Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

ZFZ

boshafte und kränkende Rezension oft jahrelang gestört und gelähmt wurde. Man
denke an Goethes verzweifelten Ausruf: "Schlagt ihn tot den Hund! es ist ein
Rezensent." Es kann deshalb wohl ein allgemeines berechtigtes Interesse vorliegen,
die Künstler und die Schriftsteller zu schützen, aber das deutsche Volk hat nicht
das mindeste Interesse daran, daß das gewerbmäßige aufdringliche Rezensententum
geschützt werde, vollends nicht, wenn der Rezensent auf dem behandelten Gebiete
selbst -- euphemistisch gesagt -- nur lückenhaft unterrichtet ist. Nach Paragraph 11
des Preßgesetzes ist zwar der Redakteur gezwungen, eine Berichtigung aufzunehmen;
aber die Wirkung solcher Berichtigungen einer herunterreißenden Kritik ist ganz
illusorisch. Auch hat der Redakteur oder der Rezensent das Recht, eine Erklärung
davorzusetzen oder anzuhängen. Daß diese angehängten Erklärungen, unter Speku¬
lation auf die niedrigen Instinkte mancher Leser, wieder dazu mißbraucht werden,
den Geschädigten noch mehr vor der Öffentlichkeit bloßzustellen und seine Leistung
völlig anzuschwärzen und zu verunglimpfen, weiß jeder, der in manchen Zeitungen
und Zeitschriften derartige Berichtigungen und Erklärungen verfolgt. Der Künstler
und der Schriftsteller werden von dem modernen Rezensententum offenbar für vogel¬
frei gehalten. Nachdem im Hardenprozeß die Grenzen der politischen Kritik enger
gezogen worden sind, wäre es dringend notwendig, auch die Grenzen der künst¬
lerischen und der literarischen Kritik wenigstens in den Kommentaren des Straf¬
gesetzbuchs genauer festzulegen.

Unsern Künstlern und Schriftstellern, auch den geschädigten Verlegern, kann man
nur den Rat geben, jeden Rezensenten, der sich lediglich auf eine negative und
herunterreißende Kritik beschränkt oder in der Form der Äußerungen über die Grenze
des tadelnden Urteils hinausgeht und in das Gebiet der persönlichen Herabwür¬
digung und Beleidigung hinübergreife, rücksichtslos vor den Strafrichter zu fordern.
Sie können sicher sein, daß sie hier vor den Auswüchsen des Rezensententums Schutz
finden werden.







Maßgebliches und Unmaßgebliches

ZFZ

boshafte und kränkende Rezension oft jahrelang gestört und gelähmt wurde. Man
denke an Goethes verzweifelten Ausruf: „Schlagt ihn tot den Hund! es ist ein
Rezensent." Es kann deshalb wohl ein allgemeines berechtigtes Interesse vorliegen,
die Künstler und die Schriftsteller zu schützen, aber das deutsche Volk hat nicht
das mindeste Interesse daran, daß das gewerbmäßige aufdringliche Rezensententum
geschützt werde, vollends nicht, wenn der Rezensent auf dem behandelten Gebiete
selbst — euphemistisch gesagt — nur lückenhaft unterrichtet ist. Nach Paragraph 11
des Preßgesetzes ist zwar der Redakteur gezwungen, eine Berichtigung aufzunehmen;
aber die Wirkung solcher Berichtigungen einer herunterreißenden Kritik ist ganz
illusorisch. Auch hat der Redakteur oder der Rezensent das Recht, eine Erklärung
davorzusetzen oder anzuhängen. Daß diese angehängten Erklärungen, unter Speku¬
lation auf die niedrigen Instinkte mancher Leser, wieder dazu mißbraucht werden,
den Geschädigten noch mehr vor der Öffentlichkeit bloßzustellen und seine Leistung
völlig anzuschwärzen und zu verunglimpfen, weiß jeder, der in manchen Zeitungen
und Zeitschriften derartige Berichtigungen und Erklärungen verfolgt. Der Künstler
und der Schriftsteller werden von dem modernen Rezensententum offenbar für vogel¬
frei gehalten. Nachdem im Hardenprozeß die Grenzen der politischen Kritik enger
gezogen worden sind, wäre es dringend notwendig, auch die Grenzen der künst¬
lerischen und der literarischen Kritik wenigstens in den Kommentaren des Straf¬
gesetzbuchs genauer festzulegen.

Unsern Künstlern und Schriftstellern, auch den geschädigten Verlegern, kann man
nur den Rat geben, jeden Rezensenten, der sich lediglich auf eine negative und
herunterreißende Kritik beschränkt oder in der Form der Äußerungen über die Grenze
des tadelnden Urteils hinausgeht und in das Gebiet der persönlichen Herabwür¬
digung und Beleidigung hinübergreife, rücksichtslos vor den Strafrichter zu fordern.
Sie können sicher sein, daß sie hier vor den Auswüchsen des Rezensententums Schutz
finden werden.







