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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Chinesische Parteien und Zeitungen

und fünfzig bekanntere moderne chinesische Zeitungen sind es, die
im Reiche der Mitte die Organe der Presse ausmachen. Ihre
Zahl war früher bedeutend größer, sie soll sogar mehr als 250
betragen haben. Es war zu Anfang der achtziger Jahre, als
das erste, den abendländischen Grundsätzen entsprechende Blatt im
südlichen China erschien, die Anzahl der Zeitungen wuchs dann schnell zu der
oben genannten Zahl an, aber ebenso schnell sank sie wieder dank dem
energischen Vorgehen der Regierung, die die ihr entgegenarbeitenden Blätter
mit "Feuer und Schwert" verfolgte. Das ist nicht zuviel gesagt, fand doch
im Jahre 1903 zu Peking noch die grausame Hinrichtung eines fortschrittlichen
unbequemen Redakteurs statt, der buchstäblich zu Tode gepeitscht wurde. Der
Arme erlag seinen Qualen, nachdem sich die Henkersknechte mehr als zwei
Stunden mit Lederpeitschen abgemüht hatten, ihm das Lebenslicht aufzublasen.
Er ging, wie so viele Propheten, in den Märtyrertod und starb für seine
Überzeugung, aber mit ihm lebten und nach ihm kamen viele, die -- so wie
er -- den Geist des Fortschritts vertreten, und vor denen sogar eine so
konservative Negierung wie die chinesische allmählich mehr und mehr kapitulieren
muß. Beim Einblick in die chinesischen Zeitungen vergegenwärtige man sich,
daß sie nur von einem engern Kreise gelesen werden, da das "große Publikum"
im Sonnenreiche überhaupt keine Zeitungen lesen kann. Denn diese sind in
der Gelehrtensprache geschrieben, und es wird uns deshalb weiter nicht wunder¬
nehmen, daß es unter Millionen nur einige Tausend sind, die sich mit Politik
und Tagesneuigkeiten beschäftigen.

Selbstverständlich geht die Tendenz der einzelnen Blätter mit der Richtung
der "Partei", zu der ihre Leser gehören, zusammen. Nur die Partei, aus
der die Oberhäupter der Boxer 1900 hervorgegangen sind -- die sogenannte
"alte Partei" --, also die fremdenfeindliche, kann sich, dank der allmählich
immer fremdenfrcnndlicher werdenden allmächtigen Regierung, keines bestimmten
Organs erfreuen. Anders die "neue Partei". Sie strebt vorwärts, natürlich


Grenzboten II 1908 70


Chinesische Parteien und Zeitungen

und fünfzig bekanntere moderne chinesische Zeitungen sind es, die
im Reiche der Mitte die Organe der Presse ausmachen. Ihre
Zahl war früher bedeutend größer, sie soll sogar mehr als 250
betragen haben. Es war zu Anfang der achtziger Jahre, als
das erste, den abendländischen Grundsätzen entsprechende Blatt im
südlichen China erschien, die Anzahl der Zeitungen wuchs dann schnell zu der
oben genannten Zahl an, aber ebenso schnell sank sie wieder dank dem
energischen Vorgehen der Regierung, die die ihr entgegenarbeitenden Blätter
mit „Feuer und Schwert" verfolgte. Das ist nicht zuviel gesagt, fand doch
im Jahre 1903 zu Peking noch die grausame Hinrichtung eines fortschrittlichen
unbequemen Redakteurs statt, der buchstäblich zu Tode gepeitscht wurde. Der
Arme erlag seinen Qualen, nachdem sich die Henkersknechte mehr als zwei
Stunden mit Lederpeitschen abgemüht hatten, ihm das Lebenslicht aufzublasen.
Er ging, wie so viele Propheten, in den Märtyrertod und starb für seine
Überzeugung, aber mit ihm lebten und nach ihm kamen viele, die — so wie
er — den Geist des Fortschritts vertreten, und vor denen sogar eine so
konservative Negierung wie die chinesische allmählich mehr und mehr kapitulieren
muß. Beim Einblick in die chinesischen Zeitungen vergegenwärtige man sich,
daß sie nur von einem engern Kreise gelesen werden, da das „große Publikum"
im Sonnenreiche überhaupt keine Zeitungen lesen kann. Denn diese sind in
der Gelehrtensprache geschrieben, und es wird uns deshalb weiter nicht wunder¬
nehmen, daß es unter Millionen nur einige Tausend sind, die sich mit Politik
und Tagesneuigkeiten beschäftigen.

Selbstverständlich geht die Tendenz der einzelnen Blätter mit der Richtung
der „Partei", zu der ihre Leser gehören, zusammen. Nur die Partei, aus
der die Oberhäupter der Boxer 1900 hervorgegangen sind — die sogenannte
„alte Partei" —, also die fremdenfeindliche, kann sich, dank der allmählich
immer fremdenfrcnndlicher werdenden allmächtigen Regierung, keines bestimmten
Organs erfreuen. Anders die „neue Partei". Sie strebt vorwärts, natürlich


Grenzboten II 1908 70
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[0553] [Abbildung] Chinesische Parteien und Zeitungen und fünfzig bekanntere moderne chinesische Zeitungen sind es, die im Reiche der Mitte die Organe der Presse ausmachen. Ihre Zahl war früher bedeutend größer, sie soll sogar mehr als 250 betragen haben. Es war zu Anfang der achtziger Jahre, als das erste, den abendländischen Grundsätzen entsprechende Blatt im südlichen China erschien, die Anzahl der Zeitungen wuchs dann schnell zu der oben genannten Zahl an, aber ebenso schnell sank sie wieder dank dem energischen Vorgehen der Regierung, die die ihr entgegenarbeitenden Blätter mit „Feuer und Schwert" verfolgte. Das ist nicht zuviel gesagt, fand doch im Jahre 1903 zu Peking noch die grausame Hinrichtung eines fortschrittlichen unbequemen Redakteurs statt, der buchstäblich zu Tode gepeitscht wurde. Der Arme erlag seinen Qualen, nachdem sich die Henkersknechte mehr als zwei Stunden mit Lederpeitschen abgemüht hatten, ihm das Lebenslicht aufzublasen. Er ging, wie so viele Propheten, in den Märtyrertod und starb für seine Überzeugung, aber mit ihm lebten und nach ihm kamen viele, die — so wie er — den Geist des Fortschritts vertreten, und vor denen sogar eine so konservative Negierung wie die chinesische allmählich mehr und mehr kapitulieren muß. Beim Einblick in die chinesischen Zeitungen vergegenwärtige man sich, daß sie nur von einem engern Kreise gelesen werden, da das „große Publikum" im Sonnenreiche überhaupt keine Zeitungen lesen kann. Denn diese sind in der Gelehrtensprache geschrieben, und es wird uns deshalb weiter nicht wunder¬ nehmen, daß es unter Millionen nur einige Tausend sind, die sich mit Politik und Tagesneuigkeiten beschäftigen. Selbstverständlich geht die Tendenz der einzelnen Blätter mit der Richtung der „Partei", zu der ihre Leser gehören, zusammen. Nur die Partei, aus der die Oberhäupter der Boxer 1900 hervorgegangen sind — die sogenannte „alte Partei" —, also die fremdenfeindliche, kann sich, dank der allmählich immer fremdenfrcnndlicher werdenden allmächtigen Regierung, keines bestimmten Organs erfreuen. Anders die „neue Partei". Sie strebt vorwärts, natürlich Grenzboten II 1908 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/553>, abgerufen am 01.05.2024.