Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Lyrik

echter Empfindung und nicht etwa als bloße Nachtreter einen kleinen Kreis
umschreiben. Liebenswertes, wenn auch kaum Dauerndes steckt etwa in dem
Bande von Agnes Harder "Vom Rain des Lebens" (Goslar, F. A. Lattmann),
der nach schwachen Liebesgedichten eine Reihe gut geschauter Bilder aus der
preußischen Heimat und aus der Fremde bringt. Und über der liebenswürdigen
Natur, die sich in den "Neuen Gedichten" von Frieda Jung (Königsberg i. Pr,,
Grase und Unzer) offenbart, vergißt man, daß diese anspruchslosen Verse eben
nur Ansätze zur Kunst, aber noch keine Kunst siud.

Wenn ich auch das Buch "Meine Verse" von Franz Lichtenberger (Leipzig,
K. G. Th. Scheffer) nur als Ansätze zur Kunst bezeichnen kann, so hat das
freilich ganz andre Gründe. Lichtenberger will Kunst geben, er ist nicht an¬
spruchslos, aber ihm fehlt noch durchaus die Zucht zur Gestaltung. Wenn
auch beim Lyriker oft Empfängnis und Schöpfung zusammenfallen, so ist es
bei Lichtenberger -- ich muß das Paradoxon schon wagen -- im Grunde immer
bei der Konzeption geblieben. Einfälle sind noch keine Dichtungen, wenn auch
der Kreis der Zeitschrift Charon, zu dem Lichtenberger anscheinend gehört, uns
das glauben lassen möchte. Es ist nicht einmal ans diesem Buche zu erkennen,
ob Lichtenberger einmal weiter kommen wird; die wenigen versuchten Durch¬
kompositionen (etwa das Gedicht an Dehmel) lassen eher das Gegenteil vermuten.

Sehr viel fertiger und ohne sich nutzlos vom Wege zu verlieren, tritt ein
andrer Junger, Karl Friedrich Nowak, mit einem ersten Gedichtband "Romantische
Fahrt" (Berlin, Concordia Deutsche Verlagsanstalt) auf. Nowak hat hübsche
musikalische Verse, besonders wenn er das Rokoko, die Umwelt seines geliebten
Mozart, gestalten will. So klingt es mit dem sehnsüchtigen Ton eines fernen

Instruments:


[Beginn Spaltensatz]
So hold ist dieser Wundorgarten ...
So lautlos sinkt der Blütenregen ...
In dieser hellen Zaubernacht
Will ich getrost zur Ruh mich legen,
Wenn meiner Geige ich, der zarten,
Das letzte süße Lied gebracht.
[Spaltenumbruch]
Indes ich schlummre, wird ein Neigen
Mir nahm von längst erschauten Zielen,
Wird eine Schar mich froh umspielen.
Von Frauen, die sich ntederneigen
Und zärtlich meinen Namen nennen --
Ich werde keine Sehnsucht kennen. [Ende Spaltensatz]
Leise Musik ... Ein Wiegenlied
Will mich in diesen Schlummer singen ...
Sang das nicht ich? Seltsam, ich schied
Und immer noch dies Singen, Klingen ...
Hab ich so spät dies noch erdacht?
Laßt mich nur ruhn ... Süß ist die Nacht,

Eine Wehmut, die kaum je spielerisch wird, ruht über den Versen Nowaks,
denen seltner Töne eines jugendlichen, jubelnden Glücks entgleiten. Eine Natur,
die ihre Grenzen kennt und innerhalb ihres Gebiets Bescheid weiß, spricht aus
diesen Gedichten, zu deren Vorzügen sich auch der gesellt, daß Nowak immer
aufzuhören weiß, wo sein Stoff es verlangt. Die Verse sind fein gefeilt, ohne
daß dem Rhythmus Gewalt getan wäre.


