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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Leben eines Glücklichen

Eitelkeit belächelte und tadelte, so hat er doch eigentliche Feinde nie gehabt,
und auch in der Zeit des gröbsten Antisemitismus hat sich ihm persönlich
niemand entgegengestellt, seinen Charakter niemand angetastet, weil man ihn nicht
antasten konnte. Und seine Eitelkeit, die auch seine Freunde nicht verschweigen,
trat, wie Bettelheim sagt und erweist, niemand zu nahe als ihm selbst.

Ein Wunder wäre es freilich gewesen, wenn das Kind des kleinen Juden¬
hauses in Nordstetten nicht eitel geworden wäre bei der Stellung, die ihm die
allgemeine Meinung Jahrzehnte hindurch zubilligte. Wenn Berthold Auerbach
als Gast in fürstlichen Schlössern an die dumpfe Betschule in Hechingen zurück¬
dachte, die ihn zum Rabbiner machen sollte, dann empfand er, wie seine Briefe
lehren, auch mit demütiger Dankbarkeit den ungeheuern Aufstieg seines äußern
Lebens, der noch weit über das hinausging, was der gleichaltrige Dithmarscher
Handwerkersohn Friedrich Hebbel in jenem berühmten, vom Empfänger nicht
angenommnen Brief an seinen alten, harten Vorgesetzten stolz bescheiden vor¬
trug. Nach der großen Vergessenheit, die bald nach Auerbachs Tode über
seine Dichtungen kam, berührt es uns fast fremd, wenn wir an der Hand von
Bettelheims überall dokumentarisch gestützter Geschichte feststellen müssen, daß
Auerbach in den sechziger und siebziger Jahren vielleicht mit Emanuel Geibel
der berühmteste deutsche Dichter war; nicht nur berühmter als Hebbel und
Ludwig, Storm und Fontane, Raabe und Heyse, sondern berühmter selbst als
Reuter, dessen Dialekt Schranken setzte, als Scheffel, der nicht so weit ins
Ausland drang. Ohne daß Bettelheim Ruhmrednerei für seinen Helden treibt,
muß er dies immer wieder feststellen, eine Beliebtheit dartun, die vom Kaiser¬
hof bis in den Kern des Volkes hineingeht. Und wenn wir, so angeregt, die
kürzern Charakteristiken Karl Frenzels, Erich Schmidts, die Erinnerungen
Gustav Freytags und Friedrich Spielhagens, die Briefe von Zeitgenossen
wieder durchsehen, so ergibt sich genau dasselbe.

Berthold Auerbach wurde im Jahre 1312 in dem württembergischen Dorf
Nordstetten geboren, schon im Geburtsjahr also ein Vorläufer der großen
Realisten, die zwischen 1813 und 1831 zur Welt kamen, und für deren er¬
zählende Kunst er den Boden bereiten und die Seelen empfänglich machen half.
Die jüdische und die christliche Umwelt seiner Jugend setzt Bettelheim aus ver¬
streuten Material künstlerisch abgerundet mit lebhafter Wirkung wieder zu¬
sammen. Der Charakterkopf der Mutter, die halbkomische Gestalt des fahrenden
Großvaters, der deutschgebildete jüdische Lehrer, der ernste, fanatische Bruder
treten in ihrem Einfluß auf das Gemüt des Knaben ebenso klar heraus wie
die Natur des Schwarzwalds in den unauslöschlichen Eindrücken, die sie der
Phantasie des künftigen Dichters einprägen. Die geistige Misere und die
ökonomische Enge der nächsten Jahre auf dem schon genannten Rabbinerseminar,
dann auf dem Gymnasium in Stuttgart, endlich auf der Universität in Tübingen
und München wird gut geschildert bis zu ihrem Abschluß auf dem Hohen-
asperg, wo der Burschenschafter eine Festungshaft wegen Teilnahme an ge-


Das Leben eines Glücklichen

Eitelkeit belächelte und tadelte, so hat er doch eigentliche Feinde nie gehabt,
und auch in der Zeit des gröbsten Antisemitismus hat sich ihm persönlich
niemand entgegengestellt, seinen Charakter niemand angetastet, weil man ihn nicht
antasten konnte. Und seine Eitelkeit, die auch seine Freunde nicht verschweigen,
trat, wie Bettelheim sagt und erweist, niemand zu nahe als ihm selbst.

Ein Wunder wäre es freilich gewesen, wenn das Kind des kleinen Juden¬
hauses in Nordstetten nicht eitel geworden wäre bei der Stellung, die ihm die
allgemeine Meinung Jahrzehnte hindurch zubilligte. Wenn Berthold Auerbach
als Gast in fürstlichen Schlössern an die dumpfe Betschule in Hechingen zurück¬
dachte, die ihn zum Rabbiner machen sollte, dann empfand er, wie seine Briefe
lehren, auch mit demütiger Dankbarkeit den ungeheuern Aufstieg seines äußern
Lebens, der noch weit über das hinausging, was der gleichaltrige Dithmarscher
Handwerkersohn Friedrich Hebbel in jenem berühmten, vom Empfänger nicht
angenommnen Brief an seinen alten, harten Vorgesetzten stolz bescheiden vor¬
trug. Nach der großen Vergessenheit, die bald nach Auerbachs Tode über
seine Dichtungen kam, berührt es uns fast fremd, wenn wir an der Hand von
Bettelheims überall dokumentarisch gestützter Geschichte feststellen müssen, daß
Auerbach in den sechziger und siebziger Jahren vielleicht mit Emanuel Geibel
der berühmteste deutsche Dichter war; nicht nur berühmter als Hebbel und
Ludwig, Storm und Fontane, Raabe und Heyse, sondern berühmter selbst als
Reuter, dessen Dialekt Schranken setzte, als Scheffel, der nicht so weit ins
Ausland drang. Ohne daß Bettelheim Ruhmrednerei für seinen Helden treibt,
muß er dies immer wieder feststellen, eine Beliebtheit dartun, die vom Kaiser¬
hof bis in den Kern des Volkes hineingeht. Und wenn wir, so angeregt, die
kürzern Charakteristiken Karl Frenzels, Erich Schmidts, die Erinnerungen
Gustav Freytags und Friedrich Spielhagens, die Briefe von Zeitgenossen
wieder durchsehen, so ergibt sich genau dasselbe.

