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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Stadt, in der ich wohne

einmal die Blumenzucht anregen, geschweige denn den Garten künstlerisch ge¬
stalten. Die mit großem Aufwand angekündigte und mit allerhand inter¬
nationalen Gartenideen gewürzte Ausstellung schien sich recht absichtlich außer¬
halb der neuen Strömungen gestellt zu haben, die unser Kunstleben, und nicht
zuletzt von Dresden aus, so segensreich befruchten.




Die Hkate, in der ich wohne
Charlotte Niese von

"le Stadt, in der ich wohne, wird von vielen Menschen für lang¬
weilig und häßlich gehalten. Besonders finden sich die Menschen, die
von anderswo her, von Berlin, von Frankfurt, aus Hannover kommen,
oft beklagenswert, hier eine Zeit lang ihr Leben vertrauern zu müsse",
und sie jammern über alles, was ihnen hier wunderlich erscheint. Ich
gebe zu, daß hier manches anders ist als in Berlin, in Frankfurt,
und wie die andern Großstädte heißen mögen, aber wenn ich durch die alten Straßen
Monas wandle, dann freue ich mich, hierher gezogen zu sein. Die Stadt gefällt
mir gut, und im ganzen und großen möchte ich sie nicht anders haben.

Lang streckt sie sich an der Elbe dahin, steigt am Hafen terrassenförmig auf
und zeigt in dieser Gegend ein Gewirr von krausen alten Gassen. Das ist das alte
Altona, das hier noch existiert, und dem es gleichgiltig ist, ob sich hier und da ein
häßlicher Neubau zwischen die alten Giebel geklemmt hat; denn in dieser Gegend
werden die Häuser unbeschreiblich klein und die Straßen schief bleiben. Hier ist es,
wo vor jedem Hause eine mehr oder weniger große Katze sitzt, wo es ganz kleine
Läden gibt, die abends nur durch eine Petroleumlampe erhellt werden, wo die
Menschen an Sommerabenden auf ihrem Beischlag sitzen und nicht an das zwanzigste
Jahrhundert mit seinen neuen Errungenschaften zu denken scheinen, wo es nach Teer,
nach Seetang und nach Fischen riecht, wo sich die Kinder noch Lakritzenwasser
machen und es als echten Malaga anbieten.

In dieses alte Altona kommen die Fremden nicht und auch kaum die Ein¬
heimischen. Die meisten wenden sich der Elbchaussee zu, auf der es an schönen Tagen
von Menschen und von Automobilen wimmelt, wo es bunte Kleider und neue Hüte zu
bewundern gibt, aber wo es nichts gibt, worüber man nachdenken könnte. Höchstens
darüber, daß so viele Menschen trotz der schlechten Zeiten nichts zu tun haben.

Da gehe ich lieber an den alten Fachwerkhäusern vorüber und denke an Steenbock.
Steenbock war ein Schwedengeneral, der gegen Dänemark wütete, eines Wintertages
Altona besetzte und es an allen vier Ecke" anzünden ließ zur Strafe dafür, daß
die Dänen die Stadt Stade eingeäschert hatten. Dieses geschah im Anfang
des achtzehnten Jahrhunderts. Bis dahin hatte Altona alte hübsche Patrizierhäuser
wie andre Hafenstädte, hatte hohe Giebel, wie sie in Hamburg noch zum Teil heute
bewundert werden, und in den Häusern gab es gediegnen, kostbaren Hausrat. Aber
Steenbock ließ in diese schönen Häuser Teer und Pech und Stroh tragen und dann
die ganze Geschichte anstecken. Man kann sich denken, daß die Altonaer alles taten,
dieses entsetzliche Unheil von ihrer Stadt abzuwenden, aber alle Bitten des Bürger¬
meisters und des Rates waren umsonst. Der Schwede, der vor der Stadt sein


Grenzboten II 1908 12
Die Stadt, in der ich wohne

einmal die Blumenzucht anregen, geschweige denn den Garten künstlerisch ge¬
stalten. Die mit großem Aufwand angekündigte und mit allerhand inter¬
nationalen Gartenideen gewürzte Ausstellung schien sich recht absichtlich außer¬
halb der neuen Strömungen gestellt zu haben, die unser Kunstleben, und nicht
zuletzt von Dresden aus, so segensreich befruchten.




Die Hkate, in der ich wohne
Charlotte Niese von

»le Stadt, in der ich wohne, wird von vielen Menschen für lang¬
weilig und häßlich gehalten. Besonders finden sich die Menschen, die
von anderswo her, von Berlin, von Frankfurt, aus Hannover kommen,
oft beklagenswert, hier eine Zeit lang ihr Leben vertrauern zu müsse»,
und sie jammern über alles, was ihnen hier wunderlich erscheint. Ich
gebe zu, daß hier manches anders ist als in Berlin, in Frankfurt,
und wie die andern Großstädte heißen mögen, aber wenn ich durch die alten Straßen
Monas wandle, dann freue ich mich, hierher gezogen zu sein. Die Stadt gefällt
mir gut, und im ganzen und großen möchte ich sie nicht anders haben.

Lang streckt sie sich an der Elbe dahin, steigt am Hafen terrassenförmig auf
und zeigt in dieser Gegend ein Gewirr von krausen alten Gassen. Das ist das alte
Altona, das hier noch existiert, und dem es gleichgiltig ist, ob sich hier und da ein
häßlicher Neubau zwischen die alten Giebel geklemmt hat; denn in dieser Gegend
werden die Häuser unbeschreiblich klein und die Straßen schief bleiben. Hier ist es,
wo vor jedem Hause eine mehr oder weniger große Katze sitzt, wo es ganz kleine
Läden gibt, die abends nur durch eine Petroleumlampe erhellt werden, wo die
Menschen an Sommerabenden auf ihrem Beischlag sitzen und nicht an das zwanzigste
Jahrhundert mit seinen neuen Errungenschaften zu denken scheinen, wo es nach Teer,
nach Seetang und nach Fischen riecht, wo sich die Kinder noch Lakritzenwasser
machen und es als echten Malaga anbieten.