<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311341"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1305" prev="#ID_1304" next="#ID_1306"> ZFZ</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1306" prev="#ID_1305"> boshafte und kränkende Rezension oft jahrelang gestört und gelähmt wurde. Man<lb/>
denke an Goethes verzweifelten Ausruf: &#x201E;Schlagt ihn tot den Hund! es ist ein<lb/>
Rezensent." Es kann deshalb wohl ein allgemeines berechtigtes Interesse vorliegen,<lb/>
die Künstler und die Schriftsteller zu schützen, aber das deutsche Volk hat nicht<lb/>
das mindeste Interesse daran, daß das gewerbmäßige aufdringliche Rezensententum<lb/>
geschützt werde, vollends nicht, wenn der Rezensent auf dem behandelten Gebiete<lb/>
selbst &#x2014; euphemistisch gesagt &#x2014; nur lückenhaft unterrichtet ist. Nach Paragraph 11<lb/>
des Preßgesetzes ist zwar der Redakteur gezwungen, eine Berichtigung aufzunehmen;<lb/>
aber die Wirkung solcher Berichtigungen einer herunterreißenden Kritik ist ganz<lb/>
illusorisch. Auch hat der Redakteur oder der Rezensent das Recht, eine Erklärung<lb/>
davorzusetzen oder anzuhängen. Daß diese angehängten Erklärungen, unter Speku¬<lb/>
lation auf die niedrigen Instinkte mancher Leser, wieder dazu mißbraucht werden,<lb/>
den Geschädigten noch mehr vor der Öffentlichkeit bloßzustellen und seine Leistung<lb/>
völlig anzuschwärzen und zu verunglimpfen, weiß jeder, der in manchen Zeitungen<lb/>
und Zeitschriften derartige Berichtigungen und Erklärungen verfolgt. Der Künstler<lb/>
und der Schriftsteller werden von dem modernen Rezensententum offenbar für vogel¬<lb/>
frei gehalten. Nachdem im Hardenprozeß die Grenzen der politischen Kritik enger<lb/>
gezogen worden sind, wäre es dringend notwendig, auch die Grenzen der künst¬<lb/>
lerischen und der literarischen Kritik wenigstens in den Kommentaren des Straf¬<lb/>
gesetzbuchs genauer festzulegen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1307"> Unsern Künstlern und Schriftstellern, auch den geschädigten Verlegern, kann man<lb/>
nur den Rat geben, jeden Rezensenten, der sich lediglich auf eine negative und<lb/>
herunterreißende Kritik beschränkt oder in der Form der Äußerungen über die Grenze<lb/>
des tadelnden Urteils hinausgeht und in das Gebiet der persönlichen Herabwür¬<lb/>
digung und Beleidigung hinübergreife, rücksichtslos vor den Strafrichter zu fordern.<lb/>
Sie können sicher sein, daß sie hier vor den Auswüchsen des Rezensententums Schutz<lb/>
finden werden.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div>
          <floatingText>
            <body>
              <div type="advertisement">
                <p/>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0260] Maßgebliches und Unmaßgebliches ZFZ boshafte und kränkende Rezension oft jahrelang gestört und gelähmt wurde. Man denke an Goethes verzweifelten Ausruf: „Schlagt ihn tot den Hund! es ist ein Rezensent." Es kann deshalb wohl ein allgemeines berechtigtes Interesse vorliegen, die Künstler und die Schriftsteller zu schützen, aber das deutsche Volk hat nicht das mindeste Interesse daran, daß das gewerbmäßige aufdringliche Rezensententum geschützt werde, vollends nicht, wenn der Rezensent auf dem behandelten Gebiete selbst — euphemistisch gesagt — nur lückenhaft unterrichtet ist. Nach Paragraph 11 des Preßgesetzes ist zwar der Redakteur gezwungen, eine Berichtigung aufzunehmen; aber die Wirkung solcher Berichtigungen einer herunterreißenden Kritik ist ganz illusorisch. Auch hat der Redakteur oder der Rezensent das Recht, eine Erklärung davorzusetzen oder anzuhängen. Daß diese angehängten Erklärungen, unter Speku¬ lation auf die niedrigen Instinkte mancher Leser, wieder dazu mißbraucht werden, den Geschädigten noch mehr vor der Öffentlichkeit bloßzustellen und seine Leistung völlig anzuschwärzen und zu verunglimpfen, weiß jeder, der in manchen Zeitungen und Zeitschriften derartige Berichtigungen und Erklärungen verfolgt. Der Künstler und der Schriftsteller werden von dem modernen Rezensententum offenbar für vogel¬ frei gehalten. Nachdem im Hardenprozeß die Grenzen der politischen Kritik enger gezogen worden sind, wäre es dringend notwendig, auch die Grenzen der künst¬ lerischen und der literarischen Kritik wenigstens in den Kommentaren des Straf¬ gesetzbuchs genauer festzulegen. Unsern Künstlern und Schriftstellern, auch den geschädigten Verlegern, kann man nur den Rat geben, jeden Rezensenten, der sich lediglich auf eine negative und herunterreißende Kritik beschränkt oder in der Form der Äußerungen über die Grenze des tadelnden Urteils hinausgeht und in das Gebiet der persönlichen Herabwür¬ digung und Beleidigung hinübergreife, rücksichtslos vor den Strafrichter zu fordern. Sie können sicher sein, daß sie hier vor den Auswüchsen des Rezensententums Schutz finden werden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/260
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/260>, abgerufen am 04.05.2024.