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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Leben eines Glücklichen

erste Bedingung für das Gelingen des Hauses verlangt wird. Im übrigen erörtert
er ausführlich die allgemeinen Aufgaben der heutigen Kunstgewerbeschule.

Überschaut man im Geiste die Reihe der Gedanken, die alle diese Bücher mehr
oder minder schwer gewappnet in den Kampf und die Arbeit des Tages schicken,
so sollte man meinen: nun kann es am Siege nicht fehlen. Die neue Gesinnung,
der Wunsch und der Wille zu einer zweckmäßigen und schönen Gestaltung von
Haus und Heim muß ja jetzt allerorten so freudig aufblühen wie die Sommer¬
blumen nach dem Gewitter. Ach, damit hat es noch gute Weile! Wir brauchen
nur den Fuß auf die Straße zu setzen, nicht einmal: brauchen nur zum Fenster
hinauszuschauen, und entdecken etwas ganz nagelneues, was gänzlich ge¬
sinnungslos das Auge beleidigt. Da merken wir: Worte und Druckpapier
allein durs freilich nicht, sie wollen gelesen, gehört, erwogen und befolgt werden.
Auch eine Kunst, deren Anwendung gelernt werden will, aber im Grunde nicht
Lügen Aalkschmidt gelehrt werden kann, so wenig wie irgendeine Kunst.




Das Leben eines Glücklichen
Heinrich Spiero von

ünfuudzwanzig Jahre nach dem Tode Berthold Auerbachs
empfangen wir aus der Feder eines seiner el stgewahlteu Nach¬
laßpfleger seine Biographie (Berthold Auerbach. der Mann sem
Werk sein Nachlaß. Von Anton Bettelheim. Mit einem Bildnis
des Dichters. Stuttgart und Berlin, I. G. Cottaschc Buch¬
handlung Nachfolger. 1907). Und wenn wir das ungemein fleißige, lebendige
Buch Anton Bettelheims, des Biographen Anzengrubers, aus der Hand legen,
so bleibt der letzte Eindruck der, den ich in der Überschrift ausgedrückt habe:
Auerbachs Leben war das eines Glücklichen, trotz allem, was ihm so manchen
Tag und manches Jahr verbitterte. "Wenn die sittenlose Herrschaft zuletzt
ZU dem Ausspruche gedrängt wird: "Nach uns die Sündflut", so hat andrer¬
seits diejenige Macht, die auf die ewigen Grundsätze der Gerechtigkeit, des
Gemeinwohls, mit einem Wort der Tugend baut, den andern Spruch: "Nach
der Sündflut wir"; das heißt, wir nicht als Personen, nein, wir mögen dahin¬
gerafft werden, aber das, was wir sind, unsre Ideen und Ziele, das wird
jenseits der Sündflut in andern Menschen, die das Gleiche mit uns in der
Seele tragen, zur Herrschaft gelangen und jeden Widerstand besiegen." Glücklich
schon, wer solches Bekenntnis lebenslang unbeirrt hegt und bewährt, und glück¬
licher, wem es. wie Berthold Auerbach. von Freund und Feind geglaubt wird.

Dabei ist das Wort Feind im Grunde schon nicht am Platze, denn wenn
auch mancher Auerbachs schnell bereites Pathos, seine Mitteilsamkeit und seine


Grenzboten II 1908
Das Leben eines Glücklichen

erste Bedingung für das Gelingen des Hauses verlangt wird. Im übrigen erörtert
er ausführlich die allgemeinen Aufgaben der heutigen Kunstgewerbeschule.

Überschaut man im Geiste die Reihe der Gedanken, die alle diese Bücher mehr
oder minder schwer gewappnet in den Kampf und die Arbeit des Tages schicken,
so sollte man meinen: nun kann es am Siege nicht fehlen. Die neue Gesinnung,
der Wunsch und der Wille zu einer zweckmäßigen und schönen Gestaltung von
Haus und Heim muß ja jetzt allerorten so freudig aufblühen wie die Sommer¬
blumen nach dem Gewitter. Ach, damit hat es noch gute Weile! Wir brauchen
nur den Fuß auf die Straße zu setzen, nicht einmal: brauchen nur zum Fenster
hinauszuschauen, und entdecken etwas ganz nagelneues, was gänzlich ge¬
sinnungslos das Auge beleidigt. Da merken wir: Worte und Druckpapier
allein durs freilich nicht, sie wollen gelesen, gehört, erwogen und befolgt werden.
Auch eine Kunst, deren Anwendung gelernt werden will, aber im Grunde nicht
Lügen Aalkschmidt gelehrt werden kann, so wenig wie irgendeine Kunst.