In dieses alte Altona kommen die Fremden nicht und auch kaum die Ein¬
heimischen. Die meisten wenden sich der Elbchaussee zu, auf der es an schönen Tagen
von Menschen und von Automobilen wimmelt, wo es bunte Kleider und neue Hüte zu
bewundern gibt, aber wo es nichts gibt, worüber man nachdenken könnte. Höchstens
darüber, daß so viele Menschen trotz der schlechten Zeiten nichts zu tun haben.

Da gehe ich lieber an den alten Fachwerkhäusern vorüber und denke an Steenbock.
Steenbock war ein Schwedengeneral, der gegen Dänemark wütete, eines Wintertages
Altona besetzte und es an allen vier Ecke» anzünden ließ zur Strafe dafür, daß
die Dänen die Stadt Stade eingeäschert hatten. Dieses geschah im Anfang
des achtzehnten Jahrhunderts. Bis dahin hatte Altona alte hübsche Patrizierhäuser
wie andre Hafenstädte, hatte hohe Giebel, wie sie in Hamburg noch zum Teil heute
bewundert werden, und in den Häusern gab es gediegnen, kostbaren Hausrat. Aber
Steenbock ließ in diese schönen Häuser Teer und Pech und Stroh tragen und dann
die ganze Geschichte anstecken. Man kann sich denken, daß die Altonaer alles taten,
dieses entsetzliche Unheil von ihrer Stadt abzuwenden, aber alle Bitten des Bürger¬
meisters und des Rates waren umsonst. Der Schwede, der vor der Stadt sein


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[0097] Die Stadt, in der ich wohne einmal die Blumenzucht anregen, geschweige denn den Garten künstlerisch ge¬ stalten. Die mit großem Aufwand angekündigte und mit allerhand inter¬ nationalen Gartenideen gewürzte Ausstellung schien sich recht absichtlich außer¬ halb der neuen Strömungen gestellt zu haben, die unser Kunstleben, und nicht zuletzt von Dresden aus, so segensreich befruchten. Die Hkate, in der ich wohne Charlotte Niese von »le Stadt, in der ich wohne, wird von vielen Menschen für lang¬ weilig und häßlich gehalten. Besonders finden sich die Menschen, die von anderswo her, von Berlin, von Frankfurt, aus Hannover kommen, oft beklagenswert, hier eine Zeit lang ihr Leben vertrauern zu müsse», und sie jammern über alles, was ihnen hier wunderlich erscheint. Ich gebe zu, daß hier manches anders ist als in Berlin, in Frankfurt, und wie die andern Großstädte heißen mögen, aber wenn ich durch die alten Straßen Monas wandle, dann freue ich mich, hierher gezogen zu sein. Die Stadt gefällt mir gut, und im ganzen und großen möchte ich sie nicht anders haben. Lang streckt sie sich an der Elbe dahin, steigt am Hafen terrassenförmig auf und zeigt in dieser Gegend ein Gewirr von krausen alten Gassen. Das ist das alte Altona, das hier noch existiert, und dem es gleichgiltig ist, ob sich hier und da ein häßlicher Neubau zwischen die alten Giebel geklemmt hat; denn in dieser Gegend werden die Häuser unbeschreiblich klein und die Straßen schief bleiben. Hier ist es, wo vor jedem Hause eine mehr oder weniger große Katze sitzt, wo es ganz kleine Läden gibt, die abends nur durch eine Petroleumlampe erhellt werden, wo die Menschen an Sommerabenden auf ihrem Beischlag sitzen und nicht an das zwanzigste Jahrhundert mit seinen neuen Errungenschaften zu denken scheinen, wo es nach Teer, nach Seetang und nach Fischen riecht, wo sich die Kinder noch Lakritzenwasser machen und es als echten Malaga anbieten. In dieses alte Altona kommen die Fremden nicht und auch kaum die Ein¬ heimischen. Die meisten wenden sich der Elbchaussee zu, auf der es an schönen Tagen von Menschen und von Automobilen wimmelt, wo es bunte Kleider und neue Hüte zu bewundern gibt, aber wo es nichts gibt, worüber man nachdenken könnte. Höchstens darüber, daß so viele Menschen trotz der schlechten Zeiten nichts zu tun haben. Da gehe ich lieber an den alten Fachwerkhäusern vorüber und denke an Steenbock. Steenbock war ein Schwedengeneral, der gegen Dänemark wütete, eines Wintertages Altona besetzte und es an allen vier Ecke» anzünden ließ zur Strafe dafür, daß die Dänen die Stadt Stade eingeäschert hatten. Dieses geschah im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts. Bis dahin hatte Altona alte hübsche Patrizierhäuser wie andre Hafenstädte, hatte hohe Giebel, wie sie in Hamburg noch zum Teil heute bewundert werden, und in den Häusern gab es gediegnen, kostbaren Hausrat. Aber Steenbock ließ in diese schönen Häuser Teer und Pech und Stroh tragen und dann die ganze Geschichte anstecken. Man kann sich denken, daß die Altonaer alles taten, dieses entsetzliche Unheil von ihrer Stadt abzuwenden, aber alle Bitten des Bürger¬ meisters und des Rates waren umsonst. Der Schwede, der vor der Stadt sein Grenzboten II 1908 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/97>, abgerufen am 01.05.2024.