Neue Lyrik

echter Empfindung und nicht etwa als bloße Nachtreter einen kleinen Kreis
umschreiben. Liebenswertes, wenn auch kaum Dauerndes steckt etwa in dem
Bande von Agnes Harder „Vom Rain des Lebens" (Goslar, F. A. Lattmann),
der nach schwachen Liebesgedichten eine Reihe gut geschauter Bilder aus der
preußischen Heimat und aus der Fremde bringt. Und über der liebenswürdigen
Natur, die sich in den „Neuen Gedichten" von Frieda Jung (Königsberg i. Pr,,
Grase und Unzer) offenbart, vergißt man, daß diese anspruchslosen Verse eben
nur Ansätze zur Kunst, aber noch keine Kunst siud.

Wenn ich auch das Buch „Meine Verse" von Franz Lichtenberger (Leipzig,
K. G. Th. Scheffer) nur als Ansätze zur Kunst bezeichnen kann, so hat das
freilich ganz andre Gründe. Lichtenberger will Kunst geben, er ist nicht an¬
spruchslos, aber ihm fehlt noch durchaus die Zucht zur Gestaltung. Wenn
auch beim Lyriker oft Empfängnis und Schöpfung zusammenfallen, so ist es
bei Lichtenberger — ich muß das Paradoxon schon wagen — im Grunde immer
bei der Konzeption geblieben. Einfälle sind noch keine Dichtungen, wenn auch
der Kreis der Zeitschrift Charon, zu dem Lichtenberger anscheinend gehört, uns
das glauben lassen möchte. Es ist nicht einmal ans diesem Buche zu erkennen,
ob Lichtenberger einmal weiter kommen wird; die wenigen versuchten Durch¬
kompositionen (etwa das Gedicht an Dehmel) lassen eher das Gegenteil vermuten.

Sehr viel fertiger und ohne sich nutzlos vom Wege zu verlieren, tritt ein
andrer Junger, Karl Friedrich Nowak, mit einem ersten Gedichtband „Romantische
Fahrt" (Berlin, Concordia Deutsche Verlagsanstalt) auf. Nowak hat hübsche
musikalische Verse, besonders wenn er das Rokoko, die Umwelt seines geliebten
Mozart, gestalten will. So klingt es mit dem sehnsüchtigen Ton eines fernen

Instruments:


[Beginn Spaltensatz]
So hold ist dieser Wundorgarten ...
So lautlos sinkt der Blütenregen ...
In dieser hellen Zaubernacht
Will ich getrost zur Ruh mich legen,
Wenn meiner Geige ich, der zarten,
Das letzte süße Lied gebracht.
[Spaltenumbruch]
Indes ich schlummre, wird ein Neigen
Mir nahm von längst erschauten Zielen,
Wird eine Schar mich froh umspielen.
Von Frauen, die sich ntederneigen
Und zärtlich meinen Namen nennen —
Ich werde keine Sehnsucht kennen. [Ende Spaltensatz]
Leise Musik ... Ein Wiegenlied
Will mich in diesen Schlummer singen ...
Sang das nicht ich? Seltsam, ich schied
Und immer noch dies Singen, Klingen ...
Hab ich so spät dies noch erdacht?
Laßt mich nur ruhn ... Süß ist die Nacht,

