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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aber ganz sacht; sie kam ihm noch gar zu zerbrechlich vor. Da wußte sie, daß
es ihm Ernst war.

Und sie lehnte sich wieder fest an ihn und ging still und voll Vertrauen an
seiner Seite hin.

Der Mond stand nun voll über den Feldern, ein leiser Wind sang im Korn,
und klar und mild kam die Nacht herauf.




Und das ist meine Geschichte von der Bingersdorfer Brücke, von der die
Wirtin nichts weiß.



Maßgebliches und Unmaßgebliches

Reichsspiegel

(Vereinsgesetz und Börscnnovelle. Die Erfolge des Blocks. Wandlungen in
der Demokratie. Kabinettswechsel in England.)

Schneller, als man erwarten konnte, ist die Beratung der beiden "Block¬
gesetze", des Reichsvereinsgesetzes und der Börsengesetznovelle, zu Ende geführt
worden. Schon am 8. April konnte der Reichstag in die Osterferien gehn. Es
gab noch leidenschaftliche Kämpfe, ehe das Ziel erreicht wurde. Als am 6. April
das Vereinsgesetz in zweiter Lesung zu Ende beraten wurde, versuchten Zentrum
und Sozialdemokraten einen neuen Ansturm gegen Paragraph 10a, der die Zu¬
lassung von Minderjährigen nnter achtzehn Jahren in politischen Versammlungen
verbietet. Diese Bestimmung war bekanntlich ebenfalls das Ergebnis eines Kom¬
promisses, ein Zugeständnis der Liberalen an die Konservativen. Daran knüpften
die Gegner des Blocks die Hoffnung, eine Anzahl von Mitgliedern der bürger¬
lichen Linken, die schon zu dem abgeschwächten Paragraphen 7 nur mit Wider¬
streben ihre Zustimmung gegeben hatten und darin ein genügendes Maß von Ent¬
gegenkommen gegen die Rechte sahen, dem Block abwendig machen zu können. Es
war eine eitle Hoffnung. Die freisinnigen Fraktionen hielten treu zur Fahne.
Jede Abstimmung ergab die Ohnmacht der Versuche des "Antiblocks", die ihm
gegenüberstehende Phalanx zu durchbrechen. Am Abend des 6. April war das
Vereinsgesetz in zweiter Lesung angenommen.

Und dann folgte am 7. April die zweite Probe auf die Festigkeit des Blocks.
Auch die Börseugesetznovelle wurde von beiden Seiten, von der rechten und von
der linken, auf das heftigste angefochten. Die Novelle sollte die Nachteile mildern,
die durch die Schärfen des Börsengesetzes von 1896 den legitimen Handel be¬
trächtlich geschädigt hatten. Die Tatsache, daß solche Nachteile bestanden, war nicht
zu leugnen. Das Gesetz war ursprünglich aus der auch in Handelskreisen als be¬
rechtigt anerkannten Beobachtung entstanden, daß sich in dem Betriebe der Börse
schwere Mißbräuche entwickelt hatten, die einen schädigenden Einfluß auf die
heimische Produktion und die Sicherheit der kleinen Privatkapitalien ausübten
Das Unglück wollte nur, daß das Drängen einflußreicher Kreise nach einer Börsen¬
reform sehr stark zu einer Zeit einsetzte, als die Caprivische Wirtschaftspolitik die
großen wirtschaftlichen Erwerbsgruppen in zwei Lager auseinander gerissen hatte,
die sich geradezu erbittert gegenüberstanden. Hier Landwirtschaft! -- hier Handel
und Industrie! Das sah nus wie ein Schlachtruf. Und nur so ist es zu ver-
stehn, daß auch die gewiß berechtigten Wünsche der Landwirtschaft, eine Reform


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Aber ganz sacht; sie kam ihm noch gar zu zerbrechlich vor. Da wußte sie, daß
es ihm Ernst war.

Und sie lehnte sich wieder fest an ihn und ging still und voll Vertrauen an
seiner Seite hin.

Der Mond stand nun voll über den Feldern, ein leiser Wind sang im Korn,
und klar und mild kam die Nacht herauf.




Und das ist meine Geschichte von der Bingersdorfer Brücke, von der die
Wirtin nichts weiß.



Maßgebliches und Unmaßgebliches

Reichsspiegel

(Vereinsgesetz und Börscnnovelle. Die Erfolge des Blocks. Wandlungen in
der Demokratie. Kabinettswechsel in England.)

Schneller, als man erwarten konnte, ist die Beratung der beiden „Block¬
gesetze", des Reichsvereinsgesetzes und der Börsengesetznovelle, zu Ende geführt
worden. Schon am 8. April konnte der Reichstag in die Osterferien gehn. Es
gab noch leidenschaftliche Kämpfe, ehe das Ziel erreicht wurde. Als am 6. April
das Vereinsgesetz in zweiter Lesung zu Ende beraten wurde, versuchten Zentrum
und Sozialdemokraten einen neuen Ansturm gegen Paragraph 10a, der die Zu¬
lassung von Minderjährigen nnter achtzehn Jahren in politischen Versammlungen
verbietet. Diese Bestimmung war bekanntlich ebenfalls das Ergebnis eines Kom¬
promisses, ein Zugeständnis der Liberalen an die Konservativen. Daran knüpften
die Gegner des Blocks die Hoffnung, eine Anzahl von Mitgliedern der bürger¬
lichen Linken, die schon zu dem abgeschwächten Paragraphen 7 nur mit Wider¬
streben ihre Zustimmung gegeben hatten und darin ein genügendes Maß von Ent¬
gegenkommen gegen die Rechte sahen, dem Block abwendig machen zu können. Es
war eine eitle Hoffnung. Die freisinnigen Fraktionen hielten treu zur Fahne.
Jede Abstimmung ergab die Ohnmacht der Versuche des „Antiblocks", die ihm
gegenüberstehende Phalanx zu durchbrechen. Am Abend des 6. April war das
Vereinsgesetz in zweiter Lesung angenommen.

