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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Persten

Ballastes landen zu müssen. Wir gehn ans Schlepptau und können uns nun
leicht die Sandverschwendung leisten, jeden Telegraphendraht und jedes
Häuschen zu überspringen. Jenseit des Greifswalder Universitätsforstes und
der Bahn Anklam-Stralsund suchen wir uns an der nächsten Landstraße, die
eine kurze Wagenfahrt nach der Bahn sichert, den einzigen zwischen Korn¬
feldern gelegnen Sturzäcker aus und landen dort glatt und weich einhalb zwölf
Uhr, zweieinhalb Kilometer hinter der Küste, nahe bei Gust, östlich von
Greifswald.

Wie richtig die Berechnung des Führers gewesen war, bestätigte die Wetter¬
karte des 6. August: die Linksdrehung des Windes über der See erfolgte schon
bei Bornholm, die Windstärke betrug 80 Kilometer in der Stunde, in längstens
vier Stunden also wären wir in Schweden gewesen. Für diese letzte und
schlimmste Enttäuschung auf seiner Jubiläumsfahrt entschädigte den Führer
ein Abend am Strande von Eldena bei Greifswald und ein Tagesausflug
nach Rügen.




Persien
2. j)ersiens äußere Machtstellung seit dem achtzehnten Jahrhundert

! aß Persien bei diesen Zustünden gegen äußere Feinde völlig macht¬
los sein mußte, ist selbstverständlich. Seine Existenz verdankt es
auch nur einer Anzahl günstiger Umstände, dahin gehört zunächst,
>wie bei der Türkei, die Eifersucht der Mächte, dann der Um¬
stand, daß das Land mit seinen großen Wüsten nicht viel Ver-
! lockendes an sich hat, und schließlich, bis vor einem Menschen¬
alter, seine Abgelegenheit von der andern Welt.

Eine letzte kurze Glanzperiode hatte das Reich noch um die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts unter dem großen Herrscher Nadir Shah. Er ver¬
mochte nicht nur Rußland die durch Peter den Großen von dem persischen
Reiche abgerissenen Gebietsfetzen am Kaspischen Meere wieder abzujagen, sondern
führte auch ein persisches Heer siegreich nach Indien und eroberte Delhi, aber
das war auch das letzte Aufflackern alter Größe und Herrlichkeit. Nach seinem
Tode war es mit Persiens Machtstellung vorbei, und bald erschien wieder
Nußland auf dem Plan. Im Jahre 1783 eroberte es Georgien, dann zu An¬
fang des neunzehnten Jahrhunderts den ganzen südlichen Teil des Kaukasus,
die Provinzen Mingrelien, Darghestan, Karabagk und Tausch. Um diese Zeit
auch trat Persien in den Kreis der großen Weltpolitik, ohne es zu wollen, und
ohne die Möglichkeit, sich ihr jemals wieder zu entziehen. Seine äußere Politik
erhält nunmehr ein allgemeineres Interesse, ihr Angelpunkt ist ein ganzes Jahr¬
hundert lang bis auf den heutigen Tag der Druck von England und Rußland
und deren diplomatische Kämpfe um die Oberhoheit. Den beiden Mächten war
durch Napolons Genie ihre zukünftige Gegnerschaft mit einemmale offen¬
bart worden.


Persten

Ballastes landen zu müssen. Wir gehn ans Schlepptau und können uns nun
leicht die Sandverschwendung leisten, jeden Telegraphendraht und jedes
Häuschen zu überspringen. Jenseit des Greifswalder Universitätsforstes und
der Bahn Anklam-Stralsund suchen wir uns an der nächsten Landstraße, die
eine kurze Wagenfahrt nach der Bahn sichert, den einzigen zwischen Korn¬
feldern gelegnen Sturzäcker aus und landen dort glatt und weich einhalb zwölf
Uhr, zweieinhalb Kilometer hinter der Küste, nahe bei Gust, östlich von
Greifswald.

Wie richtig die Berechnung des Führers gewesen war, bestätigte die Wetter¬
karte des 6. August: die Linksdrehung des Windes über der See erfolgte schon
bei Bornholm, die Windstärke betrug 80 Kilometer in der Stunde, in längstens
vier Stunden also wären wir in Schweden gewesen. Für diese letzte und
schlimmste Enttäuschung auf seiner Jubiläumsfahrt entschädigte den Führer
ein Abend am Strande von Eldena bei Greifswald und ein Tagesausflug
nach Rügen.




Persien
2. j)ersiens äußere Machtstellung seit dem achtzehnten Jahrhundert

! aß Persien bei diesen Zustünden gegen äußere Feinde völlig macht¬
los sein mußte, ist selbstverständlich. Seine Existenz verdankt es
auch nur einer Anzahl günstiger Umstände, dahin gehört zunächst,
>wie bei der Türkei, die Eifersucht der Mächte, dann der Um¬
stand, daß das Land mit seinen großen Wüsten nicht viel Ver-
! lockendes an sich hat, und schließlich, bis vor einem Menschen¬
alter, seine Abgelegenheit von der andern Welt.

