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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Neue Romane und Novellen

hessischen Stände im Bunde mit dem (berühmten) Fürstbischof Julius Echter von
Würzburg den Abt von Fulda vertrieben haben. Im vorletzten Kapitel werden
einige Charakterbilder deutscher Jesuiten gezeichnet, im letzten (dreiundzwanzigsten)
Urteile protestantischer und katholischer Zeitgenossen über den Orden zusammen¬
L. Jentsch gestellt. _




Neue Romane und Novellen
Heinrich Zpiero von

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M!me Reihe von großen und zum Teil durchaus verdienten Er¬
folgen hat in den letzten Jahren den deutschen Roman noch
mehr in den Vordergrund literarischer Beachtung und Ve¬
rwertung geschoben, und zwar auch bei dem Publikum, das mit
Unrecht auf diese Gattung des Schrifttums herabsah und herab¬
sehen zu müssen glaubte, weil das, was die Welle früher nach oben trug,
wirklich nur immer leicht wie Kork war. Nicht Wilhelm Raabe oder Gottfried
Keller genossen in den Jahren ihrer frischen Kraft die Erfolge, sondern seichte
Unterhaltungsschriftsteller, die selbst Friedrich Spielhagen und Paul Heyse in
der Gunst der breiten Menge weit hinter sich ließen. Nur so ja konnte das
ungeheure Mißverständnis entstehn, ans dem heraus beim Beginn der letzten
literarischen Revolution man dem Publikum einreden wollte, daß die damals
lebendige deutsche Literatur aus Dahn, Ebers, Baumbach, Bodenstedt, Lindau usw.
bestünde, während doch Meister wie Raabe, Keller, Heyse, den man freilich nicht
gelten lassen wollte, Meyer, Storm, Freytag lebten und zum größten Teil
noch schufen, mindestens aber den Anspruch erheben durften, neben der Literatur
des Tags und des Jahrs ganz anders zu Worte zu kommen als bis dahin.
Fontane, der jetzt seinen jugendlichen Altersstil fand, wurde von den Jungen
auf den Schild gehoben. Aber andre, und vor allem Raabe, sind erst am Ende
der Bewegung nach vorn gekommen und wirkten nun freilich um so stärker.

Wo stehn wir denn nun heute? Ich habe vorher von zum Teil verdienten
Romanerfolgen gesprochen. Ich leugne also nicht, daß viele der seit zehn Jahren
in großen Auflagen verbreiteten Romane ihres Rufs Wohl wert sind. Es ist
höchst erfreulich, daß Bücher wie der kraftvolle "Büttnerbauer" von Wilhelm
von Potenz, Omptedas tapfre Adelsromane, Thomas Manns seine "Budden-
brocks", Hermann Hesses heitrer und lyrisch zarter "Peter Camenzind", Frenssens
starker "Jörn Abt" oder seine jugendfrischem "Drei Getreuen", Otto Ernsts
schlicht erzählter "Asmus Semper" weithin gelesen werden.

Aber das Verhältnis, das zum Beispiel zwischen der Verbreitung des
"Tagebuchs einer Verlorenen" und Wilhelm Specks "Zwei Seelen" obwaltet,
zeugt nicht für eine Erhöhung des Durchschuittsniveaus. Ein Publikum, das
"Hilligenlei" immer noch binnen wenigen Jahren fünfmal so hoch bewertet als


Neue Romane und Novellen

hessischen Stände im Bunde mit dem (berühmten) Fürstbischof Julius Echter von
Würzburg den Abt von Fulda vertrieben haben. Im vorletzten Kapitel werden
einige Charakterbilder deutscher Jesuiten gezeichnet, im letzten (dreiundzwanzigsten)
Urteile protestantischer und katholischer Zeitgenossen über den Orden zusammen¬
L. Jentsch gestellt. _




Neue Romane und Novellen
Heinrich Zpiero von

k^As
M!me Reihe von großen und zum Teil durchaus verdienten Er¬
folgen hat in den letzten Jahren den deutschen Roman noch
mehr in den Vordergrund literarischer Beachtung und Ve¬
rwertung geschoben, und zwar auch bei dem Publikum, das mit
Unrecht auf diese Gattung des Schrifttums herabsah und herab¬
sehen zu müssen glaubte, weil das, was die Welle früher nach oben trug,
wirklich nur immer leicht wie Kork war. Nicht Wilhelm Raabe oder Gottfried
Keller genossen in den Jahren ihrer frischen Kraft die Erfolge, sondern seichte
Unterhaltungsschriftsteller, die selbst Friedrich Spielhagen und Paul Heyse in
der Gunst der breiten Menge weit hinter sich ließen. Nur so ja konnte das
ungeheure Mißverständnis entstehn, ans dem heraus beim Beginn der letzten
literarischen Revolution man dem Publikum einreden wollte, daß die damals
lebendige deutsche Literatur aus Dahn, Ebers, Baumbach, Bodenstedt, Lindau usw.
bestünde, während doch Meister wie Raabe, Keller, Heyse, den man freilich nicht
gelten lassen wollte, Meyer, Storm, Freytag lebten und zum größten Teil
noch schufen, mindestens aber den Anspruch erheben durften, neben der Literatur
des Tags und des Jahrs ganz anders zu Worte zu kommen als bis dahin.
Fontane, der jetzt seinen jugendlichen Altersstil fand, wurde von den Jungen
auf den Schild gehoben. Aber andre, und vor allem Raabe, sind erst am Ende
der Bewegung nach vorn gekommen und wirkten nun freilich um so stärker.

