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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Fürstin Pauline zur Lippe

jedoch ihre Wirkung verfehlte. Der preußische Prinz behandelte das kleine
Lippe ziemlich von oben herab. Der Freund Pauline Wiesels ist dieser Pauline,
deren Geist und frauenhafte Würde vielleicht auch in ihm tiefere Gefühle aus¬
gelöst hätten, nicht näher getreten und hat sie wahrscheinlich nicht einmal per¬
sönlich kennen gelernt.

Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß die erste nachweisbare Be¬
teiligung Paulinens an den öffentlichen Angelegenheiten sie in einen scharfen
Gegensatz zu dem großen Nachbarstaate brachte, der schon der anhaltinischen
Prinzessin so unheimlich gewesen war. Als ganz junges Mädchen hatte sie zum
Entzücken Gleims eine lateinische Ode auf Friedrich den Großen ins Deutsche
übersetzt. Aber diese Begeisterung war wohl mehr fritzisch als preußisch. In
ihren Briefen an den Augustenburger kommt manche bittere Bemerkung gegen
Preußen vor. Ihr Vater mag ihr oft genug erzählt haben, wie schwer die
anhaltinischen Lande im siebenjährigen Kriege durch Zwangslieferungen aller
Art gelitten hatten. Nun war sie als Fürstin von Lippe doch wieder in die
Nachbarschaft Preußens gekommen, und das sanfte und friedliche Regiment
Friedrich Wilhelms des Dritten zeigte sich in diesem Punkte nicht weniger
drückend und rücksichtslos. Moralische Eroberungen machte Preußen damals in
Norddeutschland nicht. Die schmähliche und nachgiebige Neutralitätspolitik seit
dem Basler Frieden nahm ihm zuletzt auch die Achtung, die seine glänzende
Vergangenheit und militärische Stellung beanspruchen durste. Daß es ini
Jahre 1803 die Besetzung Hannovers durch die Franzosen, die Verletzung der
Demarkationslinie ungeahndet ließ, war ein Fehler, der nie wieder gutgemacht
werden konnte. Die kleine Grafschaft Lippe lag jetzt wie eingekeilt zwischen den
beiden Großmächten, und darum überrascht es nicht, daß Pauline von nun ab
auch mit Frankreich rechnete. Von der Frau, die sich einst eine "Tochter
Thuiskons" genannt hatte, hätte man vielleicht eine nationalere Politik erwarten
sollen. Aber wo gab es die damals in Deutschland? Auch Preußen trieb ein¬
seitig preußische Interessenpolitik. hatte schon in Basel die allgemeine Sache
Deutschlands treulos preisgegeben und auch beim Reichsdeputationshauptschluß
nur an sich selbst gedacht.

Seit dem Tode ihres Gatten, der am 4. April 1802 starb, war Pauline
für die politischen Geschicke des kleinen Landes allein verantwortlich. Das
Testament des Fürsten hatte sie zur Vormünderin und Regentin eingesetzt, und
die Stände waren "in Rücksicht auf ihre ausgezeichneten Eigenschaften" damit
einverstanden. So hatte sie sich in ihrem Gedicht an Gleim als eine schlechte
Prophetin erwiesen; sie war nun doch Regentin geworden und mußte sich sehr
eingehend mit der ihr einst so unleidlichen Politik beschäftigen. Ihre erste Sorge
galt den Verhandlungen der Regensburger Reichsdeputation, die im August 1802
endlich zusammengetreten war, um die durch den Verlust des linken Rheinufers
völlig verwirrten Besitzverhältnisse des deutschen Reiches neu zu ordnen, in
Wahrheit aber doch nur zu bestätigen hatte, was die beutegierigen deutschen


Fürstin Pauline zur Lippe

jedoch ihre Wirkung verfehlte. Der preußische Prinz behandelte das kleine
Lippe ziemlich von oben herab. Der Freund Pauline Wiesels ist dieser Pauline,
deren Geist und frauenhafte Würde vielleicht auch in ihm tiefere Gefühle aus¬
gelöst hätten, nicht näher getreten und hat sie wahrscheinlich nicht einmal per¬
sönlich kennen gelernt.

Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß die erste nachweisbare Be¬
teiligung Paulinens an den öffentlichen Angelegenheiten sie in einen scharfen
Gegensatz zu dem großen Nachbarstaate brachte, der schon der anhaltinischen
Prinzessin so unheimlich gewesen war. Als ganz junges Mädchen hatte sie zum
Entzücken Gleims eine lateinische Ode auf Friedrich den Großen ins Deutsche
übersetzt. Aber diese Begeisterung war wohl mehr fritzisch als preußisch. In
ihren Briefen an den Augustenburger kommt manche bittere Bemerkung gegen
Preußen vor. Ihr Vater mag ihr oft genug erzählt haben, wie schwer die
anhaltinischen Lande im siebenjährigen Kriege durch Zwangslieferungen aller
Art gelitten hatten. Nun war sie als Fürstin von Lippe doch wieder in die
Nachbarschaft Preußens gekommen, und das sanfte und friedliche Regiment
Friedrich Wilhelms des Dritten zeigte sich in diesem Punkte nicht weniger
drückend und rücksichtslos. Moralische Eroberungen machte Preußen damals in
Norddeutschland nicht. Die schmähliche und nachgiebige Neutralitätspolitik seit
dem Basler Frieden nahm ihm zuletzt auch die Achtung, die seine glänzende
Vergangenheit und militärische Stellung beanspruchen durste. Daß es ini
Jahre 1803 die Besetzung Hannovers durch die Franzosen, die Verletzung der
Demarkationslinie ungeahndet ließ, war ein Fehler, der nie wieder gutgemacht
werden konnte. Die kleine Grafschaft Lippe lag jetzt wie eingekeilt zwischen den
beiden Großmächten, und darum überrascht es nicht, daß Pauline von nun ab
auch mit Frankreich rechnete. Von der Frau, die sich einst eine „Tochter
Thuiskons" genannt hatte, hätte man vielleicht eine nationalere Politik erwarten
sollen. Aber wo gab es die damals in Deutschland? Auch Preußen trieb ein¬
seitig preußische Interessenpolitik. hatte schon in Basel die allgemeine Sache
Deutschlands treulos preisgegeben und auch beim Reichsdeputationshauptschluß
nur an sich selbst gedacht.

Seit dem Tode ihres Gatten, der am 4. April 1802 starb, war Pauline
für die politischen Geschicke des kleinen Landes allein verantwortlich. Das
Testament des Fürsten hatte sie zur Vormünderin und Regentin eingesetzt, und
die Stände waren „in Rücksicht auf ihre ausgezeichneten Eigenschaften" damit
einverstanden. So hatte sie sich in ihrem Gedicht an Gleim als eine schlechte
Prophetin erwiesen; sie war nun doch Regentin geworden und mußte sich sehr
eingehend mit der ihr einst so unleidlichen Politik beschäftigen. Ihre erste Sorge
galt den Verhandlungen der Regensburger Reichsdeputation, die im August 1802
endlich zusammengetreten war, um die durch den Verlust des linken Rheinufers
völlig verwirrten Besitzverhältnisse des deutschen Reiches neu zu ordnen, in
Wahrheit aber doch nur zu bestätigen hatte, was die beutegierigen deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/326>, abgerufen am 22.05.2024.