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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Der englisch-russische Vertrag über Asien

Grodno, Minsk, Witebsk, Mohilew, Kijew, Wolhynien und Podolien in Höhe
von 75 und 60 Prozent des Taxwertes der zu erwerbenden Besitzung vor¬
zuschießen. Ferner wurde den Adelsversammlungen gestattet, auch die Besitztümer
von persönlichen Edelleuten zur Besteuerung für die Bedürfnisse des Adels
heranzuziehn, obwohl in den Adclsversammlungen lediglich erbliche Edelleute
Sitz und Stimme haben. Anfang der neunziger Jahre hat eine Kommission
unter dem Vorsitz des Staatssekretärs Abasa mehrere Jahre hindurch Vorschläge
zur Hebung des Adels ausgearbeitet, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen.
Später, im Jahre 1902, hat eine Kommission unter dem Staatssekretär Durnowo
Maßregeln zur Verbesserung der ständischen Organisation geschaffen, die in der
Einrichtung einer Kanzlei beim Minister des Innern für Angelegenheiten des
Adelsstandes gipfelten. Als aber die Baueruagrarbcmk im Jahre 1906 in ihrer
neuen Form ins Leben trat, fand sich in ihrem Statut ein Artikel, der der Bank
gestattet. Bauern den vollen Wert eines zu laufendes Gutes vorzuschießen, sofern
dieses Gut von einem erblichen Edelmann an die Adelsagrarbank verkauft wurde.

Ich glaube in den vorangegangnen Ausführungen ein Bild von der all¬
gemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage des Adels gegeben zu haben, aus
dem von neuem bestätigt wird, daß der russische Adel, wie ihn das Gesetz kennt,
auch in seinem neuesten Entwicklungsstadium mit irgendeinem Adelsstande irgend¬
eines westeuropäischen Staats nicht zu vergleichen ist. Ihm fehlt das Wichtigste,
ein allen seinen Mitgliedern gleich wertvolles ethisches oder soziales Standes¬
interesse. In meinen nächsten Briefen werde ich zu zeigen haben, wie dieser
"Adelsstand" politisch auf die Entwicklung Rußlands während der letzten dreißig
Jahre eingewirkt hat, und welches die treibenden Kräfte in ihm waren. Dann
wird auch der Leser erkennen, in welchem Zusammenhange meine Ausführungen
mit dem Staatsstreichgesetz vom 3./16. Juni 1907 und mit den modernen
Parteibildungen in Nußland stehn.




Der englisch-russische Vertrag über Asien

er Nebel hat sich gesenkt, in vollem klarem Sonnenlichte liegt die
Landschaft vor uns: der Vertrag zwischen England und Rußland
über Persien. Afghanistan und Tibet ist im vollsten Wortlaut
veröffentlicht. Es hat langer Zeit bedurft, ihn anzubahnen und
zum Abschluß zu bringen. Vorausgehen mußte die Niederlage
Rußlands im Kriege mit Japan, denn ohne diese würde sich der Zar nicht
dazu herbeigelassen haben, alte Ambitionen aufzugeben. Es mußte auch die
Einsicht in die Ohnmacht hinzukommen. Die Staatsmänner an der Newa


Der englisch-russische Vertrag über Asien

Grodno, Minsk, Witebsk, Mohilew, Kijew, Wolhynien und Podolien in Höhe
von 75 und 60 Prozent des Taxwertes der zu erwerbenden Besitzung vor¬
zuschießen. Ferner wurde den Adelsversammlungen gestattet, auch die Besitztümer
von persönlichen Edelleuten zur Besteuerung für die Bedürfnisse des Adels
heranzuziehn, obwohl in den Adclsversammlungen lediglich erbliche Edelleute
Sitz und Stimme haben. Anfang der neunziger Jahre hat eine Kommission
unter dem Vorsitz des Staatssekretärs Abasa mehrere Jahre hindurch Vorschläge
zur Hebung des Adels ausgearbeitet, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen.
Später, im Jahre 1902, hat eine Kommission unter dem Staatssekretär Durnowo
Maßregeln zur Verbesserung der ständischen Organisation geschaffen, die in der
Einrichtung einer Kanzlei beim Minister des Innern für Angelegenheiten des
Adelsstandes gipfelten. Als aber die Baueruagrarbcmk im Jahre 1906 in ihrer
neuen Form ins Leben trat, fand sich in ihrem Statut ein Artikel, der der Bank
gestattet. Bauern den vollen Wert eines zu laufendes Gutes vorzuschießen, sofern
dieses Gut von einem erblichen Edelmann an die Adelsagrarbank verkauft wurde.

