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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Trusts, Schwindel, Handelskrisis in Amerika

konnten nicht bezahlen. Wie die Murmeltiere auf das Warnungszeichen ihres
Wächters, so hatten sich die Dollars verkrochen: wer irgend konnte, nahm sein
Geld und hütete es unter eigner Hand. Im ganzen, so rechnete man später
aus, brachen in den Vereinigten Staaten und Britisch-Nordamerika 5123 Häuser
mit einem Gesamtkapital von 299,8 Millionen Dollars zusammen, 435 von
diesen nahmen später unter Vollzahlung ihre Geschäfte wieder auf. Von 3800
nahm man an. daß sie mit 40 vom Hundert abwickeln würden. Seitdem ist
die Bevölkerung sowie der Umfang der Geschäfte in Amerika stark gewachsen.
Und dennoch hat nur ein einziges Jahr eine größere Summe von Bankerotten
geliefert als damals. Es war 1893 mit 15242 Bankerotten und einer Ver¬
bindlichkeitssumme von 346 Millionen Dollars. Gewöhnlich wird jetzt eine
Summe von etwa 150 Millionen Dollars erreicht.

Reißend schnell pflanzte sich das Unheil fort. Vom 25. Oktober an kam
es in England zum Ausbruch. Am 12. Oktober war der Bankdiskont in
London auf 7 vom Hundert gegangen; am 19. ging er auf 8, am 5. No¬
vember auf 9, am 10. auf 10, und am 12. hob man zeitweilig die Peelsche
Bankakte auf: ein Hilfsmittel der alleräußersten Not, das nur selten angewandt
wird. Wie ein Orkan brauste das Unwetter herein und vorüber. Am 23. De¬
zember begann man schon wieder mit Ermäßigung des Diskonts, und am
10. Februar konnte er schon auf 3 vom Hundert herabgesetzt werden. Gleich
darauf kam es in Hamburg zum Ausbruch. Auch dort ging der Diskont am
15. Dezember auf 10 vom Hundert. Die Summe der Verbindlichkeiten der
in wenig Wochen zusammenbrechenden Häuser wurde auf 300 Millionen Reichs¬
mark berechnet. Es verdient wohl festgehalten zu werden, daß diese furchtbare
Handelskrise die Kulturwelt heimsuchte, als noch England das einzige Gold¬
währungsland war, als in Frankreich, in der Schweiz und in Belgien die
vertragsmäßige internationale Doppelwährung herrschte, als die Vereinigten
Staaten ihre eigne Doppelwährung hatten, und als in Deutschland mit alleiniger
Ausnahme der einen Stadt Bremen eine reine Silberwährung galt; auch in
Hamburg. Man sollte sich dies vergegenwärtigen, da sich anscheinend die
Doppelwährungspartei zu einem umfassenden Anklageverfahren gegen die Gold¬
währung als die Ursache der Handelskrisis anschickt. In den Vereinigten
Staaten hat man die freie Ausprägung des Silbers aufgehoben, im übrigen gilt
dort noch heute Doppelwährung.

Heute nimmt wie 1857 die Krisis ihren Ausgang von Nordamerika. Die
wahre Ursache ist die, daß dort jahrelang ein stets wachsender Schwindel ge¬
trieben worden ist, der sich am schärfsten in den Trustbildungen ausspricht.
Diese sind solche Nester der Augenverblenderei und des groben Betrugs, wie
niemals etwas vorgekommen ist. Auf Grund der Gewalt, die sie sich erobert
haben, haben sie eine Unsumme kleinerer Unternehmungen zerstört. Sie haben
große Vermögen zusammenscharren können. Es erwuchs daraus aber auch die
Vorstellung, als sei das Wort "Trust" einem Zauberspruch gleich, der aus


Trusts, Schwindel, Handelskrisis in Amerika

konnten nicht bezahlen. Wie die Murmeltiere auf das Warnungszeichen ihres
Wächters, so hatten sich die Dollars verkrochen: wer irgend konnte, nahm sein
Geld und hütete es unter eigner Hand. Im ganzen, so rechnete man später
aus, brachen in den Vereinigten Staaten und Britisch-Nordamerika 5123 Häuser
mit einem Gesamtkapital von 299,8 Millionen Dollars zusammen, 435 von
diesen nahmen später unter Vollzahlung ihre Geschäfte wieder auf. Von 3800
nahm man an. daß sie mit 40 vom Hundert abwickeln würden. Seitdem ist
die Bevölkerung sowie der Umfang der Geschäfte in Amerika stark gewachsen.
Und dennoch hat nur ein einziges Jahr eine größere Summe von Bankerotten
geliefert als damals. Es war 1893 mit 15242 Bankerotten und einer Ver¬
bindlichkeitssumme von 346 Millionen Dollars. Gewöhnlich wird jetzt eine
Summe von etwa 150 Millionen Dollars erreicht.

Reißend schnell pflanzte sich das Unheil fort. Vom 25. Oktober an kam
es in England zum Ausbruch. Am 12. Oktober war der Bankdiskont in
London auf 7 vom Hundert gegangen; am 19. ging er auf 8, am 5. No¬
vember auf 9, am 10. auf 10, und am 12. hob man zeitweilig die Peelsche
Bankakte auf: ein Hilfsmittel der alleräußersten Not, das nur selten angewandt
wird. Wie ein Orkan brauste das Unwetter herein und vorüber. Am 23. De¬
zember begann man schon wieder mit Ermäßigung des Diskonts, und am
10. Februar konnte er schon auf 3 vom Hundert herabgesetzt werden. Gleich
darauf kam es in Hamburg zum Ausbruch. Auch dort ging der Diskont am
15. Dezember auf 10 vom Hundert. Die Summe der Verbindlichkeiten der
in wenig Wochen zusammenbrechenden Häuser wurde auf 300 Millionen Reichs¬
mark berechnet. Es verdient wohl festgehalten zu werden, daß diese furchtbare
Handelskrise die Kulturwelt heimsuchte, als noch England das einzige Gold¬
währungsland war, als in Frankreich, in der Schweiz und in Belgien die
vertragsmäßige internationale Doppelwährung herrschte, als die Vereinigten
Staaten ihre eigne Doppelwährung hatten, und als in Deutschland mit alleiniger
Ausnahme der einen Stadt Bremen eine reine Silberwährung galt; auch in
Hamburg. Man sollte sich dies vergegenwärtigen, da sich anscheinend die
Doppelwährungspartei zu einem umfassenden Anklageverfahren gegen die Gold¬
währung als die Ursache der Handelskrisis anschickt. In den Vereinigten
Staaten hat man die freie Ausprägung des Silbers aufgehoben, im übrigen gilt
dort noch heute Doppelwährung.

Heute nimmt wie 1857 die Krisis ihren Ausgang von Nordamerika. Die
wahre Ursache ist die, daß dort jahrelang ein stets wachsender Schwindel ge¬
trieben worden ist, der sich am schärfsten in den Trustbildungen ausspricht.
Diese sind solche Nester der Augenverblenderei und des groben Betrugs, wie
niemals etwas vorgekommen ist. Auf Grund der Gewalt, die sie sich erobert
haben, haben sie eine Unsumme kleinerer Unternehmungen zerstört. Sie haben
große Vermögen zusammenscharren können. Es erwuchs daraus aber auch die
Vorstellung, als sei das Wort „Trust" einem Zauberspruch gleich, der aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/569>, abgerufen am 09.06.2024.