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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Frankreich und die Opiumfrage

ach Baudelaire, Pierre Lodi, Jean Lorrain und Thomas de Quincey
(Beichte eines Opiumrauchers) noch Opiumhöhlen beschreiben oder
in das Traumland der braunen Fee führen zu wollen, hieße Eulen
nach Athen tragen oder den Cakewalk nach Amerika bringen. Jeder
Leser kennt das. Wohl aber kann man aus Anlaß der kürzlich wegen
Landesverrats in Toulon erfolgten Verhaftung des französischen Seeoffiziers
Ullmo darauf hinweisen, daß auch dieser Unglückliche ein Opfer der braunen Fee,
ein leidenschaftlicher Opiumraucher gewesen zu sein scheint. Was der Alkohol im
Westen, ist das Opium im Osten. Zum Alkohol ist dann im Westen noch das
Opium gekommen, das der Krebsschaden der französischen Marine geworden ist,
die die Verbindung zwischen dem französischen Osten und Westen, zwischen den
asiatischen Kolonien und der europäischen Heimat herstellt. Das Opium zehrt an
Offizieren und Mannschaften der Marine gleichermaßen und verschont auch die
Kolonialinfanterie nicht. Wohl horcht auch der oberflächliche Zeitungsleser auf,
wenn er, wie vor einigen Wochen, liest, daß der Marineminister eine strenge
Verordnung gegen das Opiumraucher erlassen hat. Aber der Kundige lächelt nur.
Er weiß, daß das nicht die erste Verordnung ist, und daß sie an den tatsäch¬
lichen Verhältnissen ebensowenig etwas ändern wird wie ihre zahlreichen Vor¬
gängerinnen. Denn den Kaiserschnitt, der das ganze Übel herausholen würde,
wagt man in Frankreich nicht, wenigstens noch nicht.

Zwar sind Kolonial- und Marineministerium in der allerhöchsten Sorge
um ihre Leute. Sie wissen, daß ein Sechstel der Kolonialinfanterie, ein Fünftel
der Fremdenlegion und ein Viertel der in den einheimischen Regimentern der
asiatischen Kolonien dienenden Europäer dem Nerven und Geist zerstörenden
Opiumraucher verfallen sind, und daß der Prozentsatz in der Offizierwelt der
Marine derselbe ist. Sie wissen, daß es exotische "Assommoirs", in denen die
teuflische Lampe brennt, in allen Kriegshafen Frankreichs gibt. Sie wissen,
daß diese Höhlen viel wildere Verwüstungen anrichten, als die Assommoirs der
Heimat, die Zola mit glühendem Stifte gebrandmarkt hat. Man ist in den
beiden Ministerien ganz genau darüber unterrichtet, wie weit Toulon, Marseille,
Brest, Lorient, Nochefort und Cherbourg, die Kriegshafen, in denen die See¬
offiziere und Matrosen aus und ein gehen, mit dem braunen Gifte durchseucht
sind. Und dies, obwohl das französische Gesetz mit harten Geld- oder Ge¬
fängnisstrafen alle die trifft, die ohne Ermächtigung Gifte verkaufen. Es ist




Frankreich und die Opiumfrage

ach Baudelaire, Pierre Lodi, Jean Lorrain und Thomas de Quincey
(Beichte eines Opiumrauchers) noch Opiumhöhlen beschreiben oder
in das Traumland der braunen Fee führen zu wollen, hieße Eulen
nach Athen tragen oder den Cakewalk nach Amerika bringen. Jeder
Leser kennt das. Wohl aber kann man aus Anlaß der kürzlich wegen
Landesverrats in Toulon erfolgten Verhaftung des französischen Seeoffiziers
Ullmo darauf hinweisen, daß auch dieser Unglückliche ein Opfer der braunen Fee,
ein leidenschaftlicher Opiumraucher gewesen zu sein scheint. Was der Alkohol im
Westen, ist das Opium im Osten. Zum Alkohol ist dann im Westen noch das
Opium gekommen, das der Krebsschaden der französischen Marine geworden ist,
die die Verbindung zwischen dem französischen Osten und Westen, zwischen den
asiatischen Kolonien und der europäischen Heimat herstellt. Das Opium zehrt an
Offizieren und Mannschaften der Marine gleichermaßen und verschont auch die
Kolonialinfanterie nicht. Wohl horcht auch der oberflächliche Zeitungsleser auf,
wenn er, wie vor einigen Wochen, liest, daß der Marineminister eine strenge
Verordnung gegen das Opiumraucher erlassen hat. Aber der Kundige lächelt nur.
Er weiß, daß das nicht die erste Verordnung ist, und daß sie an den tatsäch¬
lichen Verhältnissen ebensowenig etwas ändern wird wie ihre zahlreichen Vor¬
gängerinnen. Denn den Kaiserschnitt, der das ganze Übel herausholen würde,
wagt man in Frankreich nicht, wenigstens noch nicht.

