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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Fürstin Pauline zur Lippe

abzugeben, ein Beweis, daß der König bestimmt wußte, daß zu einer planmäßigen
Wiederverproviantierung noch Zeit genug war. Gegenteilige Äußerungen, wie
in den angezognen Artikeln der Preußischen Jahrbücher und des Militär-
Wochenblatts, sind also nicht nur unangebracht, sondern geradezu irrig.

Es erscheint deshalb zum Schluß der Wunsch wohl gerechtfertigt, es möge
nun die Zeit gekommen sein, wo man aufhört, Personenkultus zu treiben, und
wo man die Vorgänge in ihrer Wirklichkeit zu erfassen sucht. Der Ruhm
der preußischen Armee und die Ehre der deutschen Geschichtschreibung fordern
gleichmäßig, daß auch hier die Wahrheit zu ihrem Rechte komme.




Fürstin pauline zur Lippe
Siegfried Flete von2

!is Pauline im Januar 1796 als neue Herrin in Detmold einzog,
war der von ihr und ihrem alten Freunde Gleim so heiß er¬
sehnte Friede für das ganze deutsche Reich noch immer nicht zu¬
stande gekommen. Nur die norddeutschen Staaten waren dem
I Sonderfrieden, den Preußen mit der Republik geschlossen hatte,
beigetreten, und im August 1796 wurde eine Demarkationslinie gezogen, die
alles Land nördlich vom Main und rechts vom Rhein gegen die Schrecken des
Krieges schützen sollte. Im Bereich dieser norddeutschen Neutralität lag auch
die Grafschaft Lippe, und deshalb mußte sie für das aus preußischen, braun-
schweigischen und hannoverschen Truppen gebildete Observationskorps ebenfalls
Naturallieferungen und Geldbeiträge leisten."1 Sehr unangenehm aber empfanden
es Paulinens Untertanen, als preußische Soldaten bei ihnen einquartiert wurden
und sich mannigfache Übergriffe, sogar in die Hoheitsrechte des Landesherrn,
erlaubten. Die Fürstin Pauline, die eben erst vom Wochenbett aufgestanden
war, hatte Mühe genug, die Erbitterung des hitzigen Gemahls zu beschwichtigen.
Sie überarbeitete den Entwurf einer Beschwerdeschrift an das Berliner Aus¬
wärtige Amt, und ebenso gab sie einem etwas schroff gehaltnen Brief an den
Prinzen Louis Ferdinand, den Kommandeur der drei preußischen Bataillone,
einen versöhnlichen Abschluß. Wenn es da heißt: "Ich verlasse mich darauf,
Sie werden mich fürs künftige beruhigen und für dergleichen sicherstellen; wenn
man Ihrer schönen menschlichen Seele so gern und ganz vertraut, so wird man
sicher nicht getäuscht", so war dieser Zusatz eine fein berechnete Schmeichelei, die



*) Vgl. hierüber und für das folgende: Kiewning, Die auswärtige Politik der Graf¬
schaft Lippe vom Ausbruch der französischen Revolution bis zum Tilsiter Frieden. Detmold, 1903.
Grenzboten II 1908 41
Fürstin Pauline zur Lippe

abzugeben, ein Beweis, daß der König bestimmt wußte, daß zu einer planmäßigen
Wiederverproviantierung noch Zeit genug war. Gegenteilige Äußerungen, wie
in den angezognen Artikeln der Preußischen Jahrbücher und des Militär-
Wochenblatts, sind also nicht nur unangebracht, sondern geradezu irrig.

Es erscheint deshalb zum Schluß der Wunsch wohl gerechtfertigt, es möge
nun die Zeit gekommen sein, wo man aufhört, Personenkultus zu treiben, und
wo man die Vorgänge in ihrer Wirklichkeit zu erfassen sucht. Der Ruhm
der preußischen Armee und die Ehre der deutschen Geschichtschreibung fordern
gleichmäßig, daß auch hier die Wahrheit zu ihrem Rechte komme.




