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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Asiatische Probleme

sechsundfünfzig seiner besten Schiffe verloren hat, setzt sich sein heutiger Bestand
an großen Schiffen, die fertig sind, nur noch aus 6 Linienschiffen und 4 Panzer¬
kreuzern zusammen. Und an Zuwachs stehen demnächst nur vier Linienschiffe
und drei Panzerkreuzer in Aussicht. Nun geht ja allerdings schon lange das
Gerücht, Rußland wolle sich eine neue große Flotte schaffen. Aber die Pläne
haben viele Gegner und zurzeit noch keine greifbare Gestalt angenommen. Das
Programm, das der Reichsduma gegenwärtig vorliegt, beschränkt sich auch nur
auf die Summe von 457 Millionen Rubel, die, auf vier Jahre verteilt, nur
für die notwendigsten Ersatzschiffe, darunter in erster Linie vier Schlachtschiffe,
bestimmt sein sollen. Es werden deshalb im besten Fall wohl noch Jahre
vergehn, ehe die russische Flotte ihren frühern Platz unter den Hauptsee-
müchten wiedererlangt haben kann.




Asiatische Probleme

>in Gleichgewicht der Staaten, das dauern könne, hat Friedrich
der Große gesagt, lasse sich gar nicht denken. Wie wahr dieser
Satz ist, zeigt sich so recht erst in unsrer Zeit, wo in immer
kürzer werdenden Intervallen die Machtverhältnisse der souveränen
! Staaten zueinander verschoben werden. Neben dem Dreibund ist
der Zweibund Rußland-Frankreich entstanden, dann die französisch-britische
Entente, das britisch-japanische Bündnis, die britisch-russische Abmachung über
Asien, und neuerdings wird über eine internationale Festlegung des status ".no
der Nordsee- und Ostseegebiete verhandelt. Alles ist im Fluß. Während des
russisch-japanischen Kriegs stand die öffentliche Meinung Amerikas ganz auf
feiten Japans, dessen Siege wie die eignen gefeiert wurden. IZis^ ars g^Kein^
our bärtig, hieß es in den Aankeeblättern. Und jetzt scheint eine blutige Ab¬
rechnung zwischen der amerikanischen Union und Japan nur eine Frage der
Zeit zu sein. Wer will sagen, welche Entwicklung Japan noch nehmen, und
ob sich insbesondre China in ähnlich schnellem Tempo die technischen Hilfsmittel
der europäischen Kultur samt den Waffen aneignen wird. Immer mehr werden
sich die prophetischen Worte Goethes verwirklichen:

[Beginn Spaltensatz] Wer sich selbst und andre kennt.
Wird auch hier erkennen:
Orient und Occident
Sind nicht mehr zu trennen. [Spaltenumbruch]
Sinnig zwischen Seiden Welten
Sich zu wiegen, laß ich gelten;
Also zwischen Ost und Westen
Sich bewegen, seis zum besten!
[Ende Spaltensatz]

Es ist mit Freuden zu begrüßen, daß der durch seine großen Forschungs¬
reisen und seine politischen Aufsätze bekannte Münchner Privatdozent Dr. Wirth


Asiatische Probleme

sechsundfünfzig seiner besten Schiffe verloren hat, setzt sich sein heutiger Bestand
an großen Schiffen, die fertig sind, nur noch aus 6 Linienschiffen und 4 Panzer¬
kreuzern zusammen. Und an Zuwachs stehen demnächst nur vier Linienschiffe
und drei Panzerkreuzer in Aussicht. Nun geht ja allerdings schon lange das
Gerücht, Rußland wolle sich eine neue große Flotte schaffen. Aber die Pläne
haben viele Gegner und zurzeit noch keine greifbare Gestalt angenommen. Das
Programm, das der Reichsduma gegenwärtig vorliegt, beschränkt sich auch nur
auf die Summe von 457 Millionen Rubel, die, auf vier Jahre verteilt, nur
für die notwendigsten Ersatzschiffe, darunter in erster Linie vier Schlachtschiffe,
bestimmt sein sollen. Es werden deshalb im besten Fall wohl noch Jahre
vergehn, ehe die russische Flotte ihren frühern Platz unter den Hauptsee-
müchten wiedererlangt haben kann.