Zwar sind Kolonial- und Marineministerium in der allerhöchsten Sorge
um ihre Leute. Sie wissen, daß ein Sechstel der Kolonialinfanterie, ein Fünftel
der Fremdenlegion und ein Viertel der in den einheimischen Regimentern der
asiatischen Kolonien dienenden Europäer dem Nerven und Geist zerstörenden
Opiumraucher verfallen sind, und daß der Prozentsatz in der Offizierwelt der
Marine derselbe ist. Sie wissen, daß es exotische „Assommoirs", in denen die
teuflische Lampe brennt, in allen Kriegshafen Frankreichs gibt. Sie wissen,
daß diese Höhlen viel wildere Verwüstungen anrichten, als die Assommoirs der
Heimat, die Zola mit glühendem Stifte gebrandmarkt hat. Man ist in den
beiden Ministerien ganz genau darüber unterrichtet, wie weit Toulon, Marseille,
Brest, Lorient, Nochefort und Cherbourg, die Kriegshafen, in denen die See¬
offiziere und Matrosen aus und ein gehen, mit dem braunen Gifte durchseucht
sind. Und dies, obwohl das französische Gesetz mit harten Geld- oder Ge¬
fängnisstrafen alle die trifft, die ohne Ermächtigung Gifte verkaufen. Es ist


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[0625] [Abbildung] Frankreich und die Opiumfrage ach Baudelaire, Pierre Lodi, Jean Lorrain und Thomas de Quincey (Beichte eines Opiumrauchers) noch Opiumhöhlen beschreiben oder in das Traumland der braunen Fee führen zu wollen, hieße Eulen nach Athen tragen oder den Cakewalk nach Amerika bringen. Jeder Leser kennt das. Wohl aber kann man aus Anlaß der kürzlich wegen Landesverrats in Toulon erfolgten Verhaftung des französischen Seeoffiziers Ullmo darauf hinweisen, daß auch dieser Unglückliche ein Opfer der braunen Fee, ein leidenschaftlicher Opiumraucher gewesen zu sein scheint. Was der Alkohol im Westen, ist das Opium im Osten. Zum Alkohol ist dann im Westen noch das Opium gekommen, das der Krebsschaden der französischen Marine geworden ist, die die Verbindung zwischen dem französischen Osten und Westen, zwischen den asiatischen Kolonien und der europäischen Heimat herstellt. Das Opium zehrt an Offizieren und Mannschaften der Marine gleichermaßen und verschont auch die Kolonialinfanterie nicht. Wohl horcht auch der oberflächliche Zeitungsleser auf, wenn er, wie vor einigen Wochen, liest, daß der Marineminister eine strenge Verordnung gegen das Opiumraucher erlassen hat. Aber der Kundige lächelt nur. Er weiß, daß das nicht die erste Verordnung ist, und daß sie an den tatsäch¬ lichen Verhältnissen ebensowenig etwas ändern wird wie ihre zahlreichen Vor¬ gängerinnen. Denn den Kaiserschnitt, der das ganze Übel herausholen würde, wagt man in Frankreich nicht, wenigstens noch nicht. Zwar sind Kolonial- und Marineministerium in der allerhöchsten Sorge um ihre Leute. Sie wissen, daß ein Sechstel der Kolonialinfanterie, ein Fünftel der Fremdenlegion und ein Viertel der in den einheimischen Regimentern der asiatischen Kolonien dienenden Europäer dem Nerven und Geist zerstörenden Opiumraucher verfallen sind, und daß der Prozentsatz in der Offizierwelt der Marine derselbe ist. Sie wissen, daß es exotische „Assommoirs", in denen die teuflische Lampe brennt, in allen Kriegshafen Frankreichs gibt. Sie wissen, daß diese Höhlen viel wildere Verwüstungen anrichten, als die Assommoirs der Heimat, die Zola mit glühendem Stifte gebrandmarkt hat. Man ist in den beiden Ministerien ganz genau darüber unterrichtet, wie weit Toulon, Marseille, Brest, Lorient, Nochefort und Cherbourg, die Kriegshafen, in denen die See¬ offiziere und Matrosen aus und ein gehen, mit dem braunen Gifte durchseucht sind. Und dies, obwohl das französische Gesetz mit harten Geld- oder Ge¬ fängnisstrafen alle die trifft, die ohne Ermächtigung Gifte verkaufen. Es ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/625>, abgerufen am 18.05.2024.