Fürstin pauline zur Lippe
Siegfried Flete von2

!is Pauline im Januar 1796 als neue Herrin in Detmold einzog,
war der von ihr und ihrem alten Freunde Gleim so heiß er¬
sehnte Friede für das ganze deutsche Reich noch immer nicht zu¬
stande gekommen. Nur die norddeutschen Staaten waren dem
I Sonderfrieden, den Preußen mit der Republik geschlossen hatte,
beigetreten, und im August 1796 wurde eine Demarkationslinie gezogen, die
alles Land nördlich vom Main und rechts vom Rhein gegen die Schrecken des
Krieges schützen sollte. Im Bereich dieser norddeutschen Neutralität lag auch
die Grafschaft Lippe, und deshalb mußte sie für das aus preußischen, braun-
schweigischen und hannoverschen Truppen gebildete Observationskorps ebenfalls
Naturallieferungen und Geldbeiträge leisten."1 Sehr unangenehm aber empfanden
es Paulinens Untertanen, als preußische Soldaten bei ihnen einquartiert wurden
und sich mannigfache Übergriffe, sogar in die Hoheitsrechte des Landesherrn,
erlaubten. Die Fürstin Pauline, die eben erst vom Wochenbett aufgestanden
war, hatte Mühe genug, die Erbitterung des hitzigen Gemahls zu beschwichtigen.
Sie überarbeitete den Entwurf einer Beschwerdeschrift an das Berliner Aus¬
wärtige Amt, und ebenso gab sie einem etwas schroff gehaltnen Brief an den
Prinzen Louis Ferdinand, den Kommandeur der drei preußischen Bataillone,
einen versöhnlichen Abschluß. Wenn es da heißt: „Ich verlasse mich darauf,
Sie werden mich fürs künftige beruhigen und für dergleichen sicherstellen; wenn
man Ihrer schönen menschlichen Seele so gern und ganz vertraut, so wird man
sicher nicht getäuscht", so war dieser Zusatz eine fein berechnete Schmeichelei, die



*) Vgl. hierüber und für das folgende: Kiewning, Die auswärtige Politik der Graf¬
schaft Lippe vom Ausbruch der französischen Revolution bis zum Tilsiter Frieden. Detmold, 1903.
Grenzboten II 1908 41
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[0325] Fürstin Pauline zur Lippe abzugeben, ein Beweis, daß der König bestimmt wußte, daß zu einer planmäßigen Wiederverproviantierung noch Zeit genug war. Gegenteilige Äußerungen, wie in den angezognen Artikeln der Preußischen Jahrbücher und des Militär- Wochenblatts, sind also nicht nur unangebracht, sondern geradezu irrig. Es erscheint deshalb zum Schluß der Wunsch wohl gerechtfertigt, es möge nun die Zeit gekommen sein, wo man aufhört, Personenkultus zu treiben, und wo man die Vorgänge in ihrer Wirklichkeit zu erfassen sucht. Der Ruhm der preußischen Armee und die Ehre der deutschen Geschichtschreibung fordern gleichmäßig, daß auch hier die Wahrheit zu ihrem Rechte komme. Fürstin pauline zur Lippe Siegfried Flete von2 !is Pauline im Januar 1796 als neue Herrin in Detmold einzog, war der von ihr und ihrem alten Freunde Gleim so heiß er¬ sehnte Friede für das ganze deutsche Reich noch immer nicht zu¬ stande gekommen. Nur die norddeutschen Staaten waren dem I Sonderfrieden, den Preußen mit der Republik geschlossen hatte, beigetreten, und im August 1796 wurde eine Demarkationslinie gezogen, die alles Land nördlich vom Main und rechts vom Rhein gegen die Schrecken des Krieges schützen sollte. Im Bereich dieser norddeutschen Neutralität lag auch die Grafschaft Lippe, und deshalb mußte sie für das aus preußischen, braun- schweigischen und hannoverschen Truppen gebildete Observationskorps ebenfalls Naturallieferungen und Geldbeiträge leisten."1 Sehr unangenehm aber empfanden es Paulinens Untertanen, als preußische Soldaten bei ihnen einquartiert wurden und sich mannigfache Übergriffe, sogar in die Hoheitsrechte des Landesherrn, erlaubten. Die Fürstin Pauline, die eben erst vom Wochenbett aufgestanden war, hatte Mühe genug, die Erbitterung des hitzigen Gemahls zu beschwichtigen. Sie überarbeitete den Entwurf einer Beschwerdeschrift an das Berliner Aus¬ wärtige Amt, und ebenso gab sie einem etwas schroff gehaltnen Brief an den Prinzen Louis Ferdinand, den Kommandeur der drei preußischen Bataillone, einen versöhnlichen Abschluß. Wenn es da heißt: „Ich verlasse mich darauf, Sie werden mich fürs künftige beruhigen und für dergleichen sicherstellen; wenn man Ihrer schönen menschlichen Seele so gern und ganz vertraut, so wird man sicher nicht getäuscht", so war dieser Zusatz eine fein berechnete Schmeichelei, die *) Vgl. hierüber und für das folgende: Kiewning, Die auswärtige Politik der Graf¬ schaft Lippe vom Ausbruch der französischen Revolution bis zum Tilsiter Frieden. Detmold, 1903. Grenzboten II 1908 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/325>, abgerufen am 01.05.2024.