Ich glaube in den vorangegangnen Ausführungen ein Bild von der all¬
gemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage des Adels gegeben zu haben, aus
dem von neuem bestätigt wird, daß der russische Adel, wie ihn das Gesetz kennt,
auch in seinem neuesten Entwicklungsstadium mit irgendeinem Adelsstande irgend¬
eines westeuropäischen Staats nicht zu vergleichen ist. Ihm fehlt das Wichtigste,
ein allen seinen Mitgliedern gleich wertvolles ethisches oder soziales Standes¬
interesse. In meinen nächsten Briefen werde ich zu zeigen haben, wie dieser
„Adelsstand" politisch auf die Entwicklung Rußlands während der letzten dreißig
Jahre eingewirkt hat, und welches die treibenden Kräfte in ihm waren. Dann
wird auch der Leser erkennen, in welchem Zusammenhange meine Ausführungen
mit dem Staatsstreichgesetz vom 3./16. Juni 1907 und mit den modernen
Parteibildungen in Nußland stehn.




Der englisch-russische Vertrag über Asien

er Nebel hat sich gesenkt, in vollem klarem Sonnenlichte liegt die
Landschaft vor uns: der Vertrag zwischen England und Rußland
über Persien. Afghanistan und Tibet ist im vollsten Wortlaut
veröffentlicht. Es hat langer Zeit bedurft, ihn anzubahnen und
zum Abschluß zu bringen. Vorausgehen mußte die Niederlage
Rußlands im Kriege mit Japan, denn ohne diese würde sich der Zar nicht
dazu herbeigelassen haben, alte Ambitionen aufzugeben. Es mußte auch die
Einsicht in die Ohnmacht hinzukommen. Die Staatsmänner an der Newa


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[0127] Der englisch-russische Vertrag über Asien Grodno, Minsk, Witebsk, Mohilew, Kijew, Wolhynien und Podolien in Höhe von 75 und 60 Prozent des Taxwertes der zu erwerbenden Besitzung vor¬ zuschießen. Ferner wurde den Adelsversammlungen gestattet, auch die Besitztümer von persönlichen Edelleuten zur Besteuerung für die Bedürfnisse des Adels heranzuziehn, obwohl in den Adclsversammlungen lediglich erbliche Edelleute Sitz und Stimme haben. Anfang der neunziger Jahre hat eine Kommission unter dem Vorsitz des Staatssekretärs Abasa mehrere Jahre hindurch Vorschläge zur Hebung des Adels ausgearbeitet, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen. Später, im Jahre 1902, hat eine Kommission unter dem Staatssekretär Durnowo Maßregeln zur Verbesserung der ständischen Organisation geschaffen, die in der Einrichtung einer Kanzlei beim Minister des Innern für Angelegenheiten des Adelsstandes gipfelten. Als aber die Baueruagrarbcmk im Jahre 1906 in ihrer neuen Form ins Leben trat, fand sich in ihrem Statut ein Artikel, der der Bank gestattet. Bauern den vollen Wert eines zu laufendes Gutes vorzuschießen, sofern dieses Gut von einem erblichen Edelmann an die Adelsagrarbank verkauft wurde. Ich glaube in den vorangegangnen Ausführungen ein Bild von der all¬ gemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage des Adels gegeben zu haben, aus dem von neuem bestätigt wird, daß der russische Adel, wie ihn das Gesetz kennt, auch in seinem neuesten Entwicklungsstadium mit irgendeinem Adelsstande irgend¬ eines westeuropäischen Staats nicht zu vergleichen ist. Ihm fehlt das Wichtigste, ein allen seinen Mitgliedern gleich wertvolles ethisches oder soziales Standes¬ interesse. In meinen nächsten Briefen werde ich zu zeigen haben, wie dieser „Adelsstand" politisch auf die Entwicklung Rußlands während der letzten dreißig Jahre eingewirkt hat, und welches die treibenden Kräfte in ihm waren. Dann wird auch der Leser erkennen, in welchem Zusammenhange meine Ausführungen mit dem Staatsstreichgesetz vom 3./16. Juni 1907 und mit den modernen Parteibildungen in Nußland stehn. Der englisch-russische Vertrag über Asien er Nebel hat sich gesenkt, in vollem klarem Sonnenlichte liegt die Landschaft vor uns: der Vertrag zwischen England und Rußland über Persien. Afghanistan und Tibet ist im vollsten Wortlaut veröffentlicht. Es hat langer Zeit bedurft, ihn anzubahnen und zum Abschluß zu bringen. Vorausgehen mußte die Niederlage Rußlands im Kriege mit Japan, denn ohne diese würde sich der Zar nicht dazu herbeigelassen haben, alte Ambitionen aufzugeben. Es mußte auch die Einsicht in die Ohnmacht hinzukommen. Die Staatsmänner an der Newa

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/127>, abgerufen am 18.05.2024.