Und dann folgte am 7. April die zweite Probe auf die Festigkeit des Blocks.
Auch die Börseugesetznovelle wurde von beiden Seiten, von der rechten und von
der linken, auf das heftigste angefochten. Die Novelle sollte die Nachteile mildern,
die durch die Schärfen des Börsengesetzes von 1896 den legitimen Handel be¬
trächtlich geschädigt hatten. Die Tatsache, daß solche Nachteile bestanden, war nicht
zu leugnen. Das Gesetz war ursprünglich aus der auch in Handelskreisen als be¬
rechtigt anerkannten Beobachtung entstanden, daß sich in dem Betriebe der Börse
schwere Mißbräuche entwickelt hatten, die einen schädigenden Einfluß auf die
heimische Produktion und die Sicherheit der kleinen Privatkapitalien ausübten
Das Unglück wollte nur, daß das Drängen einflußreicher Kreise nach einer Börsen¬
reform sehr stark zu einer Zeit einsetzte, als die Caprivische Wirtschaftspolitik die
großen wirtschaftlichen Erwerbsgruppen in zwei Lager auseinander gerissen hatte,
die sich geradezu erbittert gegenüberstanden. Hier Landwirtschaft! — hier Handel
und Industrie! Das sah nus wie ein Schlachtruf. Und nur so ist es zu ver-
stehn, daß auch die gewiß berechtigten Wünsche der Landwirtschaft, eine Reform


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[0158] Maßgebliches und Unmaßgebliches Aber ganz sacht; sie kam ihm noch gar zu zerbrechlich vor. Da wußte sie, daß es ihm Ernst war. Und sie lehnte sich wieder fest an ihn und ging still und voll Vertrauen an seiner Seite hin. Der Mond stand nun voll über den Feldern, ein leiser Wind sang im Korn, und klar und mild kam die Nacht herauf. Und das ist meine Geschichte von der Bingersdorfer Brücke, von der die Wirtin nichts weiß. [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (Vereinsgesetz und Börscnnovelle. Die Erfolge des Blocks. Wandlungen in der Demokratie. Kabinettswechsel in England.) Schneller, als man erwarten konnte, ist die Beratung der beiden „Block¬ gesetze", des Reichsvereinsgesetzes und der Börsengesetznovelle, zu Ende geführt worden. Schon am 8. April konnte der Reichstag in die Osterferien gehn. Es gab noch leidenschaftliche Kämpfe, ehe das Ziel erreicht wurde. Als am 6. April das Vereinsgesetz in zweiter Lesung zu Ende beraten wurde, versuchten Zentrum und Sozialdemokraten einen neuen Ansturm gegen Paragraph 10a, der die Zu¬ lassung von Minderjährigen nnter achtzehn Jahren in politischen Versammlungen verbietet. Diese Bestimmung war bekanntlich ebenfalls das Ergebnis eines Kom¬ promisses, ein Zugeständnis der Liberalen an die Konservativen. Daran knüpften die Gegner des Blocks die Hoffnung, eine Anzahl von Mitgliedern der bürger¬ lichen Linken, die schon zu dem abgeschwächten Paragraphen 7 nur mit Wider¬ streben ihre Zustimmung gegeben hatten und darin ein genügendes Maß von Ent¬ gegenkommen gegen die Rechte sahen, dem Block abwendig machen zu können. Es war eine eitle Hoffnung. Die freisinnigen Fraktionen hielten treu zur Fahne. Jede Abstimmung ergab die Ohnmacht der Versuche des „Antiblocks", die ihm gegenüberstehende Phalanx zu durchbrechen. Am Abend des 6. April war das Vereinsgesetz in zweiter Lesung angenommen. Und dann folgte am 7. April die zweite Probe auf die Festigkeit des Blocks. Auch die Börseugesetznovelle wurde von beiden Seiten, von der rechten und von der linken, auf das heftigste angefochten. Die Novelle sollte die Nachteile mildern, die durch die Schärfen des Börsengesetzes von 1896 den legitimen Handel be¬ trächtlich geschädigt hatten. Die Tatsache, daß solche Nachteile bestanden, war nicht zu leugnen. Das Gesetz war ursprünglich aus der auch in Handelskreisen als be¬ rechtigt anerkannten Beobachtung entstanden, daß sich in dem Betriebe der Börse schwere Mißbräuche entwickelt hatten, die einen schädigenden Einfluß auf die heimische Produktion und die Sicherheit der kleinen Privatkapitalien ausübten Das Unglück wollte nur, daß das Drängen einflußreicher Kreise nach einer Börsen¬ reform sehr stark zu einer Zeit einsetzte, als die Caprivische Wirtschaftspolitik die großen wirtschaftlichen Erwerbsgruppen in zwei Lager auseinander gerissen hatte, die sich geradezu erbittert gegenüberstanden. Hier Landwirtschaft! — hier Handel und Industrie! Das sah nus wie ein Schlachtruf. Und nur so ist es zu ver- stehn, daß auch die gewiß berechtigten Wünsche der Landwirtschaft, eine Reform

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/158>, abgerufen am 01.05.2024.