Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Großbritannien und Dontschlcind

Japans bisheriger Schutz der indischen Grenze wird überflüssig. In absehbarer
Zeit werden die Nüssen Indien nicht bedrohen.

In der Weltgeschichte kommt es eben sehr oft anders, als Wut 1s invnäs
geglaubt hat. Die englische Sorge, einmal Indien an Rußland zu verlieren, war
zum eisernen Bestand aller Zeitungspolitiker geworden, und schon zur Zeit des
Transvaalkriegs glaubte man den Moment gekommen, wo sich diese Sorge in
die Wirklichkeit umsetzen würde. Es ist interessant, daß der russische Kaiser am
6. September 1896 dieses Thema ganz freimütig mit dem Reichskanzler Fürsten
Hohenlohe im negativen Sinne besprochen und gesagt hat: Ja, wer soll ihnen
denn Indien nehmen? Wir sind nicht so dumm, einen solchen Plan zu ver¬
folgen. Allerdings äußerte der Zar damals zugleich das entschiedenste Mi߬
trauen gegen die englische Regierung mit den Worten: ^'"uns v6a.u<zoup
I'^nZIktsriö se los ^nAlg-is Hui ins seine sympatniHues, in^is ^ ins insLö als
Isur politiqus. Es ist ein unleugbarer Triumph der vorzüglichen britischen
Diplomatie, daß sie es verstanden hat, dieses Mißtrauen ganz zu überwinden
und eiuen Vertrag mit Nußland abzuschließen.

Weshalb sollte es also bei beiderseitigen guten Willen nicht gelingen, auch
einen Vertrag zwischen Großbritannien und Deutschland zustande zu bringen, bei
dem nicht entfernt solche Neibungsflächen zu überwinden sind, wie es bei Rußland
der Fall war? Der jetzt auf Einladung des Königs Ednard erfolgende Besuch
unsers Kaiserpaares in London kann recht gut der Ausgangspunkt zu einer engern
Freundschaft zwischen den Ländern werden, wenn es beide Regierungen ernstlich
wollen, und wenn England die einzige Bedingung, die wir dabei stellen müssen,
zu erfüllen bereit ist.

Diese Bedingung ist der Beitritt der Vereinigten Staaten von Amerika zu
allen etwaigen deutsch-englischen Abmachungen. Es ist klar, daß die Union für
unsre ganze politische und wirtschaftliche Zukunft mindestens ebenso wichtig ist wie
Großbritannien, das sich, wie man anch immer die Dinge wenden will, seit Jahren
mit bewußter Absicht zwischen Deutschland und Amerika gestellt hat. Auch jetzt
ist lediglich der drohende amerikanisch-japanische Konflikt der Grund für eine
Annäherung Großbritanniens an Rußland und Deutschland gewesen. Der Prüf¬
stein für die Echtheit der britischen Frenndschaftsgefühle gegen uns ist also die
Beteiligung der Vereinigten Staaten von Amerika an allen Vereinbarungen,
denn wir dürfen unter keinen Umständen durch etwaige englisch-deutsche Vertrüge
in die Lage versetzt werden können, etwas zu tun, was den Vereinigten Staaten
unangenehm, Großbritannien aber erwünscht wäre, und solche Möglichkeiten
können bei der Verworrenheit und dem stetigen Wechsel der heutigen Weltpolitik
nur zu leicht eintreten. Will England aber auf diese Bedingung eingehn, so
wird sich die äußere Form für derartige Abmachungen leicht finden lassen, denn
die Zeiten, wo die Diplomaten und Völkerrechtslehrer es wegen der britischen
Verfassung für unmöglich hielten, Verträge mit England abzuschließen, sind


Großbritannien und Dontschlcind

Japans bisheriger Schutz der indischen Grenze wird überflüssig. In absehbarer
Zeit werden die Nüssen Indien nicht bedrohen.

In der Weltgeschichte kommt es eben sehr oft anders, als Wut 1s invnäs
geglaubt hat. Die englische Sorge, einmal Indien an Rußland zu verlieren, war
zum eisernen Bestand aller Zeitungspolitiker geworden, und schon zur Zeit des
Transvaalkriegs glaubte man den Moment gekommen, wo sich diese Sorge in
die Wirklichkeit umsetzen würde. Es ist interessant, daß der russische Kaiser am
6. September 1896 dieses Thema ganz freimütig mit dem Reichskanzler Fürsten
Hohenlohe im negativen Sinne besprochen und gesagt hat: Ja, wer soll ihnen
denn Indien nehmen? Wir sind nicht so dumm, einen solchen Plan zu ver¬
folgen. Allerdings äußerte der Zar damals zugleich das entschiedenste Mi߬
trauen gegen die englische Regierung mit den Worten: ^'»uns v6a.u<zoup
I'^nZIktsriö se los ^nAlg-is Hui ins seine sympatniHues, in^is ^ ins insLö als
Isur politiqus. Es ist ein unleugbarer Triumph der vorzüglichen britischen
Diplomatie, daß sie es verstanden hat, dieses Mißtrauen ganz zu überwinden
und eiuen Vertrag mit Nußland abzuschließen.