Asiatische Probleme

>in Gleichgewicht der Staaten, das dauern könne, hat Friedrich
der Große gesagt, lasse sich gar nicht denken. Wie wahr dieser
Satz ist, zeigt sich so recht erst in unsrer Zeit, wo in immer
kürzer werdenden Intervallen die Machtverhältnisse der souveränen
! Staaten zueinander verschoben werden. Neben dem Dreibund ist
der Zweibund Rußland-Frankreich entstanden, dann die französisch-britische
Entente, das britisch-japanische Bündnis, die britisch-russische Abmachung über
Asien, und neuerdings wird über eine internationale Festlegung des status «.no
der Nordsee- und Ostseegebiete verhandelt. Alles ist im Fluß. Während des
russisch-japanischen Kriegs stand die öffentliche Meinung Amerikas ganz auf
feiten Japans, dessen Siege wie die eignen gefeiert wurden. IZis^ ars g^Kein^
our bärtig, hieß es in den Aankeeblättern. Und jetzt scheint eine blutige Ab¬
rechnung zwischen der amerikanischen Union und Japan nur eine Frage der
Zeit zu sein. Wer will sagen, welche Entwicklung Japan noch nehmen, und
ob sich insbesondre China in ähnlich schnellem Tempo die technischen Hilfsmittel
der europäischen Kultur samt den Waffen aneignen wird. Immer mehr werden
sich die prophetischen Worte Goethes verwirklichen:

[Beginn Spaltensatz] Wer sich selbst und andre kennt.
Wird auch hier erkennen:
Orient und Occident
Sind nicht mehr zu trennen. [Spaltenumbruch]
Sinnig zwischen Seiden Welten
Sich zu wiegen, laß ich gelten;
Also zwischen Ost und Westen
Sich bewegen, seis zum besten!
[Ende Spaltensatz]

Es ist mit Freuden zu begrüßen, daß der durch seine großen Forschungs¬
reisen und seine politischen Aufsätze bekannte Münchner Privatdozent Dr. Wirth


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[0020] Asiatische Probleme sechsundfünfzig seiner besten Schiffe verloren hat, setzt sich sein heutiger Bestand an großen Schiffen, die fertig sind, nur noch aus 6 Linienschiffen und 4 Panzer¬ kreuzern zusammen. Und an Zuwachs stehen demnächst nur vier Linienschiffe und drei Panzerkreuzer in Aussicht. Nun geht ja allerdings schon lange das Gerücht, Rußland wolle sich eine neue große Flotte schaffen. Aber die Pläne haben viele Gegner und zurzeit noch keine greifbare Gestalt angenommen. Das Programm, das der Reichsduma gegenwärtig vorliegt, beschränkt sich auch nur auf die Summe von 457 Millionen Rubel, die, auf vier Jahre verteilt, nur für die notwendigsten Ersatzschiffe, darunter in erster Linie vier Schlachtschiffe, bestimmt sein sollen. Es werden deshalb im besten Fall wohl noch Jahre vergehn, ehe die russische Flotte ihren frühern Platz unter den Hauptsee- müchten wiedererlangt haben kann. Asiatische Probleme >in Gleichgewicht der Staaten, das dauern könne, hat Friedrich der Große gesagt, lasse sich gar nicht denken. Wie wahr dieser Satz ist, zeigt sich so recht erst in unsrer Zeit, wo in immer kürzer werdenden Intervallen die Machtverhältnisse der souveränen ! Staaten zueinander verschoben werden. Neben dem Dreibund ist der Zweibund Rußland-Frankreich entstanden, dann die französisch-britische Entente, das britisch-japanische Bündnis, die britisch-russische Abmachung über Asien, und neuerdings wird über eine internationale Festlegung des status «.no der Nordsee- und Ostseegebiete verhandelt. Alles ist im Fluß. Während des russisch-japanischen Kriegs stand die öffentliche Meinung Amerikas ganz auf feiten Japans, dessen Siege wie die eignen gefeiert wurden. IZis^ ars g^Kein^ our bärtig, hieß es in den Aankeeblättern. Und jetzt scheint eine blutige Ab¬ rechnung zwischen der amerikanischen Union und Japan nur eine Frage der Zeit zu sein. Wer will sagen, welche Entwicklung Japan noch nehmen, und ob sich insbesondre China in ähnlich schnellem Tempo die technischen Hilfsmittel der europäischen Kultur samt den Waffen aneignen wird. Immer mehr werden sich die prophetischen Worte Goethes verwirklichen: Wer sich selbst und andre kennt. Wird auch hier erkennen: Orient und Occident Sind nicht mehr zu trennen. Sinnig zwischen Seiden Welten Sich zu wiegen, laß ich gelten; Also zwischen Ost und Westen Sich bewegen, seis zum besten! Es ist mit Freuden zu begrüßen, daß der durch seine großen Forschungs¬ reisen und seine politischen Aufsätze bekannte Münchner Privatdozent Dr. Wirth

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/20>, abgerufen am 01.05.2024.