jubelgesängen
der Brüder über das neue Verlöbnis mit der Armut empfing Franziskus ihr
Gelübde. Unerschütterlich blieb sie gegen die Bitten ihres Vaters. Bald gesellte
sich Agnes zu ihr, ihre Schwester, und Ortolcme, ihre Mutter, und der Orden der
Klarissinnen mit derselben fmnziskanischen Regel war begründet. Nun war die
Portiunkula die Heimat der Brüder; die Schwestern aber empfingen von der
Kommune von Assisi fortan die Damianskapelle zum weitern Ausbau zu einem
Schwesternhause und zum bleibenden Wohnsitz. Klara war die verständnisvolle
Freundin des heiligen Franz. Die römischen Biographen haben ihr Verhältnis
nur mit Rücksicht auf die mönchische Vollkommenheit und die Ordensinteressen
betrachtet. Deshalb ist es ihnen natürlich nicht möglich gewesen, seine unberührte
Schönheit zu erfassen. "Rein und unbeschwert vom Erdenstaube waren ihre Seelen
hineingetragen in das Allerheiligste. Der Gedanke an eine andre Gemeinschaft
hätte ihnen nicht nur einen Fall, sondern eine Unmöglichkeit bedeutet." Zu ihr
flüchtete Franz immer wieder, und niemals empfing er von ihr mehr als in
den Septembertagen im Jahre vor seinem Tode. Da hatte sie ihm selber im
Klostergarten von Se. Damian in echt franziskcmischer Art die Zelle aus Schilf
zu seiner Wohnstatt bereitet. Viel Schweres hatte er im Laufe der Zeit er¬
fahren. Dort aber fand er sich selber wieder, und oft hörten die Schwestern,
wie sich leise in das Rauschen der Oliven und der Fichten der Klang unbe¬
kannter Lieder mischte, die aus der Schilfhütte ihren Weg zum Himmel suchten.

Und immer weiter griff die siegende Geistesgewalt des Heiligen. Nicht
alle konnten sich mit dem Strick der Franziskaner umgürten, deren Herz durch
ihre Predigt und durch ihr Beispiel überwunden war. Auch das praktische
Leben stellte Forderungen, die manchem unabweislich erschienen -- aber ein




Lranziskus von Assisi
Georg Bornkainin vonin

u dem eigentlichen Orden der Franziskaner, oder, daß ich nicht
einen Namen gebrauche, den sie zwar später erhalten, den sie
aber selber nicht verwandt haben, zu dem Orden der Minoriten
oder Minderbrüder, gesellte sich nun bald ein zweiter und dritter
Orden auf derselben Grundlage. Im Jahre 1212 entriß sich Klara
Scivi dem elterlichen Reichtum. Wie eine Ausgießung des Heiligen Geistes war
es ihr unter den Worten des Armen von Assisi gewesen. Nun eilte sie hinaus
zur Portiunkula. Allen ihren Schmuck tat sie von sich. Unter den Jubelgesängen
der Brüder über das neue Verlöbnis mit der Armut empfing Franziskus ihr
Gelübde. Unerschütterlich blieb sie gegen die Bitten ihres Vaters. Bald gesellte
sich Agnes zu ihr, ihre Schwester, und Ortolcme, ihre Mutter, und der Orden der
Klarissinnen mit derselben fmnziskanischen Regel war begründet. Nun war die
Portiunkula die Heimat der Brüder; die Schwestern aber empfingen von der
Kommune von Assisi fortan die Damianskapelle zum weitern Ausbau zu einem
Schwesternhause und zum bleibenden Wohnsitz. Klara war die verständnisvolle
Freundin des heiligen Franz. Die römischen Biographen haben ihr Verhältnis
nur mit Rücksicht auf die mönchische Vollkommenheit und die Ordensinteressen
betrachtet. Deshalb ist es ihnen natürlich nicht möglich gewesen, seine unberührte
Schönheit zu erfassen. „Rein und unbeschwert vom Erdenstaube waren ihre Seelen
hineingetragen in das Allerheiligste. Der Gedanke an eine andre Gemeinschaft
hätte ihnen nicht nur einen Fall, sondern eine Unmöglichkeit bedeutet." Zu ihr
flüchtete Franz immer wieder, und niemals empfing er von ihr mehr als in
den Septembertagen im Jahre vor seinem Tode. Da hatte sie ihm selber im
Klostergarten von Se. Damian in echt franziskcmischer Art die Zelle aus Schilf
zu seiner Wohnstatt bereitet. Viel Schweres hatte er im Laufe der Zeit er¬
fahren. Dort aber fand er sich selber wieder, und oft hörten die Schwestern,
wie sich leise in das Rauschen der Oliven und der Fichten der Klang unbe¬
kannter Lieder mischte, die aus der Schilfhütte ihren Weg zum Himmel suchten.