Eine Wehmut, die kaum je spielerisch wird, ruht über den Versen Nowaks,
denen seltner Töne eines jugendlichen, jubelnden Glücks entgleiten. Eine Natur,
die ihre Grenzen kennt und innerhalb ihres Gebiets Bescheid weiß, spricht aus
diesen Gedichten, zu deren Vorzügen sich auch der gesellt, daß Nowak immer
aufzuhören weiß, wo sein Stoff es verlangt. Die Verse sind fein gefeilt, ohne
daß dem Rhythmus Gewalt getan wäre.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/312177"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Lyrik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1964" prev="#ID_1963"> echter Empfindung und nicht etwa als bloße Nachtreter einen kleinen Kreis<lb/>
umschreiben. Liebenswertes, wenn auch kaum Dauerndes steckt etwa in dem<lb/>
Bande von Agnes Harder &#x201E;Vom Rain des Lebens" (Goslar, F. A. Lattmann),<lb/>
der nach schwachen Liebesgedichten eine Reihe gut geschauter Bilder aus der<lb/>
preußischen Heimat und aus der Fremde bringt. Und über der liebenswürdigen<lb/>
Natur, die sich in den &#x201E;Neuen Gedichten" von Frieda Jung (Königsberg i. Pr,,<lb/>
Grase und Unzer) offenbart, vergißt man, daß diese anspruchslosen Verse eben<lb/>
nur Ansätze zur Kunst, aber noch keine Kunst siud.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1965"> Wenn ich auch das Buch &#x201E;Meine Verse" von Franz Lichtenberger (Leipzig,<lb/>
K. G. Th. Scheffer) nur als Ansätze zur Kunst bezeichnen kann, so hat das<lb/>
freilich ganz andre Gründe. Lichtenberger will Kunst geben, er ist nicht an¬<lb/>
spruchslos, aber ihm fehlt noch durchaus die Zucht zur Gestaltung. Wenn<lb/>
auch beim Lyriker oft Empfängnis und Schöpfung zusammenfallen, so ist es<lb/>
bei Lichtenberger &#x2014; ich muß das Paradoxon schon wagen &#x2014; im Grunde immer<lb/>
bei der Konzeption geblieben. Einfälle sind noch keine Dichtungen, wenn auch<lb/>
der Kreis der Zeitschrift Charon, zu dem Lichtenberger anscheinend gehört, uns<lb/>
das glauben lassen möchte. Es ist nicht einmal ans diesem Buche zu erkennen,<lb/>
ob Lichtenberger einmal weiter kommen wird; die wenigen versuchten Durch¬<lb/>
kompositionen (etwa das Gedicht an Dehmel) lassen eher das Gegenteil vermuten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1966" next="#ID_1967"> Sehr viel fertiger und ohne sich nutzlos vom Wege zu verlieren, tritt ein<lb/>
andrer Junger, Karl Friedrich Nowak, mit einem ersten Gedichtband &#x201E;Romantische<lb/>
Fahrt" (Berlin, Concordia Deutsche Verlagsanstalt) auf. Nowak hat hübsche<lb/>
musikalische Verse, besonders wenn er das Rokoko, die Umwelt seines geliebten<lb/>
Mozart, gestalten will. So klingt es mit dem sehnsüchtigen Ton eines fernen</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1967" prev="#ID_1966"> Instruments:</p><lb/>
          <cb type="start"/>
          <lg xml:id="POEMID_22" type="poem">
            <l> So hold ist dieser Wundorgarten ...<lb/>
So lautlos sinkt der Blütenregen ...<lb/>
In dieser hellen Zaubernacht<lb/>
Will ich getrost zur Ruh mich legen,<lb/>
Wenn meiner Geige ich, der zarten,<lb/>
Das letzte süße Lied gebracht.</l>
          </lg>
          <cb/><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_23" type="poem">
            <l> Indes ich schlummre, wird ein Neigen<lb/>
Mir nahm von längst erschauten Zielen,<lb/>
Wird eine Schar mich froh umspielen.<lb/>
Von Frauen, die sich ntederneigen<lb/>
Und zärtlich meinen Namen nennen &#x2014;<lb/>
Ich werde keine Sehnsucht kennen. <cb type="end"/><lb/>
Leise Musik ... Ein Wiegenlied<lb/>
Will mich in diesen Schlummer singen ...<lb/>
Sang das nicht ich? Seltsam, ich schied<lb/>
Und immer noch dies Singen, Klingen ...<lb/>