Wo stehn wir denn nun heute? Ich habe vorher von zum Teil verdienten
Romanerfolgen gesprochen. Ich leugne also nicht, daß viele der seit zehn Jahren
in großen Auflagen verbreiteten Romane ihres Rufs Wohl wert sind. Es ist
höchst erfreulich, daß Bücher wie der kraftvolle „Büttnerbauer" von Wilhelm
von Potenz, Omptedas tapfre Adelsromane, Thomas Manns seine „Budden-
brocks", Hermann Hesses heitrer und lyrisch zarter „Peter Camenzind", Frenssens
starker „Jörn Abt" oder seine jugendfrischem „Drei Getreuen", Otto Ernsts
schlicht erzählter „Asmus Semper" weithin gelesen werden.

Aber das Verhältnis, das zum Beispiel zwischen der Verbreitung des
„Tagebuchs einer Verlorenen" und Wilhelm Specks „Zwei Seelen" obwaltet,
zeugt nicht für eine Erhöhung des Durchschuittsniveaus. Ein Publikum, das
„Hilligenlei" immer noch binnen wenigen Jahren fünfmal so hoch bewertet als


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[0136] Neue Romane und Novellen hessischen Stände im Bunde mit dem (berühmten) Fürstbischof Julius Echter von Würzburg den Abt von Fulda vertrieben haben. Im vorletzten Kapitel werden einige Charakterbilder deutscher Jesuiten gezeichnet, im letzten (dreiundzwanzigsten) Urteile protestantischer und katholischer Zeitgenossen über den Orden zusammen¬ L. Jentsch gestellt. _ Neue Romane und Novellen Heinrich Zpiero von k^As M!me Reihe von großen und zum Teil durchaus verdienten Er¬ folgen hat in den letzten Jahren den deutschen Roman noch mehr in den Vordergrund literarischer Beachtung und Ve¬ rwertung geschoben, und zwar auch bei dem Publikum, das mit Unrecht auf diese Gattung des Schrifttums herabsah und herab¬ sehen zu müssen glaubte, weil das, was die Welle früher nach oben trug, wirklich nur immer leicht wie Kork war. Nicht Wilhelm Raabe oder Gottfried Keller genossen in den Jahren ihrer frischen Kraft die Erfolge, sondern seichte Unterhaltungsschriftsteller, die selbst Friedrich Spielhagen und Paul Heyse in der Gunst der breiten Menge weit hinter sich ließen. Nur so ja konnte das ungeheure Mißverständnis entstehn, ans dem heraus beim Beginn der letzten literarischen Revolution man dem Publikum einreden wollte, daß die damals lebendige deutsche Literatur aus Dahn, Ebers, Baumbach, Bodenstedt, Lindau usw. bestünde, während doch Meister wie Raabe, Keller, Heyse, den man freilich nicht gelten lassen wollte, Meyer, Storm, Freytag lebten und zum größten Teil noch schufen, mindestens aber den Anspruch erheben durften, neben der Literatur des Tags und des Jahrs ganz anders zu Worte zu kommen als bis dahin. Fontane, der jetzt seinen jugendlichen Altersstil fand, wurde von den Jungen auf den Schild gehoben. Aber andre, und vor allem Raabe, sind erst am Ende der Bewegung nach vorn gekommen und wirkten nun freilich um so stärker. Wo stehn wir denn nun heute? Ich habe vorher von zum Teil verdienten Romanerfolgen gesprochen. Ich leugne also nicht, daß viele der seit zehn Jahren in großen Auflagen verbreiteten Romane ihres Rufs Wohl wert sind. Es ist höchst erfreulich, daß Bücher wie der kraftvolle „Büttnerbauer" von Wilhelm von Potenz, Omptedas tapfre Adelsromane, Thomas Manns seine „Budden- brocks", Hermann Hesses heitrer und lyrisch zarter „Peter Camenzind", Frenssens starker „Jörn Abt" oder seine jugendfrischem „Drei Getreuen", Otto Ernsts schlicht erzählter „Asmus Semper" weithin gelesen werden. Aber das Verhältnis, das zum Beispiel zwischen der Verbreitung des „Tagebuchs einer Verlorenen" und Wilhelm Specks „Zwei Seelen" obwaltet, zeugt nicht für eine Erhöhung des Durchschuittsniveaus. Ein Publikum, das „Hilligenlei" immer noch binnen wenigen Jahren fünfmal so hoch bewertet als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/136>, abgerufen am 04.05.2024.