Weshalb sollte es also bei beiderseitigen guten Willen nicht gelingen, auch
einen Vertrag zwischen Großbritannien und Deutschland zustande zu bringen, bei
dem nicht entfernt solche Neibungsflächen zu überwinden sind, wie es bei Rußland
der Fall war? Der jetzt auf Einladung des Königs Ednard erfolgende Besuch
unsers Kaiserpaares in London kann recht gut der Ausgangspunkt zu einer engern
Freundschaft zwischen den Ländern werden, wenn es beide Regierungen ernstlich
wollen, und wenn England die einzige Bedingung, die wir dabei stellen müssen,
zu erfüllen bereit ist.

Diese Bedingung ist der Beitritt der Vereinigten Staaten von Amerika zu
allen etwaigen deutsch-englischen Abmachungen. Es ist klar, daß die Union für
unsre ganze politische und wirtschaftliche Zukunft mindestens ebenso wichtig ist wie
Großbritannien, das sich, wie man anch immer die Dinge wenden will, seit Jahren
mit bewußter Absicht zwischen Deutschland und Amerika gestellt hat. Auch jetzt
ist lediglich der drohende amerikanisch-japanische Konflikt der Grund für eine
Annäherung Großbritanniens an Rußland und Deutschland gewesen. Der Prüf¬
stein für die Echtheit der britischen Frenndschaftsgefühle gegen uns ist also die
Beteiligung der Vereinigten Staaten von Amerika an allen Vereinbarungen,
denn wir dürfen unter keinen Umständen durch etwaige englisch-deutsche Vertrüge
in die Lage versetzt werden können, etwas zu tun, was den Vereinigten Staaten
unangenehm, Großbritannien aber erwünscht wäre, und solche Möglichkeiten
können bei der Verworrenheit und dem stetigen Wechsel der heutigen Weltpolitik
nur zu leicht eintreten. Will England aber auf diese Bedingung eingehn, so
wird sich die äußere Form für derartige Abmachungen leicht finden lassen, denn
die Zeiten, wo die Diplomaten und Völkerrechtslehrer es wegen der britischen
Verfassung für unmöglich hielten, Verträge mit England abzuschließen, sind


