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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Frankreich und die Dpiumfrage

ein öffentliches Geheimnis in Frankreich, daß in den Kriegshafen, namentlich
in den südlichen, neben den eigentlichen Opiumkneipen alle Demimondänen
Opiumsitzungen abhalten, und daß aktive und inaktive Seeoffiziere mit ihren
Familien zu Hause rauchen und Freunde und Bekannte zum Opiumgenuß ein¬
laden, wie man zum Fünfuhrtee einlädt. Was will es da sagen, daß bald hier
bald da eine besonders berüchtigt gewordne Opiumhöhle aufgehoben wird, die zu
Skandalen Anlaß gegeben hat? Ein Tropfen auf einen heißen Stein! In der
vornehmen Welt von Toulon gab und gibt es eine Opiumstnnde, wie man
anderswo eine Aperitifstunde hat.

Aber auch Paris ist, wie erklärlich, von der Seuche nicht verschont ge¬
blieben. An allen Ecken und Kanten, in allen Vierteln der Seinehauptstadt
haben sich seit der Hochkonjunktur für das Laster zur Zeit der Weltausstellung
von 1889 Opiumhöhlen feinster und gemeinster Sorte aufgetan, oder viel¬
mehr nicht aufgetan. Denn meist arbeiteten sie in schützendem Halbdunkel.
Gegründet wurden sie fast immer von Leuten rstvur Ah IdnKin. Und retour
as IdnKW ist auch das Stich- und Losungswort für die, die als Gäste auf¬
genommen werden wollen. In den südlichen Häfen Frankreichs wird das Opium
ganz öffentlich verkauft. Wenn man dort in gewissen Läden ein weithin
sichtbares Plakat hängen sieht, das verkündet, daß der "Tee angekommen" ist,
so weiß der Opiumraucher, was die Glocke geschlagen hat. Und auch in Paris,
wo man selbst kein Opium erhält, weiß der Opiumraucher ganz genau, an wen
er sich in Toulon oder in Marseille zu wenden hat, um "Tee" zu bekommen.

Das Übel hatte schließlich derart um sich gegriffen, daß im vergangnen
Dezember der radikale Abgeordnete der Charente Jnftrieure, Reveillaud, durch
drakonische Gesetze das Opium verboten wissen wollte, ebenso wie Totalisator,
Hahnen- und Stierkämpfe (mit sorriäg.8 g. unsres!). Das sind alles in der
Tat, si xarvg, liest ssinxonsrs ingAiüs, soziale Gifte. Aber keines kommt dem
Opium an Furchtbarkeit gleich. Hat man sich doch in wissenschaftlichen und
marinetechnischen Kreisen Frankreichs ernsthaft gefragt, ob die in den letzten
Jahren so ungemein zahlreichen Schiffs Unfälle der französischen Flotte auf den
übermäßigen Opiumgenuß zurückzuführen seien. Und man nimmt an, daß das
Opium nicht ganz unschuldig ist. Im Zustande der Opiumglückseligkeit sieht
der Offizier die Gefahr überhaupt nicht, die ihn auf seinem Schiff und auf See
in einem gegebnen Augenblick bedroht.

Ja aber wenn nicht nur die ungeheure Gefahr des Übels, sondern auch
seine Ausdehnung wirklich erkannt ist, warum entschließt sich denn Frank¬
reich da nicht einfach, dem Übel so gründlich zuleide zu gehn, wie es über¬
haupt nur möglich ist, und wie es sogar China jetzt tut? Ja warum nicht?
Warum sind republikanische Patrioten wie zum Beispiel Cornely gezwungen,
cinzugestehn, daß sie das Verhalten Frankreichs neben dem Vorgehen Chinas
mit Beschämung erfüllt?

