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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Line Philosophie des Krieges

aufräumen. "Das Talmi zum Kommandierer erwirbt sich der wahrhaft Be¬
fähigte leicht, und man bedenke nur: die Soldaten der Zukunft werden in
immer geringerer Zahl kritiklose Bauernjungen und unwissende Proletarier sein.
Wer künftig siegen will, der braucht Soldaten, die denken können, und Offiziere,
die diesen Soldaten überlegen sind. Anschnauzen genügt nicht mehr; auch würde
es der gebildete Soldat der Zukunft nicht länger ertragen... . Wir müssen
uns an den Gedanken gewöhnen, daß der Krieg und seine Vorbereitung
keineswegs unzertrennlich mit dem preußischen Typ von Staat und Gesell¬
schaft verbunden sind -- im Gegenteil! Dieser Typus hat nicht bloß sein
Königgrätz und Sedan aufzuweisen, sondern auch sein Jena und Tilsit." In
Preußen erlauben sich Offiziere Übergriffe -- fordern zum Beispiel unter
Drohungen von einem Theaterdirektor, daß er ein ihnen nicht genehmes
Stück vom Spielplan absetze --die der Natur des konstitutionellen Staates
widersprechen. Darin ist Deutschland rückständig. Das Volk in Waffen darf
keine Privilegien vor dem übrigen Volke beanspruchen. Es wird sich von dem
unberechtigten Einflüsse des Adels befreien, und es wird sich nie dazu her¬
geben, etwaigen Ausschreitungen der königlichen Gewalt zur Stütze zu dienen.
In England hat man lange Zeit das stehende Heer als eine Gefahr für die
Freiheit gefürchtet. Das Volk in Waffen bedeutet keine solche Gefahr mehr.
Dieses Riesenheer gehört dem Volke, der Gesellschaft, die die Männer, das
Talent und das Geld hergibt; nur aus Courtoisie -- oder zäher Gewohn¬
heit -- wird es hier und da noch des Königs Heer genannt. Im Volksheere
ist für Byzantinismus kein Raum. Die Redensart ,,mein Heer" ist in jedem
Munde unpassend und höchstens als poetische Floskel zulässig. "In einem
modernen Volke, das seine politische Verfassung seiner Kultur anzupassen ver¬
standen hat, kann das Heer weder die veraltete Macht des Adels verstärken
noch im Fürsten den Zug zum Absolutismus unterstützen. Und je schwerer
der Druck des bewaffneten Friedens lasten wird, je kolossaler die Opfer und
die Schäden eines Krieges werden, um so mehr wird ein selbstbewußtes Volk
danach streben, seine Zukunft in der eignen Hand zu haben, um so widersinniger
wird jede andre als die freieste Selbstregierung. Kleine improvisierte Söldner¬
kriege können für lange Zeit die Macht des Fürsten zum Despotismus steigern,
wenn aber das ganze Volk sein Geld und sein Leben beisteuern, alle die
Friedensjahre hindurch sich unter den größten Opfern auf den Krieg vorbereiten
soll, da verliert das Kriegswesen jede reaktionäre Tendenz." Für diesen Teil
seiner Ausführungen wird Steinmetz mehr Beifall finden in Bebels Lager als
bei den Offizieren und in den Kreisen unsrer hohen Staatsbeamten.


Lark Jentsch


Line Philosophie des Krieges

aufräumen. „Das Talmi zum Kommandierer erwirbt sich der wahrhaft Be¬
fähigte leicht, und man bedenke nur: die Soldaten der Zukunft werden in
immer geringerer Zahl kritiklose Bauernjungen und unwissende Proletarier sein.
Wer künftig siegen will, der braucht Soldaten, die denken können, und Offiziere,
die diesen Soldaten überlegen sind. Anschnauzen genügt nicht mehr; auch würde
es der gebildete Soldat der Zukunft nicht länger ertragen... . Wir müssen
uns an den Gedanken gewöhnen, daß der Krieg und seine Vorbereitung
keineswegs unzertrennlich mit dem preußischen Typ von Staat und Gesell¬
schaft verbunden sind — im Gegenteil! Dieser Typus hat nicht bloß sein
Königgrätz und Sedan aufzuweisen, sondern auch sein Jena und Tilsit." In
Preußen erlauben sich Offiziere Übergriffe — fordern zum Beispiel unter
Drohungen von einem Theaterdirektor, daß er ein ihnen nicht genehmes
Stück vom Spielplan absetze —die der Natur des konstitutionellen Staates
widersprechen. Darin ist Deutschland rückständig. Das Volk in Waffen darf
keine Privilegien vor dem übrigen Volke beanspruchen. Es wird sich von dem
unberechtigten Einflüsse des Adels befreien, und es wird sich nie dazu her¬
geben, etwaigen Ausschreitungen der königlichen Gewalt zur Stütze zu dienen.
In England hat man lange Zeit das stehende Heer als eine Gefahr für die
Freiheit gefürchtet. Das Volk in Waffen bedeutet keine solche Gefahr mehr.
Dieses Riesenheer gehört dem Volke, der Gesellschaft, die die Männer, das
Talent und das Geld hergibt; nur aus Courtoisie — oder zäher Gewohn¬
heit — wird es hier und da noch des Königs Heer genannt. Im Volksheere
ist für Byzantinismus kein Raum. Die Redensart ,,mein Heer" ist in jedem
Munde unpassend und höchstens als poetische Floskel zulässig. „In einem
modernen Volke, das seine politische Verfassung seiner Kultur anzupassen ver¬
standen hat, kann das Heer weder die veraltete Macht des Adels verstärken
noch im Fürsten den Zug zum Absolutismus unterstützen. Und je schwerer
der Druck des bewaffneten Friedens lasten wird, je kolossaler die Opfer und
die Schäden eines Krieges werden, um so mehr wird ein selbstbewußtes Volk
danach streben, seine Zukunft in der eignen Hand zu haben, um so widersinniger
wird jede andre als die freieste Selbstregierung. Kleine improvisierte Söldner¬
kriege können für lange Zeit die Macht des Fürsten zum Despotismus steigern,
wenn aber das ganze Volk sein Geld und sein Leben beisteuern, alle die
Friedensjahre hindurch sich unter den größten Opfern auf den Krieg vorbereiten
soll, da verliert das Kriegswesen jede reaktionäre Tendenz." Für diesen Teil
seiner Ausführungen wird Steinmetz mehr Beifall finden in Bebels Lager als
bei den Offizieren und in den Kreisen unsrer hohen Staatsbeamten.


Lark Jentsch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/678>, abgerufen am 14.05.2024.