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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Großbritannien und Deutschland
Adolph von Llöckher von

s scheint in Deutschland der Argwohn zu herrschen, daß wir nicht
die volle Erkenntnis von der jetzigen Stellung dieser großen
Nation haben. Ich glaube im Gegenteil, daß es kein Land
gibt, wo nicht nur die Politiker, sondern alle Klassen der Be¬
völkerung mehr und mit größerer Freude die überaus wichtige
Stellung würdigen, die Deutschland seit seiner Einigung in Europa einnimmt."
Das sind Worte, die der damalige britische Minister des Auswärtigen Lord
Granville zur Zeit der ägyptischen Wirren am 6. März 1885 im Oberhause äußerte.
Seitdem ist Ägypten ein unbestrittnes festes Bindeglied der europäischen und
asiatischen Herrschaftsgebiete Englands geworden, und die politischen Beziehungen
Mischen Großbritannien und Deutschland beginnen jetzt nach glücklich über-
wundnen Reibungen wieder angenehme und freundliche zu werden. Das bewies der
abermalige Besuch König Eduards, der erst im vorigen Jahre auf deutschem Boden
mit dem Kaiser zusammengetroffen war und trotzdem schon wieder aus eigner
Initiative und nicht etwa auf eine deutsche Einladung hin eine Entrevue mit
unserm Herrscher hatte. Das verdient gegenüber dem Gerede eines großen Teils
unsrer Presse, daß wir fremden Mächten nachliefen, besonders betont und hervor¬
gehoben zu werden, denn welcher Widerspruch würde in der Tat darin liegen,
wenn König Eduard wirklich mit seiner sogenannten Einkreisungspolitik in er¬
folgreicher Weise Deutschland isoliert hätte und trotzdem gerade den Deutschen
Kaiser durch einen nach so kurzer Frist wiederholten Besuch auszeichnete. Für
jeden logisch denkenden Politiker ist es aber klar, daß England damit vor aller
Welt die Absicht bekundet hat, sich nicht ausschließlich auf Japan und die
romanischen Staaten zu stützen, sondern wieder Deutschland näher zu treten.
Das jüngste Abkommen mit Rußland ist ein weiterer Schritt auf diesem Wege.


Grenzboten IV 1907 43


Großbritannien und Deutschland
Adolph von Llöckher von

s scheint in Deutschland der Argwohn zu herrschen, daß wir nicht
die volle Erkenntnis von der jetzigen Stellung dieser großen
Nation haben. Ich glaube im Gegenteil, daß es kein Land
gibt, wo nicht nur die Politiker, sondern alle Klassen der Be¬
völkerung mehr und mit größerer Freude die überaus wichtige
Stellung würdigen, die Deutschland seit seiner Einigung in Europa einnimmt."
Das sind Worte, die der damalige britische Minister des Auswärtigen Lord
Granville zur Zeit der ägyptischen Wirren am 6. März 1885 im Oberhause äußerte.
Seitdem ist Ägypten ein unbestrittnes festes Bindeglied der europäischen und
asiatischen Herrschaftsgebiete Englands geworden, und die politischen Beziehungen
Mischen Großbritannien und Deutschland beginnen jetzt nach glücklich über-
wundnen Reibungen wieder angenehme und freundliche zu werden. Das bewies der
abermalige Besuch König Eduards, der erst im vorigen Jahre auf deutschem Boden
mit dem Kaiser zusammengetroffen war und trotzdem schon wieder aus eigner
Initiative und nicht etwa auf eine deutsche Einladung hin eine Entrevue mit
unserm Herrscher hatte. Das verdient gegenüber dem Gerede eines großen Teils
unsrer Presse, daß wir fremden Mächten nachliefen, besonders betont und hervor¬
gehoben zu werden, denn welcher Widerspruch würde in der Tat darin liegen,
wenn König Eduard wirklich mit seiner sogenannten Einkreisungspolitik in er¬
folgreicher Weise Deutschland isoliert hätte und trotzdem gerade den Deutschen
Kaiser durch einen nach so kurzer Frist wiederholten Besuch auszeichnete. Für
jeden logisch denkenden Politiker ist es aber klar, daß England damit vor aller
Welt die Absicht bekundet hat, sich nicht ausschließlich auf Japan und die
romanischen Staaten zu stützen, sondern wieder Deutschland näher zu treten.
Das jüngste Abkommen mit Rußland ist ein weiterer Schritt auf diesem Wege.


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[0337] [Abbildung] Großbritannien und Deutschland Adolph von Llöckher von s scheint in Deutschland der Argwohn zu herrschen, daß wir nicht die volle Erkenntnis von der jetzigen Stellung dieser großen Nation haben. Ich glaube im Gegenteil, daß es kein Land gibt, wo nicht nur die Politiker, sondern alle Klassen der Be¬ völkerung mehr und mit größerer Freude die überaus wichtige Stellung würdigen, die Deutschland seit seiner Einigung in Europa einnimmt." Das sind Worte, die der damalige britische Minister des Auswärtigen Lord Granville zur Zeit der ägyptischen Wirren am 6. März 1885 im Oberhause äußerte. Seitdem ist Ägypten ein unbestrittnes festes Bindeglied der europäischen und asiatischen Herrschaftsgebiete Englands geworden, und die politischen Beziehungen Mischen Großbritannien und Deutschland beginnen jetzt nach glücklich über- wundnen Reibungen wieder angenehme und freundliche zu werden. Das bewies der abermalige Besuch König Eduards, der erst im vorigen Jahre auf deutschem Boden mit dem Kaiser zusammengetroffen war und trotzdem schon wieder aus eigner Initiative und nicht etwa auf eine deutsche Einladung hin eine Entrevue mit unserm Herrscher hatte. Das verdient gegenüber dem Gerede eines großen Teils unsrer Presse, daß wir fremden Mächten nachliefen, besonders betont und hervor¬ gehoben zu werden, denn welcher Widerspruch würde in der Tat darin liegen, wenn König Eduard wirklich mit seiner sogenannten Einkreisungspolitik in er¬ folgreicher Weise Deutschland isoliert hätte und trotzdem gerade den Deutschen Kaiser durch einen nach so kurzer Frist wiederholten Besuch auszeichnete. Für jeden logisch denkenden Politiker ist es aber klar, daß England damit vor aller Welt die Absicht bekundet hat, sich nicht ausschließlich auf Japan und die romanischen Staaten zu stützen, sondern wieder Deutschland näher zu treten. Das jüngste Abkommen mit Rußland ist ein weiterer Schritt auf diesem Wege. Grenzboten IV 1907 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/337>, abgerufen am 26.05.2024.