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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Über die Linseitigkeiten und Gefahren der Schnlreformbewegung

Steinen Gold machen könne. Bei einer neusten Probe stellte sich heraus, daß
ein großer Teil der in Bilanzen und Börsennotierungen paradierenden Werte
ganz eingebildet war. Als das große Publikum dank dem Rooseveltschen
Vorgehen gegen die Trusts das zu begreifen anfing, war das allgemeine
Mißtrauen da, und nun hieß es: rette sich, wer kann. Der erste Stoß traf
die Banken. Diese mußten nun Geld von ihren Schuldnern fordern, die in
der allgemeinen Panik keine Waren, Eisenbahnen, Wertpapiere, Häuser in Geld
verwandeln konnten. Der Verlauf läßt sich nun an den Fingern abzählen.




Über die (Linseitigkeiten und Gefahren
der schnlreformbewegung
vortrag gehalten vor der Pädagogischen Sektion der Versammlung deutscher Philologen
und Schulmänner in

>er Wunsch, dem ich vor einigen Jahren in einem Schulreform¬
aufsatz irgendwo begegnet bin, man möge doch die Reform damit
beginnen, alle deutschen Gymnasiallehrer auf eine große Wiese
im weiten Vaterlande zusammenzutreiben und niederzuschießen,
! dieser fromme Wunsch hat sich bisher noch nicht verwirklicht.
Diesem ungewöhnlich glücklichen Umstände allein verdanken wir es zu einem
guten Teile, meine Herren, daß wir heute so vergnügt und tatenfroh beisammen
sein können; ihm verdanke auch ich, der ich ebenfalls zu dieser vermaledeiten
Sippe gehöre, die Möglichkeit, am heutigen Tage mich zwar nicht mit jenem
oben angeführten, aber mit manchen andern Wünschen der Reformer und mit
den Aussichten, die ihre Verwirklichung unserm Volke böte, zu beschäftigen.
Ernst genug sind ja die dadurch angeregten Fragen freilich, und ich beeile
mich deswegen, den scherzhaften Ton, zu dem mich jener erste Wunsch nach
dem Juvenalschen Spruche cliWoils ost satiram non soridsro veranlaßt hat,
alsbald abzustreifen und mit aller Wucht des Ernstes in die Prüfung einiger
weiterer solcher Wünsche und Bestrebungen einzutreten, die mir besonders
bedeutungsvoll erscheinen.

Zuerst eine grundlegende Betrachtung. Die Erwägung der veränderten
Verhältnisse einer fortschreitenden Zeit, denen unsre Schule nicht im wünschens¬
werten Tenipo Rechnung trage, scheint mir den psychologischen Boden zu bilden,
aus dem jene Bestrebungen im wesentlichen erwachsen. Eine solche Erwägung
ist gewiß an sich berechtigt. Aber sie muß hier schon deswegen abgelehnt werden,
weil unsre Unterrichtsweise gerade in den letzten Jahrzehnten, wie jeder Sach¬
kundige weiß, eine solche Umbildung nicht bloß ihres ganzen Geistes, sondern
auch ihrer äußern Formen schon erfahren hat, daß man mit Fug fragen kann,


Über die Linseitigkeiten und Gefahren der Schnlreformbewegung

Steinen Gold machen könne. Bei einer neusten Probe stellte sich heraus, daß
ein großer Teil der in Bilanzen und Börsennotierungen paradierenden Werte
ganz eingebildet war. Als das große Publikum dank dem Rooseveltschen
Vorgehen gegen die Trusts das zu begreifen anfing, war das allgemeine
Mißtrauen da, und nun hieß es: rette sich, wer kann. Der erste Stoß traf
die Banken. Diese mußten nun Geld von ihren Schuldnern fordern, die in
der allgemeinen Panik keine Waren, Eisenbahnen, Wertpapiere, Häuser in Geld
verwandeln konnten. Der Verlauf läßt sich nun an den Fingern abzählen.




Über die (Linseitigkeiten und Gefahren
der schnlreformbewegung
vortrag gehalten vor der Pädagogischen Sektion der Versammlung deutscher Philologen
und Schulmänner in

>er Wunsch, dem ich vor einigen Jahren in einem Schulreform¬
aufsatz irgendwo begegnet bin, man möge doch die Reform damit
beginnen, alle deutschen Gymnasiallehrer auf eine große Wiese
im weiten Vaterlande zusammenzutreiben und niederzuschießen,
! dieser fromme Wunsch hat sich bisher noch nicht verwirklicht.
Diesem ungewöhnlich glücklichen Umstände allein verdanken wir es zu einem
guten Teile, meine Herren, daß wir heute so vergnügt und tatenfroh beisammen
sein können; ihm verdanke auch ich, der ich ebenfalls zu dieser vermaledeiten
Sippe gehöre, die Möglichkeit, am heutigen Tage mich zwar nicht mit jenem
oben angeführten, aber mit manchen andern Wünschen der Reformer und mit
den Aussichten, die ihre Verwirklichung unserm Volke böte, zu beschäftigen.
Ernst genug sind ja die dadurch angeregten Fragen freilich, und ich beeile
mich deswegen, den scherzhaften Ton, zu dem mich jener erste Wunsch nach
dem Juvenalschen Spruche cliWoils ost satiram non soridsro veranlaßt hat,
alsbald abzustreifen und mit aller Wucht des Ernstes in die Prüfung einiger
weiterer solcher Wünsche und Bestrebungen einzutreten, die mir besonders
bedeutungsvoll erscheinen.

Zuerst eine grundlegende Betrachtung. Die Erwägung der veränderten
Verhältnisse einer fortschreitenden Zeit, denen unsre Schule nicht im wünschens¬
werten Tenipo Rechnung trage, scheint mir den psychologischen Boden zu bilden,
aus dem jene Bestrebungen im wesentlichen erwachsen. Eine solche Erwägung
ist gewiß an sich berechtigt. Aber sie muß hier schon deswegen abgelehnt werden,
weil unsre Unterrichtsweise gerade in den letzten Jahrzehnten, wie jeder Sach¬
kundige weiß, eine solche Umbildung nicht bloß ihres ganzen Geistes, sondern
auch ihrer äußern Formen schon erfahren hat, daß man mit Fug fragen kann,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/570>, abgerufen am 19.05.2024.