Das Leben eines Glücklichen
Heinrich Spiero von

ünfuudzwanzig Jahre nach dem Tode Berthold Auerbachs
empfangen wir aus der Feder eines seiner el stgewahlteu Nach¬
laßpfleger seine Biographie (Berthold Auerbach. der Mann sem
Werk sein Nachlaß. Von Anton Bettelheim. Mit einem Bildnis
des Dichters. Stuttgart und Berlin, I. G. Cottaschc Buch¬
handlung Nachfolger. 1907). Und wenn wir das ungemein fleißige, lebendige
Buch Anton Bettelheims, des Biographen Anzengrubers, aus der Hand legen,
so bleibt der letzte Eindruck der, den ich in der Überschrift ausgedrückt habe:
Auerbachs Leben war das eines Glücklichen, trotz allem, was ihm so manchen
Tag und manches Jahr verbitterte. „Wenn die sittenlose Herrschaft zuletzt
ZU dem Ausspruche gedrängt wird: »Nach uns die Sündflut«, so hat andrer¬
seits diejenige Macht, die auf die ewigen Grundsätze der Gerechtigkeit, des
Gemeinwohls, mit einem Wort der Tugend baut, den andern Spruch: »Nach
der Sündflut wir«; das heißt, wir nicht als Personen, nein, wir mögen dahin¬
gerafft werden, aber das, was wir sind, unsre Ideen und Ziele, das wird
jenseits der Sündflut in andern Menschen, die das Gleiche mit uns in der
Seele tragen, zur Herrschaft gelangen und jeden Widerstand besiegen." Glücklich
schon, wer solches Bekenntnis lebenslang unbeirrt hegt und bewährt, und glück¬
licher, wem es. wie Berthold Auerbach. von Freund und Feind geglaubt wird.

Dabei ist das Wort Feind im Grunde schon nicht am Platze, denn wenn
auch mancher Auerbachs schnell bereites Pathos, seine Mitteilsamkeit und seine


Grenzboten II 1908
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[0149] Das Leben eines Glücklichen erste Bedingung für das Gelingen des Hauses verlangt wird. Im übrigen erörtert er ausführlich die allgemeinen Aufgaben der heutigen Kunstgewerbeschule. Überschaut man im Geiste die Reihe der Gedanken, die alle diese Bücher mehr oder minder schwer gewappnet in den Kampf und die Arbeit des Tages schicken, so sollte man meinen: nun kann es am Siege nicht fehlen. Die neue Gesinnung, der Wunsch und der Wille zu einer zweckmäßigen und schönen Gestaltung von Haus und Heim muß ja jetzt allerorten so freudig aufblühen wie die Sommer¬ blumen nach dem Gewitter. Ach, damit hat es noch gute Weile! Wir brauchen nur den Fuß auf die Straße zu setzen, nicht einmal: brauchen nur zum Fenster hinauszuschauen, und entdecken etwas ganz nagelneues, was gänzlich ge¬ sinnungslos das Auge beleidigt. Da merken wir: Worte und Druckpapier allein durs freilich nicht, sie wollen gelesen, gehört, erwogen und befolgt werden. Auch eine Kunst, deren Anwendung gelernt werden will, aber im Grunde nicht Lügen Aalkschmidt gelehrt werden kann, so wenig wie irgendeine Kunst. Das Leben eines Glücklichen Heinrich Spiero von ünfuudzwanzig Jahre nach dem Tode Berthold Auerbachs empfangen wir aus der Feder eines seiner el stgewahlteu Nach¬ laßpfleger seine Biographie (Berthold Auerbach. der Mann sem Werk sein Nachlaß. Von Anton Bettelheim. Mit einem Bildnis des Dichters. Stuttgart und Berlin, I. G. Cottaschc Buch¬ handlung Nachfolger. 1907). Und wenn wir das ungemein fleißige, lebendige Buch Anton Bettelheims, des Biographen Anzengrubers, aus der Hand legen, so bleibt der letzte Eindruck der, den ich in der Überschrift ausgedrückt habe: Auerbachs Leben war das eines Glücklichen, trotz allem, was ihm so manchen Tag und manches Jahr verbitterte. „Wenn die sittenlose Herrschaft zuletzt ZU dem Ausspruche gedrängt wird: »Nach uns die Sündflut«, so hat andrer¬ seits diejenige Macht, die auf die ewigen Grundsätze der Gerechtigkeit, des Gemeinwohls, mit einem Wort der Tugend baut, den andern Spruch: »Nach der Sündflut wir«; das heißt, wir nicht als Personen, nein, wir mögen dahin¬ gerafft werden, aber das, was wir sind, unsre Ideen und Ziele, das wird jenseits der Sündflut in andern Menschen, die das Gleiche mit uns in der Seele tragen, zur Herrschaft gelangen und jeden Widerstand besiegen." Glücklich schon, wer solches Bekenntnis lebenslang unbeirrt hegt und bewährt, und glück¬ licher, wem es. wie Berthold Auerbach. von Freund und Feind geglaubt wird. Dabei ist das Wort Feind im Grunde schon nicht am Platze, denn wenn auch mancher Auerbachs schnell bereites Pathos, seine Mitteilsamkeit und seine Grenzboten II 1908

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/149>, abgerufen am 01.05.2024.