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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das Modell der Schmerzen

Der Zufall gesellt diesem Bande einen andern, von dessen Gedichten nur
zu oft das Entgegengesetzte gilt: sie sind zu lang; und sie sind immer noch
nicht zu Ende, wenn das Thema eigentlich längst erschöpft ist. Ich meine das
Buch "An das Leben" von Franz Langheinrich (Leipzig, E. A. Seemann).
Nirgends blickt uns aus diesen Versen ein scharfes Profil um, und ich empfinde
ein gewisses Mißverhältnis zwischen den Bildern, die Max Klinger und Otto
Greiner zu dem auch sonst trefflich ausgestatteten Baude beigetragen haben,
und seinem eigentlichen Inhalt. Wer sich mit Klinger unter einen Schild stellt,
der muß das Leben noch anders zu fassen wissen als nur an der Oberfläche.
Es sind gewiß manche hübsche Verse in dem Bande, aber kaum ein Gedicht,
das nicht schließlich enttäuschte. Und nur vielleicht die bekannten Verse zu
Arnold Böcklins siebzigsten Geburtstag drücken restlos das Gewollte aus:

Es ist bezeichnenderweise das kürzeste Gedicht des Bandes. Und nun
schweigt der ruhige Betrachter, der weder Enthusiast noch Pessimist sein will
und zu sein braucht. Und er läßt das letzte Wort für heute einem stillen, tiefen
Dichter, der also spricht: "Recht eigentlich können auch Künste nur der Seele
eine wahre Lebensflamme sein, deren eigne, heiße Flamme sie lodern machen."
(Carl Hauptmann, Einhard der Lächter I, 259.) Von seinem neuen Buch soll
im Beginn der nächsten Übersicht die Rede sein.




Das Modell der Schmerzen
Israel Sangwill von (Schluß)

is ich nach Hause kam, fand ich ein Telegramm aus dem Pfarrhause.
Mein Vater war gefährlich krank. Ich ließ alles im Stiche und eilte,
ihn pflegen zu helfen. Mein Bild wurde deshalb nicht auf die Aus¬
stellung gesandt -- ich konnte es nicht dahin cibgehn lassen, ohne einen
letzten prüfenden Blick darauf zu werfen und vielleicht hier und da
ein wenig nachzuhelfen. Als ich nach ein paar Monaten in die Stadt
zurückkehrte, war das erste, wozu der Anblick meines Bildes mich anregte, der
Gedanke, wie es wohl mit Qnarriar gehn möge. Ich verließ mein Atelier und
telephonierte an Sir Asser Aaronsberg in dem Londoner Bureau seines großen
Middletoner Geschäfts.


Das Modell der Schmerzen

Der Zufall gesellt diesem Bande einen andern, von dessen Gedichten nur
zu oft das Entgegengesetzte gilt: sie sind zu lang; und sie sind immer noch
nicht zu Ende, wenn das Thema eigentlich längst erschöpft ist. Ich meine das
Buch „An das Leben" von Franz Langheinrich (Leipzig, E. A. Seemann).
Nirgends blickt uns aus diesen Versen ein scharfes Profil um, und ich empfinde
ein gewisses Mißverhältnis zwischen den Bildern, die Max Klinger und Otto
Greiner zu dem auch sonst trefflich ausgestatteten Baude beigetragen haben,
und seinem eigentlichen Inhalt. Wer sich mit Klinger unter einen Schild stellt,
der muß das Leben noch anders zu fassen wissen als nur an der Oberfläche.
Es sind gewiß manche hübsche Verse in dem Bande, aber kaum ein Gedicht,
das nicht schließlich enttäuschte. Und nur vielleicht die bekannten Verse zu
Arnold Böcklins siebzigsten Geburtstag drücken restlos das Gewollte aus:

Es ist bezeichnenderweise das kürzeste Gedicht des Bandes. Und nun
schweigt der ruhige Betrachter, der weder Enthusiast noch Pessimist sein will
und zu sein braucht. Und er läßt das letzte Wort für heute einem stillen, tiefen
Dichter, der also spricht: „Recht eigentlich können auch Künste nur der Seele
eine wahre Lebensflamme sein, deren eigne, heiße Flamme sie lodern machen."
(Carl Hauptmann, Einhard der Lächter I, 259.) Von seinem neuen Buch soll
im Beginn der nächsten Übersicht die Rede sein.




