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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die neue Baugestnnung

werden, daß ein Jahr nach dem Erscheinen dieses Werkes ebenfalls in Rinteln
das Werk Oautio orim,ing,1i3 as xrooossidus voudra sa^as lidsr herauskam,
worin der Jesuit Friedrich von Spec aus tiefer Teilnahme und religiösen
Gründen kräftig und erfolgreich gegen die Fortsetzung des Unsinns der Hexen¬
prozesse auftrat.




Die neue Baugesinnung
2

n dieser ästhetischen Kulturpolitik der jüngsten Jahre ist Hermann
Muthesius als rastloser Agitator gerade auf kunstgewerblichen
und baulichen Gebiet hervorgetreten. Er kommt von England,
wo er als kunstgewerblicher Beirat der deutschen Botschaft einen
in jeder Hinsicht lehrreichen Kursus durchgemacht hat. Mit
einem umfangreichen Quellenwerke über das englische Landhaus führte er sich
ein. Als Geheimrat im preußischen Handelsministerium arbeitet er mit an der
dringend nötigen Reform des gewerblichen Zeichenunterrichts. Als Lehrer
an der Berliner Handelshochschule sucht er gesunde ästhetische Anschauungen
über unser Kunstgewerbe und seine sinngemäße Förderung zu verbreiten. Da¬
neben ist er praktischer Baumeister, und dann bringt er noch das Kunststück
fertig, Aufsätze zu schreiben und Reden zu halten. Die zweite Sammlung dieser
Aufsätze, die uns mehr oder minder schon aus Zeitschriften und Tagesblättern
bekannt sein dürften, heißt "Kunstgewerbe und Architektur" (Jena, Diederichs,
5 Mark). Muthesius geht da den Verbindungen nach, die von einem zum andern
Kunstgebiet führen, und die so zahlreich sind, daß man sehr oft die Grenzen
schwer feststellen kann. Er sagt: "Das Ziel beider Künste ist dasselbe. Nament¬
lich kann aber das letzte Endziel des Kunstgewerbes gar nichts andres sein als
die Architektur selbst, denn bei Lichte betrachtet gibt es gar kein Kunstgewerbe,
sondern es gibt nur eine Architektur." Begreiflich, daß ein Architekt aus dem
Vollgefühl seiner allumfassenden Kunst heraus so sprechen kann. Ganz zutreffen
dürfte es aber nicht, denn eine ganze Anzahl Kunsthandwerke wie die Webe¬
kunst, die Metallkünste, die graphischen Gebrauchskünste unterliegen wohl den¬
selben stilisüsch-ästhetischen, aber noch nicht den spezifisch-architektonischen Aus¬
drucksgesetzen.

Als praktisches Seitenstück und gleichsam als Illustration zur grauen Theorie
dieser Aufsätze veröffentlicht Muthesius einen Sammelband "Landhaus und
Garten" (München, Bruckmann, 500 Abbildungen, gebunden 12 Mark). Moderne
Familienwohnhäuser aus Europa und Amerika werden gezeigt, im Umriß und
im Grundriß, in einzelnen Füllen auch mit Angabe der Baukosten. Schade, daß
es nicht durchgehends geschah, und daß überhaupt auf genauere sachliche Referate


Die neue Baugestnnung

werden, daß ein Jahr nach dem Erscheinen dieses Werkes ebenfalls in Rinteln
das Werk Oautio orim,ing,1i3 as xrooossidus voudra sa^as lidsr herauskam,
worin der Jesuit Friedrich von Spec aus tiefer Teilnahme und religiösen
Gründen kräftig und erfolgreich gegen die Fortsetzung des Unsinns der Hexen¬
prozesse auftrat.




Die neue Baugesinnung
2

n dieser ästhetischen Kulturpolitik der jüngsten Jahre ist Hermann
Muthesius als rastloser Agitator gerade auf kunstgewerblichen
und baulichen Gebiet hervorgetreten. Er kommt von England,
wo er als kunstgewerblicher Beirat der deutschen Botschaft einen
in jeder Hinsicht lehrreichen Kursus durchgemacht hat. Mit
einem umfangreichen Quellenwerke über das englische Landhaus führte er sich
ein. Als Geheimrat im preußischen Handelsministerium arbeitet er mit an der
dringend nötigen Reform des gewerblichen Zeichenunterrichts. Als Lehrer
an der Berliner Handelshochschule sucht er gesunde ästhetische Anschauungen
über unser Kunstgewerbe und seine sinngemäße Förderung zu verbreiten. Da¬
neben ist er praktischer Baumeister, und dann bringt er noch das Kunststück
fertig, Aufsätze zu schreiben und Reden zu halten. Die zweite Sammlung dieser
Aufsätze, die uns mehr oder minder schon aus Zeitschriften und Tagesblättern
bekannt sein dürften, heißt „Kunstgewerbe und Architektur" (Jena, Diederichs,
5 Mark). Muthesius geht da den Verbindungen nach, die von einem zum andern
Kunstgebiet führen, und die so zahlreich sind, daß man sehr oft die Grenzen
schwer feststellen kann. Er sagt: „Das Ziel beider Künste ist dasselbe. Nament¬
lich kann aber das letzte Endziel des Kunstgewerbes gar nichts andres sein als
die Architektur selbst, denn bei Lichte betrachtet gibt es gar kein Kunstgewerbe,
sondern es gibt nur eine Architektur." Begreiflich, daß ein Architekt aus dem
Vollgefühl seiner allumfassenden Kunst heraus so sprechen kann. Ganz zutreffen
dürfte es aber nicht, denn eine ganze Anzahl Kunsthandwerke wie die Webe¬
kunst, die Metallkünste, die graphischen Gebrauchskünste unterliegen wohl den¬
selben stilisüsch-ästhetischen, aber noch nicht den spezifisch-architektonischen Aus¬
drucksgesetzen.

Als praktisches Seitenstück und gleichsam als Illustration zur grauen Theorie
dieser Aufsätze veröffentlicht Muthesius einen Sammelband „Landhaus und
Garten" (München, Bruckmann, 500 Abbildungen, gebunden 12 Mark). Moderne
Familienwohnhäuser aus Europa und Amerika werden gezeigt, im Umriß und
im Grundriß, in einzelnen Füllen auch mit Angabe der Baukosten. Schade, daß
es nicht durchgehends geschah, und daß überhaupt auf genauere sachliche Referate


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/144>, abgerufen am 01.05.2024.