Die Frage ist eben für Frankreich keine einfache soziale Frage geblieben,
sondern eine seit langem durch fiskalische Erwägungen verwickelte. Derselbe Staat,


Frankreich und die Dpiumfrage

ein öffentliches Geheimnis in Frankreich, daß in den Kriegshafen, namentlich
in den südlichen, neben den eigentlichen Opiumkneipen alle Demimondänen
Opiumsitzungen abhalten, und daß aktive und inaktive Seeoffiziere mit ihren
Familien zu Hause rauchen und Freunde und Bekannte zum Opiumgenuß ein¬
laden, wie man zum Fünfuhrtee einlädt. Was will es da sagen, daß bald hier
bald da eine besonders berüchtigt gewordne Opiumhöhle aufgehoben wird, die zu
Skandalen Anlaß gegeben hat? Ein Tropfen auf einen heißen Stein! In der
vornehmen Welt von Toulon gab und gibt es eine Opiumstnnde, wie man
anderswo eine Aperitifstunde hat.

Aber auch Paris ist, wie erklärlich, von der Seuche nicht verschont ge¬
blieben. An allen Ecken und Kanten, in allen Vierteln der Seinehauptstadt
haben sich seit der Hochkonjunktur für das Laster zur Zeit der Weltausstellung
von 1889 Opiumhöhlen feinster und gemeinster Sorte aufgetan, oder viel¬
mehr nicht aufgetan. Denn meist arbeiteten sie in schützendem Halbdunkel.
Gegründet wurden sie fast immer von Leuten rstvur Ah IdnKin. Und retour
as IdnKW ist auch das Stich- und Losungswort für die, die als Gäste auf¬
genommen werden wollen. In den südlichen Häfen Frankreichs wird das Opium
ganz öffentlich verkauft. Wenn man dort in gewissen Läden ein weithin
sichtbares Plakat hängen sieht, das verkündet, daß der „Tee angekommen" ist,
so weiß der Opiumraucher, was die Glocke geschlagen hat. Und auch in Paris,
wo man selbst kein Opium erhält, weiß der Opiumraucher ganz genau, an wen
er sich in Toulon oder in Marseille zu wenden hat, um „Tee" zu bekommen.

Das Übel hatte schließlich derart um sich gegriffen, daß im vergangnen
Dezember der radikale Abgeordnete der Charente Jnftrieure, Reveillaud, durch
drakonische Gesetze das Opium verboten wissen wollte, ebenso wie Totalisator,
Hahnen- und Stierkämpfe (mit sorriäg.8 g. unsres!). Das sind alles in der
Tat, si xarvg, liest ssinxonsrs ingAiüs, soziale Gifte. Aber keines kommt dem
Opium an Furchtbarkeit gleich. Hat man sich doch in wissenschaftlichen und
marinetechnischen Kreisen Frankreichs ernsthaft gefragt, ob die in den letzten
Jahren so ungemein zahlreichen Schiffs Unfälle der französischen Flotte auf den
übermäßigen Opiumgenuß zurückzuführen seien. Und man nimmt an, daß das
Opium nicht ganz unschuldig ist. Im Zustande der Opiumglückseligkeit sieht
der Offizier die Gefahr überhaupt nicht, die ihn auf seinem Schiff und auf See
in einem gegebnen Augenblick bedroht.

Ja aber wenn nicht nur die ungeheure Gefahr des Übels, sondern auch
seine Ausdehnung wirklich erkannt ist, warum entschließt sich denn Frank¬
reich da nicht einfach, dem Übel so gründlich zuleide zu gehn, wie es über¬
haupt nur möglich ist, und wie es sogar China jetzt tut? Ja warum nicht?
Warum sind republikanische Patrioten wie zum Beispiel Cornely gezwungen,
cinzugestehn, daß sie das Verhalten Frankreichs neben dem Vorgehen Chinas
mit Beschämung erfüllt?