Das Modell der Schmerzen
Israel Sangwill von (Schluß)

is ich nach Hause kam, fand ich ein Telegramm aus dem Pfarrhause.
Mein Vater war gefährlich krank. Ich ließ alles im Stiche und eilte,
ihn pflegen zu helfen. Mein Bild wurde deshalb nicht auf die Aus¬
stellung gesandt — ich konnte es nicht dahin cibgehn lassen, ohne einen
letzten prüfenden Blick darauf zu werfen und vielleicht hier und da
ein wenig nachzuhelfen. Als ich nach ein paar Monaten in die Stadt
zurückkehrte, war das erste, wozu der Anblick meines Bildes mich anregte, der
Gedanke, wie es wohl mit Qnarriar gehn möge. Ich verließ mein Atelier und
telephonierte an Sir Asser Aaronsberg in dem Londoner Bureau seines großen
Middletoner Geschäfts.


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[0493] Das Modell der Schmerzen Der Zufall gesellt diesem Bande einen andern, von dessen Gedichten nur zu oft das Entgegengesetzte gilt: sie sind zu lang; und sie sind immer noch nicht zu Ende, wenn das Thema eigentlich längst erschöpft ist. Ich meine das Buch „An das Leben" von Franz Langheinrich (Leipzig, E. A. Seemann). Nirgends blickt uns aus diesen Versen ein scharfes Profil um, und ich empfinde ein gewisses Mißverhältnis zwischen den Bildern, die Max Klinger und Otto Greiner zu dem auch sonst trefflich ausgestatteten Baude beigetragen haben, und seinem eigentlichen Inhalt. Wer sich mit Klinger unter einen Schild stellt, der muß das Leben noch anders zu fassen wissen als nur an der Oberfläche. Es sind gewiß manche hübsche Verse in dem Bande, aber kaum ein Gedicht, das nicht schließlich enttäuschte. Und nur vielleicht die bekannten Verse zu Arnold Böcklins siebzigsten Geburtstag drücken restlos das Gewollte aus: Es ist bezeichnenderweise das kürzeste Gedicht des Bandes. Und nun schweigt der ruhige Betrachter, der weder Enthusiast noch Pessimist sein will und zu sein braucht. Und er läßt das letzte Wort für heute einem stillen, tiefen Dichter, der also spricht: „Recht eigentlich können auch Künste nur der Seele eine wahre Lebensflamme sein, deren eigne, heiße Flamme sie lodern machen." (Carl Hauptmann, Einhard der Lächter I, 259.) Von seinem neuen Buch soll im Beginn der nächsten Übersicht die Rede sein. Das Modell der Schmerzen Israel Sangwill von (Schluß) is ich nach Hause kam, fand ich ein Telegramm aus dem Pfarrhause. Mein Vater war gefährlich krank. Ich ließ alles im Stiche und eilte, ihn pflegen zu helfen. Mein Bild wurde deshalb nicht auf die Aus¬ stellung gesandt — ich konnte es nicht dahin cibgehn lassen, ohne einen letzten prüfenden Blick darauf zu werfen und vielleicht hier und da ein wenig nachzuhelfen. Als ich nach ein paar Monaten in die Stadt zurückkehrte, war das erste, wozu der Anblick meines Bildes mich anregte, der Gedanke, wie es wohl mit Qnarriar gehn möge. Ich verließ mein Atelier und telephonierte an Sir Asser Aaronsberg in dem Londoner Bureau seines großen Middletoner Geschäfts.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/493>, abgerufen am 01.05.2024.