Hab ich so spät dies noch erdacht?<lb/>
Laßt mich nur ruhn ... Süß ist die Nacht, </l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1968"> Eine Wehmut, die kaum je spielerisch wird, ruht über den Versen Nowaks,<lb/>
denen seltner Töne eines jugendlichen, jubelnden Glücks entgleiten. Eine Natur,<lb/>
die ihre Grenzen kennt und innerhalb ihres Gebiets Bescheid weiß, spricht aus<lb/>
diesen Gedichten, zu deren Vorzügen sich auch der gesellt, daß Nowak immer<lb/>
aufzuhören weiß, wo sein Stoff es verlangt. Die Verse sind fein gefeilt, ohne<lb/>
daß dem Rhythmus Gewalt getan wäre.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0492] Neue Lyrik echter Empfindung und nicht etwa als bloße Nachtreter einen kleinen Kreis umschreiben. Liebenswertes, wenn auch kaum Dauerndes steckt etwa in dem Bande von Agnes Harder „Vom Rain des Lebens" (Goslar, F. A. Lattmann), der nach schwachen Liebesgedichten eine Reihe gut geschauter Bilder aus der preußischen Heimat und aus der Fremde bringt. Und über der liebenswürdigen Natur, die sich in den „Neuen Gedichten" von Frieda Jung (Königsberg i. Pr,, Grase und Unzer) offenbart, vergißt man, daß diese anspruchslosen Verse eben nur Ansätze zur Kunst, aber noch keine Kunst siud. Wenn ich auch das Buch „Meine Verse" von Franz Lichtenberger (Leipzig, K. G. Th. Scheffer) nur als Ansätze zur Kunst bezeichnen kann, so hat das freilich ganz andre Gründe. Lichtenberger will Kunst geben, er ist nicht an¬ spruchslos, aber ihm fehlt noch durchaus die Zucht zur Gestaltung. Wenn auch beim Lyriker oft Empfängnis und Schöpfung zusammenfallen, so ist es bei Lichtenberger — ich muß das Paradoxon schon wagen — im Grunde immer bei der Konzeption geblieben. Einfälle sind noch keine Dichtungen, wenn auch der Kreis der Zeitschrift Charon, zu dem Lichtenberger anscheinend gehört, uns das glauben lassen möchte. Es ist nicht einmal ans diesem Buche zu erkennen, ob Lichtenberger einmal weiter kommen wird; die wenigen versuchten Durch¬ kompositionen (etwa das Gedicht an Dehmel) lassen eher das Gegenteil vermuten. Sehr viel fertiger und ohne sich nutzlos vom Wege zu verlieren, tritt ein andrer Junger, Karl Friedrich Nowak, mit einem ersten Gedichtband „Romantische Fahrt" (Berlin, Concordia Deutsche Verlagsanstalt) auf. Nowak hat hübsche musikalische Verse, besonders wenn er das Rokoko, die Umwelt seines geliebten Mozart, gestalten will. So klingt es mit dem sehnsüchtigen Ton eines fernen Instruments: So hold ist dieser Wundorgarten ... So lautlos sinkt der Blütenregen ... In dieser hellen Zaubernacht Will ich getrost zur Ruh mich legen, Wenn meiner Geige ich, der zarten, Das letzte süße Lied gebracht. Indes ich schlummre, wird ein Neigen Mir nahm von längst erschauten Zielen, Wird eine Schar mich froh umspielen. Von Frauen, die sich ntederneigen Und zärtlich meinen Namen nennen — Ich werde keine Sehnsucht kennen. Leise Musik ... Ein Wiegenlied Will mich in diesen Schlummer singen ... Sang das nicht ich? Seltsam, ich schied Und immer noch dies Singen, Klingen ... Hab ich so spät dies noch erdacht? Laßt mich nur ruhn ... Süß ist die Nacht, Eine Wehmut, die kaum je spielerisch wird, ruht über den Versen Nowaks, denen seltner Töne eines jugendlichen, jubelnden Glücks entgleiten. Eine Natur, die ihre Grenzen kennt und innerhalb ihres Gebiets Bescheid weiß, spricht aus diesen Gedichten, zu deren Vorzügen sich auch der gesellt, daß Nowak immer aufzuhören weiß, wo sein Stoff es verlangt. Die Verse sind fein gefeilt, ohne daß dem Rhythmus Gewalt getan wäre.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/492
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/492>, abgerufen am 16.05.2024.