Berthold Auerbach wurde im Jahre 1312 in dem württembergischen Dorf
Nordstetten geboren, schon im Geburtsjahr also ein Vorläufer der großen
Realisten, die zwischen 1813 und 1831 zur Welt kamen, und für deren er¬
zählende Kunst er den Boden bereiten und die Seelen empfänglich machen half.
Die jüdische und die christliche Umwelt seiner Jugend setzt Bettelheim aus ver¬
streuten Material künstlerisch abgerundet mit lebhafter Wirkung wieder zu¬
sammen. Der Charakterkopf der Mutter, die halbkomische Gestalt des fahrenden
Großvaters, der deutschgebildete jüdische Lehrer, der ernste, fanatische Bruder
treten in ihrem Einfluß auf das Gemüt des Knaben ebenso klar heraus wie
die Natur des Schwarzwalds in den unauslöschlichen Eindrücken, die sie der
Phantasie des künftigen Dichters einprägen. Die geistige Misere und die
ökonomische Enge der nächsten Jahre auf dem schon genannten Rabbinerseminar,
dann auf dem Gymnasium in Stuttgart, endlich auf der Universität in Tübingen
und München wird gut geschildert bis zu ihrem Abschluß auf dem Hohen-
asperg, wo der Burschenschafter eine Festungshaft wegen Teilnahme an ge-


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[0150] Das Leben eines Glücklichen Eitelkeit belächelte und tadelte, so hat er doch eigentliche Feinde nie gehabt, und auch in der Zeit des gröbsten Antisemitismus hat sich ihm persönlich niemand entgegengestellt, seinen Charakter niemand angetastet, weil man ihn nicht antasten konnte. Und seine Eitelkeit, die auch seine Freunde nicht verschweigen, trat, wie Bettelheim sagt und erweist, niemand zu nahe als ihm selbst. Ein Wunder wäre es freilich gewesen, wenn das Kind des kleinen Juden¬ hauses in Nordstetten nicht eitel geworden wäre bei der Stellung, die ihm die allgemeine Meinung Jahrzehnte hindurch zubilligte. Wenn Berthold Auerbach als Gast in fürstlichen Schlössern an die dumpfe Betschule in Hechingen zurück¬ dachte, die ihn zum Rabbiner machen sollte, dann empfand er, wie seine Briefe lehren, auch mit demütiger Dankbarkeit den ungeheuern Aufstieg seines äußern Lebens, der noch weit über das hinausging, was der gleichaltrige Dithmarscher Handwerkersohn Friedrich Hebbel in jenem berühmten, vom Empfänger nicht angenommnen Brief an seinen alten, harten Vorgesetzten stolz bescheiden vor¬ trug. Nach der großen Vergessenheit, die bald nach Auerbachs Tode über seine Dichtungen kam, berührt es uns fast fremd, wenn wir an der Hand von Bettelheims überall dokumentarisch gestützter Geschichte feststellen müssen, daß Auerbach in den sechziger und siebziger Jahren vielleicht mit Emanuel Geibel der berühmteste deutsche Dichter war; nicht nur berühmter als Hebbel und Ludwig, Storm und Fontane, Raabe und Heyse, sondern berühmter selbst als Reuter, dessen Dialekt Schranken setzte, als Scheffel, der nicht so weit ins Ausland drang. Ohne daß Bettelheim Ruhmrednerei für seinen Helden treibt, muß er dies immer wieder feststellen, eine Beliebtheit dartun, die vom Kaiser¬ hof bis in den Kern des Volkes hineingeht. Und wenn wir, so angeregt, die kürzern Charakteristiken Karl Frenzels, Erich Schmidts, die Erinnerungen Gustav Freytags und Friedrich Spielhagens, die Briefe von Zeitgenossen wieder durchsehen, so ergibt sich genau dasselbe. Berthold Auerbach wurde im Jahre 1312 in dem württembergischen Dorf Nordstetten geboren, schon im Geburtsjahr also ein Vorläufer der großen Realisten, die zwischen 1813 und 1831 zur Welt kamen, und für deren er¬ zählende Kunst er den Boden bereiten und die Seelen empfänglich machen half. Die jüdische und die christliche Umwelt seiner Jugend setzt Bettelheim aus ver¬ streuten Material künstlerisch abgerundet mit lebhafter Wirkung wieder zu¬ sammen. Der Charakterkopf der Mutter, die halbkomische Gestalt des fahrenden Großvaters, der deutschgebildete jüdische Lehrer, der ernste, fanatische Bruder treten in ihrem Einfluß auf das Gemüt des Knaben ebenso klar heraus wie die Natur des Schwarzwalds in den unauslöschlichen Eindrücken, die sie der Phantasie des künftigen Dichters einprägen. Die geistige Misere und die ökonomische Enge der nächsten Jahre auf dem schon genannten Rabbinerseminar, dann auf dem Gymnasium in Stuttgart, endlich auf der Universität in Tübingen und München wird gut geschildert bis zu ihrem Abschluß auf dem Hohen- asperg, wo der Burschenschafter eine Festungshaft wegen Teilnahme an ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/150>, abgerufen am 15.05.2024.