Die Frage ist eben für Frankreich keine einfache soziale Frage geblieben,
sondern eine seit langem durch fiskalische Erwägungen verwickelte. Derselbe Staat,


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[0626] Frankreich und die Dpiumfrage ein öffentliches Geheimnis in Frankreich, daß in den Kriegshafen, namentlich in den südlichen, neben den eigentlichen Opiumkneipen alle Demimondänen Opiumsitzungen abhalten, und daß aktive und inaktive Seeoffiziere mit ihren Familien zu Hause rauchen und Freunde und Bekannte zum Opiumgenuß ein¬ laden, wie man zum Fünfuhrtee einlädt. Was will es da sagen, daß bald hier bald da eine besonders berüchtigt gewordne Opiumhöhle aufgehoben wird, die zu Skandalen Anlaß gegeben hat? Ein Tropfen auf einen heißen Stein! In der vornehmen Welt von Toulon gab und gibt es eine Opiumstnnde, wie man anderswo eine Aperitifstunde hat. Aber auch Paris ist, wie erklärlich, von der Seuche nicht verschont ge¬ blieben. An allen Ecken und Kanten, in allen Vierteln der Seinehauptstadt haben sich seit der Hochkonjunktur für das Laster zur Zeit der Weltausstellung von 1889 Opiumhöhlen feinster und gemeinster Sorte aufgetan, oder viel¬ mehr nicht aufgetan. Denn meist arbeiteten sie in schützendem Halbdunkel. Gegründet wurden sie fast immer von Leuten rstvur Ah IdnKin. Und retour as IdnKW ist auch das Stich- und Losungswort für die, die als Gäste auf¬ genommen werden wollen. In den südlichen Häfen Frankreichs wird das Opium ganz öffentlich verkauft. Wenn man dort in gewissen Läden ein weithin sichtbares Plakat hängen sieht, das verkündet, daß der „Tee angekommen" ist, so weiß der Opiumraucher, was die Glocke geschlagen hat. Und auch in Paris, wo man selbst kein Opium erhält, weiß der Opiumraucher ganz genau, an wen er sich in Toulon oder in Marseille zu wenden hat, um „Tee" zu bekommen. Das Übel hatte schließlich derart um sich gegriffen, daß im vergangnen Dezember der radikale Abgeordnete der Charente Jnftrieure, Reveillaud, durch drakonische Gesetze das Opium verboten wissen wollte, ebenso wie Totalisator, Hahnen- und Stierkämpfe (mit sorriäg.8 g. unsres!). Das sind alles in der Tat, si xarvg, liest ssinxonsrs ingAiüs, soziale Gifte. Aber keines kommt dem Opium an Furchtbarkeit gleich. Hat man sich doch in wissenschaftlichen und marinetechnischen Kreisen Frankreichs ernsthaft gefragt, ob die in den letzten Jahren so ungemein zahlreichen Schiffs Unfälle der französischen Flotte auf den übermäßigen Opiumgenuß zurückzuführen seien. Und man nimmt an, daß das Opium nicht ganz unschuldig ist. Im Zustande der Opiumglückseligkeit sieht der Offizier die Gefahr überhaupt nicht, die ihn auf seinem Schiff und auf See in einem gegebnen Augenblick bedroht. Ja aber wenn nicht nur die ungeheure Gefahr des Übels, sondern auch seine Ausdehnung wirklich erkannt ist, warum entschließt sich denn Frank¬ reich da nicht einfach, dem Übel so gründlich zuleide zu gehn, wie es über¬ haupt nur möglich ist, und wie es sogar China jetzt tut? Ja warum nicht? Warum sind republikanische Patrioten wie zum Beispiel Cornely gezwungen, cinzugestehn, daß sie das Verhalten Frankreichs neben dem Vorgehen Chinas mit Beschämung erfüllt? Die Frage ist eben für Frankreich keine einfache soziale Frage geblieben, sondern eine seit langem durch fiskalische Erwägungen verwickelte. Derselbe Staat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/626>, abgerufen am 10.06.2024.