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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die modernen chinesischen Truppen in petschili

el einem Reiche mit der Riesenausdehmmg Chinas, wo die Re¬
gierung -- dank der willkürlichen Berichte der Mandarine an
die Gouverneure -- oft so herzlich wenig von dem weiß, was
tatsächlich in den achtzehn Provinzen vorgeht, ist es nur allzu
erklärlich, daß in moderner wie in alter Zeit eine dauernde Ruhe
niemals herrschen konnte, kann und können wird. Gründe dafür mögen die
Invasionen durch feindliche Stämme (nennen wir in neuester Zeit ruhig die
vereinigten Mächte des Abendlandes, Amerika und Japan), die Unzufriedenheit
des Volkes infolge der Erpressungen durch die Beamten, die Geheimbündelei
und eine unendliche Reihe von Palastrevolutionen sein.

Die Gärung im Volke veranlaßte eine lange Kette von kleinern und
größern Kriegen, die der chinesischen Geschichtschreibung gemäß bis ins dritte
Jahrtausend v. Chr. zurückzuführen sind, als auf den erstbekannten berühmtesten
Kaiser Huangti Herrscher folgten, unter denen des ersten Werk zerfiel, das
sich im spätern Laufe der Jahrhunderte in beständigem Wechsel der Dynastien
wieder aufrichtete oder wieder zusammensank.

Als stumme Zeugin für die Mühe, mit der sich die Herrscher gegen die
einfallenden Mongolenstämme zu wehren hatten, ragt aus zackigen Gebirgs-
kümmen das wunderbare Befestigungswerk -- die große Mauer mit ihren
(damals militärisch besetzten) Wachttürmen -- auf. Mitte des sechzehnten Jahr¬
hunderts n. Chr. zur Zeit der Mingdynastie erhielt sie ihre jetzige Gestalt.

Mit dem Sturz dieser Dynastie im Jahre 1644 n. Chr. durch die Mandschu
blieb das Schwert am Ruder der Herrschaft, der Zopf trat hinzu.

Unter "Zopf und Schwert" vegetierte China weiter, der Opium trat
hinzu, dem China um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts den sehr zur
Unzeit geführten Opiumkrieg verdankte, bei dem England obsiegte.

Sehr zur Unzeit, denn zu derselben Stunde brach der entsetzliche Taiping-
anfstand aus. der Tausende an die Fahnen eines religiösen Fanatikers heftete.
Schon -- wie die Gegner, die kaiserlichen Truppen -- im Besitz von modernen


Grenzboten II 1908 21


Die modernen chinesischen Truppen in petschili

el einem Reiche mit der Riesenausdehmmg Chinas, wo die Re¬
gierung — dank der willkürlichen Berichte der Mandarine an
die Gouverneure — oft so herzlich wenig von dem weiß, was
tatsächlich in den achtzehn Provinzen vorgeht, ist es nur allzu
erklärlich, daß in moderner wie in alter Zeit eine dauernde Ruhe
niemals herrschen konnte, kann und können wird. Gründe dafür mögen die
Invasionen durch feindliche Stämme (nennen wir in neuester Zeit ruhig die
vereinigten Mächte des Abendlandes, Amerika und Japan), die Unzufriedenheit
des Volkes infolge der Erpressungen durch die Beamten, die Geheimbündelei
und eine unendliche Reihe von Palastrevolutionen sein.

Die Gärung im Volke veranlaßte eine lange Kette von kleinern und
größern Kriegen, die der chinesischen Geschichtschreibung gemäß bis ins dritte
Jahrtausend v. Chr. zurückzuführen sind, als auf den erstbekannten berühmtesten
Kaiser Huangti Herrscher folgten, unter denen des ersten Werk zerfiel, das
sich im spätern Laufe der Jahrhunderte in beständigem Wechsel der Dynastien
wieder aufrichtete oder wieder zusammensank.

Als stumme Zeugin für die Mühe, mit der sich die Herrscher gegen die
einfallenden Mongolenstämme zu wehren hatten, ragt aus zackigen Gebirgs-
kümmen das wunderbare Befestigungswerk — die große Mauer mit ihren
(damals militärisch besetzten) Wachttürmen — auf. Mitte des sechzehnten Jahr¬
hunderts n. Chr. zur Zeit der Mingdynastie erhielt sie ihre jetzige Gestalt.

Mit dem Sturz dieser Dynastie im Jahre 1644 n. Chr. durch die Mandschu
blieb das Schwert am Ruder der Herrschaft, der Zopf trat hinzu.

Unter „Zopf und Schwert" vegetierte China weiter, der Opium trat
hinzu, dem China um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts den sehr zur
Unzeit geführten Opiumkrieg verdankte, bei dem England obsiegte.

Sehr zur Unzeit, denn zu derselben Stunde brach der entsetzliche Taiping-
anfstand aus. der Tausende an die Fahnen eines religiösen Fanatikers heftete.
Schon — wie die Gegner, die kaiserlichen Truppen — im Besitz von modernen


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[0165] [Abbildung] Die modernen chinesischen Truppen in petschili el einem Reiche mit der Riesenausdehmmg Chinas, wo die Re¬ gierung — dank der willkürlichen Berichte der Mandarine an die Gouverneure — oft so herzlich wenig von dem weiß, was tatsächlich in den achtzehn Provinzen vorgeht, ist es nur allzu erklärlich, daß in moderner wie in alter Zeit eine dauernde Ruhe niemals herrschen konnte, kann und können wird. Gründe dafür mögen die Invasionen durch feindliche Stämme (nennen wir in neuester Zeit ruhig die vereinigten Mächte des Abendlandes, Amerika und Japan), die Unzufriedenheit des Volkes infolge der Erpressungen durch die Beamten, die Geheimbündelei und eine unendliche Reihe von Palastrevolutionen sein. Die Gärung im Volke veranlaßte eine lange Kette von kleinern und größern Kriegen, die der chinesischen Geschichtschreibung gemäß bis ins dritte Jahrtausend v. Chr. zurückzuführen sind, als auf den erstbekannten berühmtesten Kaiser Huangti Herrscher folgten, unter denen des ersten Werk zerfiel, das sich im spätern Laufe der Jahrhunderte in beständigem Wechsel der Dynastien wieder aufrichtete oder wieder zusammensank. Als stumme Zeugin für die Mühe, mit der sich die Herrscher gegen die einfallenden Mongolenstämme zu wehren hatten, ragt aus zackigen Gebirgs- kümmen das wunderbare Befestigungswerk — die große Mauer mit ihren (damals militärisch besetzten) Wachttürmen — auf. Mitte des sechzehnten Jahr¬ hunderts n. Chr. zur Zeit der Mingdynastie erhielt sie ihre jetzige Gestalt. Mit dem Sturz dieser Dynastie im Jahre 1644 n. Chr. durch die Mandschu blieb das Schwert am Ruder der Herrschaft, der Zopf trat hinzu. Unter „Zopf und Schwert" vegetierte China weiter, der Opium trat hinzu, dem China um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts den sehr zur Unzeit geführten Opiumkrieg verdankte, bei dem England obsiegte. Sehr zur Unzeit, denn zu derselben Stunde brach der entsetzliche Taiping- anfstand aus. der Tausende an die Fahnen eines religiösen Fanatikers heftete. Schon — wie die Gegner, die kaiserlichen Truppen — im Besitz von modernen Grenzboten II 1908 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/165>, abgerufen am 01.05.2024.