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303754"/>
          <fw type="header" place="top"> Großbritannien und Dontschlcind</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1507" prev="#ID_1506"> Japans bisheriger Schutz der indischen Grenze wird überflüssig. In absehbarer<lb/>
Zeit werden die Nüssen Indien nicht bedrohen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1508"> In der Weltgeschichte kommt es eben sehr oft anders, als Wut 1s invnäs<lb/>
geglaubt hat. Die englische Sorge, einmal Indien an Rußland zu verlieren, war<lb/>
zum eisernen Bestand aller Zeitungspolitiker geworden, und schon zur Zeit des<lb/>
Transvaalkriegs glaubte man den Moment gekommen, wo sich diese Sorge in<lb/>
die Wirklichkeit umsetzen würde. Es ist interessant, daß der russische Kaiser am<lb/>
6. September 1896 dieses Thema ganz freimütig mit dem Reichskanzler Fürsten<lb/>
Hohenlohe im negativen Sinne besprochen und gesagt hat: Ja, wer soll ihnen<lb/>
denn Indien nehmen? Wir sind nicht so dumm, einen solchen Plan zu ver¬<lb/>
folgen. Allerdings äußerte der Zar damals zugleich das entschiedenste Mi߬<lb/>
trauen gegen die englische Regierung mit den Worten: ^'»uns v6a.u&lt;zoup<lb/>
I'^nZIktsriö se los ^nAlg-is Hui ins seine sympatniHues, in^is ^ ins insLö als<lb/>
Isur politiqus. Es ist ein unleugbarer Triumph der vorzüglichen britischen<lb/>
Diplomatie, daß sie es verstanden hat, dieses Mißtrauen ganz zu überwinden<lb/>
und eiuen Vertrag mit Nußland abzuschließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1509"> Weshalb sollte es also bei beiderseitigen guten Willen nicht gelingen, auch<lb/>
einen Vertrag zwischen Großbritannien und Deutschland zustande zu bringen, bei<lb/>
dem nicht entfernt solche Neibungsflächen zu überwinden sind, wie es bei Rußland<lb/>
der Fall war? Der jetzt auf Einladung des Königs Ednard erfolgende Besuch<lb/>
unsers Kaiserpaares in London kann recht gut der Ausgangspunkt zu einer engern<lb/>
Freundschaft zwischen den Ländern werden, wenn es beide Regierungen ernstlich<lb/>
wollen, und wenn England die einzige Bedingung, die wir dabei stellen müssen,<lb/>
zu erfüllen bereit ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1510" next="#ID_1511"> Diese Bedingung ist der Beitritt der Vereinigten Staaten von Amerika zu<lb/>
allen etwaigen deutsch-englischen Abmachungen. Es ist klar, daß die Union für<lb/>
unsre ganze politische und wirtschaftliche Zukunft mindestens ebenso wichtig ist wie<lb/>
Großbritannien, das sich, wie man anch immer die Dinge wenden will, seit Jahren<lb/>
mit bewußter Absicht zwischen Deutschland und Amerika gestellt hat. Auch jetzt<lb/>
ist lediglich der drohende amerikanisch-japanische Konflikt der Grund für eine<lb/>
Annäherung Großbritanniens an Rußland und Deutschland gewesen. Der Prüf¬<lb/>
stein für die Echtheit der britischen Frenndschaftsgefühle gegen uns ist also die<lb/>
Beteiligung der Vereinigten Staaten von Amerika an allen Vereinbarungen,<lb/>
denn wir dürfen unter keinen Umständen durch etwaige englisch-deutsche Vertrüge<lb/>
in die Lage versetzt werden können, etwas zu tun, was den Vereinigten Staaten<lb/>
unangenehm, Großbritannien aber erwünscht wäre, und solche Möglichkeiten<lb/>
können bei der Verworrenheit und dem stetigen Wechsel der heutigen Weltpolitik<lb/>
nur zu leicht eintreten. Will England aber auf diese Bedingung eingehn, so<lb/>
wird sich die äußere Form für derartige Abmachungen leicht finden lassen, denn<lb/>
die Zeiten, wo die Diplomaten und Völkerrechtslehrer es wegen der britischen<lb/>
Verfassung für unmöglich hielten, Verträge mit England abzuschließen, sind</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0338] Großbritannien und Dontschlcind Japans bisheriger Schutz der indischen Grenze wird überflüssig. In absehbarer Zeit werden die Nüssen Indien nicht bedrohen. In der Weltgeschichte kommt es eben sehr oft anders, als Wut 1s invnäs geglaubt hat. Die englische Sorge, einmal Indien an Rußland zu verlieren, war zum eisernen Bestand aller Zeitungspolitiker geworden, und schon zur Zeit des Transvaalkriegs glaubte man den Moment gekommen, wo sich diese Sorge in die Wirklichkeit umsetzen würde. Es ist interessant, daß der russische Kaiser am 6. September 1896 dieses Thema ganz freimütig mit dem Reichskanzler Fürsten Hohenlohe im negativen Sinne besprochen und gesagt hat: Ja, wer soll ihnen denn Indien nehmen? Wir sind nicht so dumm, einen solchen Plan zu ver¬ folgen. Allerdings äußerte der Zar damals zugleich das entschiedenste Mi߬ trauen gegen die englische Regierung mit den Worten: ^'»uns v6a.u<zoup I'^nZIktsriö se los ^nAlg-is Hui ins seine sympatniHues, in^is ^ ins insLö als Isur politiqus. Es ist ein unleugbarer Triumph der vorzüglichen britischen Diplomatie, daß sie es verstanden hat, dieses Mißtrauen ganz zu überwinden und eiuen Vertrag mit Nußland abzuschließen. Weshalb sollte es also bei beiderseitigen guten Willen nicht gelingen, auch einen Vertrag zwischen Großbritannien und Deutschland zustande zu bringen, bei dem nicht entfernt solche Neibungsflächen zu überwinden sind, wie es bei Rußland der Fall war? Der jetzt auf Einladung des Königs Ednard erfolgende Besuch unsers Kaiserpaares in London kann recht gut der Ausgangspunkt zu einer engern Freundschaft zwischen den Ländern werden, wenn es beide Regierungen ernstlich wollen, und wenn England die einzige Bedingung, die wir dabei stellen müssen, zu erfüllen bereit ist. Diese Bedingung ist der Beitritt der Vereinigten Staaten von Amerika zu allen etwaigen deutsch-englischen Abmachungen. Es ist klar, daß die Union für unsre ganze politische und wirtschaftliche Zukunft mindestens ebenso wichtig ist wie Großbritannien, das sich, wie man anch immer die Dinge wenden will, seit Jahren mit bewußter Absicht zwischen Deutschland und Amerika gestellt hat. Auch jetzt ist lediglich der drohende amerikanisch-japanische Konflikt der Grund für eine Annäherung Großbritanniens an Rußland und Deutschland gewesen. Der Prüf¬ stein für die Echtheit der britischen Frenndschaftsgefühle gegen uns ist also die Beteiligung der Vereinigten Staaten von Amerika an allen Vereinbarungen, denn wir dürfen unter keinen Umständen durch etwaige englisch-deutsche Vertrüge in die Lage versetzt werden können, etwas zu tun, was den Vereinigten Staaten unangenehm, Großbritannien aber erwünscht wäre, und solche Möglichkeiten können bei der Verworrenheit und dem stetigen Wechsel der heutigen Weltpolitik nur zu leicht eintreten. Will England aber auf diese Bedingung eingehn, so wird sich die äußere Form für derartige Abmachungen leicht finden lassen, denn die Zeiten, wo die Diplomaten und Völkerrechtslehrer es wegen der britischen Verfassung für unmöglich hielten, Verträge mit England abzuschließen, sind

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/338
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/338>, abgerufen am 17.06.2024.