Und immer weiter griff die siegende Geistesgewalt des Heiligen. Nicht
alle konnten sich mit dem Strick der Franziskaner umgürten, deren Herz durch
ihre Predigt und durch ihr Beispiel überwunden war. Auch das praktische
Leben stellte Forderungen, die manchem unabweislich erschienen — aber ein


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[0679] [Abbildung] Lranziskus von Assisi Georg Bornkainin vonin u dem eigentlichen Orden der Franziskaner, oder, daß ich nicht einen Namen gebrauche, den sie zwar später erhalten, den sie aber selber nicht verwandt haben, zu dem Orden der Minoriten oder Minderbrüder, gesellte sich nun bald ein zweiter und dritter Orden auf derselben Grundlage. Im Jahre 1212 entriß sich Klara Scivi dem elterlichen Reichtum. Wie eine Ausgießung des Heiligen Geistes war es ihr unter den Worten des Armen von Assisi gewesen. Nun eilte sie hinaus zur Portiunkula. Allen ihren Schmuck tat sie von sich. Unter den Jubelgesängen der Brüder über das neue Verlöbnis mit der Armut empfing Franziskus ihr Gelübde. Unerschütterlich blieb sie gegen die Bitten ihres Vaters. Bald gesellte sich Agnes zu ihr, ihre Schwester, und Ortolcme, ihre Mutter, und der Orden der Klarissinnen mit derselben fmnziskanischen Regel war begründet. Nun war die Portiunkula die Heimat der Brüder; die Schwestern aber empfingen von der Kommune von Assisi fortan die Damianskapelle zum weitern Ausbau zu einem Schwesternhause und zum bleibenden Wohnsitz. Klara war die verständnisvolle Freundin des heiligen Franz. Die römischen Biographen haben ihr Verhältnis nur mit Rücksicht auf die mönchische Vollkommenheit und die Ordensinteressen betrachtet. Deshalb ist es ihnen natürlich nicht möglich gewesen, seine unberührte Schönheit zu erfassen. „Rein und unbeschwert vom Erdenstaube waren ihre Seelen hineingetragen in das Allerheiligste. Der Gedanke an eine andre Gemeinschaft hätte ihnen nicht nur einen Fall, sondern eine Unmöglichkeit bedeutet." Zu ihr flüchtete Franz immer wieder, und niemals empfing er von ihr mehr als in den Septembertagen im Jahre vor seinem Tode. Da hatte sie ihm selber im Klostergarten von Se. Damian in echt franziskcmischer Art die Zelle aus Schilf zu seiner Wohnstatt bereitet. Viel Schweres hatte er im Laufe der Zeit er¬ fahren. Dort aber fand er sich selber wieder, und oft hörten die Schwestern, wie sich leise in das Rauschen der Oliven und der Fichten der Klang unbe¬ kannter Lieder mischte, die aus der Schilfhütte ihren Weg zum Himmel suchten. Und immer weiter griff die siegende Geistesgewalt des Heiligen. Nicht alle konnten sich mit dem Strick der Franziskaner umgürten, deren Herz durch ihre Predigt und durch ihr Beispiel überwunden war. Auch das praktische Leben stellte Forderungen, die manchem unabweislich erschienen — aber ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/679>, abgerufen am 28.04.2024.