Eine letzte kurze Glanzperiode hatte das Reich noch um die Mitte des
achtzehnten Jahrhunderts unter dem großen Herrscher Nadir Shah. Er ver¬
mochte nicht nur Rußland die durch Peter den Großen von dem persischen
Reiche abgerissenen Gebietsfetzen am Kaspischen Meere wieder abzujagen, sondern
führte auch ein persisches Heer siegreich nach Indien und eroberte Delhi, aber
das war auch das letzte Aufflackern alter Größe und Herrlichkeit. Nach seinem
Tode war es mit Persiens Machtstellung vorbei, und bald erschien wieder
Nußland auf dem Plan. Im Jahre 1783 eroberte es Georgien, dann zu An¬
fang des neunzehnten Jahrhunderts den ganzen südlichen Teil des Kaukasus,
die Provinzen Mingrelien, Darghestan, Karabagk und Tausch. Um diese Zeit
auch trat Persien in den Kreis der großen Weltpolitik, ohne es zu wollen, und
ohne die Möglichkeit, sich ihr jemals wieder zu entziehen. Seine äußere Politik
erhält nunmehr ein allgemeineres Interesse, ihr Angelpunkt ist ein ganzes Jahr¬
hundert lang bis auf den heutigen Tag der Druck von England und Rußland
und deren diplomatische Kämpfe um die Oberhoheit. Den beiden Mächten war
durch Napolons Genie ihre zukünftige Gegnerschaft mit einemmale offen¬
bart worden.


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[0208] Persten Ballastes landen zu müssen. Wir gehn ans Schlepptau und können uns nun leicht die Sandverschwendung leisten, jeden Telegraphendraht und jedes Häuschen zu überspringen. Jenseit des Greifswalder Universitätsforstes und der Bahn Anklam-Stralsund suchen wir uns an der nächsten Landstraße, die eine kurze Wagenfahrt nach der Bahn sichert, den einzigen zwischen Korn¬ feldern gelegnen Sturzäcker aus und landen dort glatt und weich einhalb zwölf Uhr, zweieinhalb Kilometer hinter der Küste, nahe bei Gust, östlich von Greifswald. Wie richtig die Berechnung des Führers gewesen war, bestätigte die Wetter¬ karte des 6. August: die Linksdrehung des Windes über der See erfolgte schon bei Bornholm, die Windstärke betrug 80 Kilometer in der Stunde, in längstens vier Stunden also wären wir in Schweden gewesen. Für diese letzte und schlimmste Enttäuschung auf seiner Jubiläumsfahrt entschädigte den Führer ein Abend am Strande von Eldena bei Greifswald und ein Tagesausflug nach Rügen. Persien 2. j)ersiens äußere Machtstellung seit dem achtzehnten Jahrhundert ! aß Persien bei diesen Zustünden gegen äußere Feinde völlig macht¬ los sein mußte, ist selbstverständlich. Seine Existenz verdankt es auch nur einer Anzahl günstiger Umstände, dahin gehört zunächst, >wie bei der Türkei, die Eifersucht der Mächte, dann der Um¬ stand, daß das Land mit seinen großen Wüsten nicht viel Ver- ! lockendes an sich hat, und schließlich, bis vor einem Menschen¬ alter, seine Abgelegenheit von der andern Welt. Eine letzte kurze Glanzperiode hatte das Reich noch um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts unter dem großen Herrscher Nadir Shah. Er ver¬ mochte nicht nur Rußland die durch Peter den Großen von dem persischen Reiche abgerissenen Gebietsfetzen am Kaspischen Meere wieder abzujagen, sondern führte auch ein persisches Heer siegreich nach Indien und eroberte Delhi, aber das war auch das letzte Aufflackern alter Größe und Herrlichkeit. Nach seinem Tode war es mit Persiens Machtstellung vorbei, und bald erschien wieder Nußland auf dem Plan. Im Jahre 1783 eroberte es Georgien, dann zu An¬ fang des neunzehnten Jahrhunderts den ganzen südlichen Teil des Kaukasus, die Provinzen Mingrelien, Darghestan, Karabagk und Tausch. Um diese Zeit auch trat Persien in den Kreis der großen Weltpolitik, ohne es zu wollen, und ohne die Möglichkeit, sich ihr jemals wieder zu entziehen. Seine äußere Politik erhält nunmehr ein allgemeineres Interesse, ihr Angelpunkt ist ein ganzes Jahr¬ hundert lang bis auf den heutigen Tag der Druck von England und Rußland und deren diplomatische Kämpfe um die Oberhoheit. Den beiden Mächten war durch Napolons Genie ihre zukünftige Gegnerschaft mit einemmale offen¬ bart worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/208>, abgerufen am 19.05.2024.