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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Russische Briefe
George Lleinow") von
^2. Rußland, Deutschland und die Polen

er Führer des polnischen Koko in der russischen Neichsduma,
Roman Dmowski, hat soeben in Krakau eine Schrift in polnischer
Sprache veröffentlicht, in der er die Polenfrage im Zusammen¬
hang mit der deutsch-russischen Politik behandelt. Dmowski ist
ein durchaus offner und ehrlicher Politiker, dabei eine charak¬
teristische Persönlichkeit und in seinen Ansichten das Spiegelbild der An¬
schauungen der polnischen Gesellschaft. Darum dürfte es nicht uninteressant
sein, seine Anschauungen über die erwähnten Zusammenhänge vorzutragen.

Nach dem Zusammenbruch von 1863, schreibt Dmowski, schien die Polen¬
frage aufgehört zu haben, eine internationale zu sein. Dies um so mehr,
als auf der einen Seite die deutschen Siege über Frankreich, auf der andern
die Wirkungen der großen Reformen in Rußland bei deu Polen alle Hoffnungen
auf eine Hilfe von außen getötet hatten. In den drei Kongreßmüchten blieb
die Polenfrage fortab eine innere Frage. Sie hat als solche während der
ersten zehn Jahre nirgends einen so scharfen Charakter angenommen, daß sie
eine der Teilungsmächte hätte in Gefahr bringen können. Jede der drei be¬
teiligten Regierungen erledigte die Polensrage nach eignem Gutdünken. Ru߬
land führte seine Nussifizierungspolitik durch. Aus der Verwaltung, aus den
Schulen und den Gerichten wurde die polnische Sprache entfernt. Späterhin
wurde sie im Eisenbahnverkehr und schließlich in Privatgesellschaften verboten
und aus Banken und sonstigen privaten Unternehmungen verbannt. Den
Beamten wurde verboten, untereinander polnisch zu sprechen. Der Ausländer,
der das Zartnm auf der Eisenbahn durchquerte und nur die russische
Sprache hörte, der der polnischen Sprache nicht einmal in privaten Unter-



*) Im Zusammenhange mit diesen Ausführungen möchten mir unsre Leser auf Cleinows
demnächst im Grenzboten-Verlag erscheinendes Werk "Die Zukunft Polens" (2 Bande) auf¬
merksam machen. Cleinow stimmt vielfach mit R. Dmowski ttberein und begründet seine Auf¬
fassung eingehend. (Anm. d. Red.)
Grenzboten II 1908 58


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Russische Briefe
George Lleinow») von
^2. Rußland, Deutschland und die Polen

er Führer des polnischen Koko in der russischen Neichsduma,
Roman Dmowski, hat soeben in Krakau eine Schrift in polnischer
Sprache veröffentlicht, in der er die Polenfrage im Zusammen¬
hang mit der deutsch-russischen Politik behandelt. Dmowski ist
ein durchaus offner und ehrlicher Politiker, dabei eine charak¬
teristische Persönlichkeit und in seinen Ansichten das Spiegelbild der An¬
schauungen der polnischen Gesellschaft. Darum dürfte es nicht uninteressant
sein, seine Anschauungen über die erwähnten Zusammenhänge vorzutragen.

Nach dem Zusammenbruch von 1863, schreibt Dmowski, schien die Polen¬
frage aufgehört zu haben, eine internationale zu sein. Dies um so mehr,
als auf der einen Seite die deutschen Siege über Frankreich, auf der andern
die Wirkungen der großen Reformen in Rußland bei deu Polen alle Hoffnungen
auf eine Hilfe von außen getötet hatten. In den drei Kongreßmüchten blieb
die Polenfrage fortab eine innere Frage. Sie hat als solche während der
ersten zehn Jahre nirgends einen so scharfen Charakter angenommen, daß sie
eine der Teilungsmächte hätte in Gefahr bringen können. Jede der drei be¬
teiligten Regierungen erledigte die Polensrage nach eignem Gutdünken. Ru߬
land führte seine Nussifizierungspolitik durch. Aus der Verwaltung, aus den
Schulen und den Gerichten wurde die polnische Sprache entfernt. Späterhin
wurde sie im Eisenbahnverkehr und schließlich in Privatgesellschaften verboten
und aus Banken und sonstigen privaten Unternehmungen verbannt. Den
Beamten wurde verboten, untereinander polnisch zu sprechen. Der Ausländer,
der das Zartnm auf der Eisenbahn durchquerte und nur die russische
Sprache hörte, der der polnischen Sprache nicht einmal in privaten Unter-



*) Im Zusammenhange mit diesen Ausführungen möchten mir unsre Leser auf Cleinows
demnächst im Grenzboten-Verlag erscheinendes Werk „Die Zukunft Polens" (2 Bande) auf¬
merksam machen. Cleinow stimmt vielfach mit R. Dmowski ttberein und begründet seine Auf¬
fassung eingehend. (Anm. d. Red.)
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[0457] [Abbildung] OvOl- /?S5 ^/7^SS5S/' Russische Briefe George Lleinow») von ^2. Rußland, Deutschland und die Polen er Führer des polnischen Koko in der russischen Neichsduma, Roman Dmowski, hat soeben in Krakau eine Schrift in polnischer Sprache veröffentlicht, in der er die Polenfrage im Zusammen¬ hang mit der deutsch-russischen Politik behandelt. Dmowski ist ein durchaus offner und ehrlicher Politiker, dabei eine charak¬ teristische Persönlichkeit und in seinen Ansichten das Spiegelbild der An¬ schauungen der polnischen Gesellschaft. Darum dürfte es nicht uninteressant sein, seine Anschauungen über die erwähnten Zusammenhänge vorzutragen. Nach dem Zusammenbruch von 1863, schreibt Dmowski, schien die Polen¬ frage aufgehört zu haben, eine internationale zu sein. Dies um so mehr, als auf der einen Seite die deutschen Siege über Frankreich, auf der andern die Wirkungen der großen Reformen in Rußland bei deu Polen alle Hoffnungen auf eine Hilfe von außen getötet hatten. In den drei Kongreßmüchten blieb die Polenfrage fortab eine innere Frage. Sie hat als solche während der ersten zehn Jahre nirgends einen so scharfen Charakter angenommen, daß sie eine der Teilungsmächte hätte in Gefahr bringen können. Jede der drei be¬ teiligten Regierungen erledigte die Polensrage nach eignem Gutdünken. Ru߬ land führte seine Nussifizierungspolitik durch. Aus der Verwaltung, aus den Schulen und den Gerichten wurde die polnische Sprache entfernt. Späterhin wurde sie im Eisenbahnverkehr und schließlich in Privatgesellschaften verboten und aus Banken und sonstigen privaten Unternehmungen verbannt. Den Beamten wurde verboten, untereinander polnisch zu sprechen. Der Ausländer, der das Zartnm auf der Eisenbahn durchquerte und nur die russische Sprache hörte, der der polnischen Sprache nicht einmal in privaten Unter- *) Im Zusammenhange mit diesen Ausführungen möchten mir unsre Leser auf Cleinows demnächst im Grenzboten-Verlag erscheinendes Werk „Die Zukunft Polens" (2 Bande) auf¬ merksam machen. Cleinow stimmt vielfach mit R. Dmowski ttberein und begründet seine Auf¬ fassung eingehend. (Anm. d. Red.) Grenzboten II 1908 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/457>, abgerufen am 01.05.2024.