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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Neue Lyrik

Asien und Europa haben seit der ältesten Zeit die größten Wendungen unsrer
Geschichte herbeigeführt. Das Auftreten Japans im Osten ist eine Epoche;
mit ihm beginnt eine neue Periode dieser Beziehungen. Das Bewußtsein
für die Kulturgemeinschaft Europas, das innerhalb seiner Grenzen durch
Differenzierung der Kultur aufgelöst wurde, kann durch neue Aufgaben auf
einem viel weitern Schauplatz wiedergewonnen werden.




Neue Lyrik
von Heinrich Spiero

AM^D?
HM"> is kurz nach den beiden Coquelins, deren Tod die ganze deutsche
Presse mit immer neuen Kundgebungen der Teilnahme begleitet
hatte, Adalbert Matkowsky starb, schrieb eine französische Zeitung,
dieser Matkowsky müsse wohl ein berühmter deutscher Schau¬
spieler gewesen sein; man werde aber zugeben müssen, daß
Coquelin in Deutschland berühmter gewesen sei als Herr Matkowsky in Frank¬
reich. Der Hohn war wohlverdient, und Erich Schlaikjer hat in der Täglichen
Rundschau vom 14. April dazu gesagt, was zu sagen war. Jetzt schlage ich
"Der neuen Gedichte andern Teil" von Rainer Maria Rilke (Leipzig, Insel-
verlag) auf und finde darin die Widmung: ^. mon Arg-mal ^uAusts Roäin.
Müssen wir Deutschen denn immer die Hunde des Auslands sein? Würde es
einem französischen oder englischen Schriftsteller, ja einem Russen oder Griechen
einfallen, die Zuschrift eines Werkes an einen Deutschen in deutsche Worte zu
fassen? Hat Robim die bekannte Zeichnung, die er dem Großherzog von
Sachsen widmete, etwa mit einer deutschen Unterschrift versehen? Oder ist das
Deutsche ein afrikanisches Negeridiom, daß man Auguste Robim nicht zutrauen
darf, er werde die vier Worte mit Hilfe eines Lexikons in seine Sprache über¬
tragen können? Oder will Rilke uns beweisen, daß er wirklich und wahrhaftig
soviel französisch versteht? Ach ja, "so'n bißchen Französisch ist doch wunder¬
schön!" Soviel über die Widmung. Leider ist diesmal auch vom Inhalt
nichts besonders günstiges zu berichten. Von dem ersten Teil dieser neuen
Gedichte durfte ich an dieser Stelle vieles sehr rühmen -- in dem zweiten
überwiegt die pretentiöse Aussprache überall, der gesuchten Bilder sind allzu-
viele, und dieses schöne und feine Talent scheint sich immer mehr von der einst
gefundnen Straße zu entfernen.

Auch vor den schon für das Auge merkwürdig verlaufenden Versen Alfons
Paquets gerät man in Versuchung, zunächst von Geziertheit zu sprechen. Das
Urteil wäre aber ungerecht. Je weiter man nämlich in dem "Zeit und Reise¬
buch in fünf Passionen" kommt, das Paquet unter dem Titel "Auf Erden"


Neue Lyrik

Asien und Europa haben seit der ältesten Zeit die größten Wendungen unsrer
Geschichte herbeigeführt. Das Auftreten Japans im Osten ist eine Epoche;
mit ihm beginnt eine neue Periode dieser Beziehungen. Das Bewußtsein
für die Kulturgemeinschaft Europas, das innerhalb seiner Grenzen durch
Differenzierung der Kultur aufgelöst wurde, kann durch neue Aufgaben auf
einem viel weitern Schauplatz wiedergewonnen werden.




Neue Lyrik
von Heinrich Spiero

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HM»> is kurz nach den beiden Coquelins, deren Tod die ganze deutsche
Presse mit immer neuen Kundgebungen der Teilnahme begleitet
hatte, Adalbert Matkowsky starb, schrieb eine französische Zeitung,
dieser Matkowsky müsse wohl ein berühmter deutscher Schau¬
spieler gewesen sein; man werde aber zugeben müssen, daß
Coquelin in Deutschland berühmter gewesen sei als Herr Matkowsky in Frank¬
reich. Der Hohn war wohlverdient, und Erich Schlaikjer hat in der Täglichen
Rundschau vom 14. April dazu gesagt, was zu sagen war. Jetzt schlage ich
„Der neuen Gedichte andern Teil" von Rainer Maria Rilke (Leipzig, Insel-
verlag) auf und finde darin die Widmung: ^. mon Arg-mal ^uAusts Roäin.
Müssen wir Deutschen denn immer die Hunde des Auslands sein? Würde es
einem französischen oder englischen Schriftsteller, ja einem Russen oder Griechen
einfallen, die Zuschrift eines Werkes an einen Deutschen in deutsche Worte zu
fassen? Hat Robim die bekannte Zeichnung, die er dem Großherzog von
Sachsen widmete, etwa mit einer deutschen Unterschrift versehen? Oder ist das
Deutsche ein afrikanisches Negeridiom, daß man Auguste Robim nicht zutrauen
darf, er werde die vier Worte mit Hilfe eines Lexikons in seine Sprache über¬
tragen können? Oder will Rilke uns beweisen, daß er wirklich und wahrhaftig
soviel französisch versteht? Ach ja, „so'n bißchen Französisch ist doch wunder¬
schön!" Soviel über die Widmung. Leider ist diesmal auch vom Inhalt
nichts besonders günstiges zu berichten. Von dem ersten Teil dieser neuen
Gedichte durfte ich an dieser Stelle vieles sehr rühmen — in dem zweiten
überwiegt die pretentiöse Aussprache überall, der gesuchten Bilder sind allzu-
viele, und dieses schöne und feine Talent scheint sich immer mehr von der einst
gefundnen Straße zu entfernen.

Auch vor den schon für das Auge merkwürdig verlaufenden Versen Alfons
Paquets gerät man in Versuchung, zunächst von Geziertheit zu sprechen. Das
Urteil wäre aber ungerecht. Je weiter man nämlich in dem „Zeit und Reise¬
buch in fünf Passionen" kommt, das Paquet unter dem Titel „Auf Erden"


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[0178] Neue Lyrik Asien und Europa haben seit der ältesten Zeit die größten Wendungen unsrer Geschichte herbeigeführt. Das Auftreten Japans im Osten ist eine Epoche; mit ihm beginnt eine neue Periode dieser Beziehungen. Das Bewußtsein für die Kulturgemeinschaft Europas, das innerhalb seiner Grenzen durch Differenzierung der Kultur aufgelöst wurde, kann durch neue Aufgaben auf einem viel weitern Schauplatz wiedergewonnen werden. Neue Lyrik von Heinrich Spiero AM^D? HM»> is kurz nach den beiden Coquelins, deren Tod die ganze deutsche Presse mit immer neuen Kundgebungen der Teilnahme begleitet hatte, Adalbert Matkowsky starb, schrieb eine französische Zeitung, dieser Matkowsky müsse wohl ein berühmter deutscher Schau¬ spieler gewesen sein; man werde aber zugeben müssen, daß Coquelin in Deutschland berühmter gewesen sei als Herr Matkowsky in Frank¬ reich. Der Hohn war wohlverdient, und Erich Schlaikjer hat in der Täglichen Rundschau vom 14. April dazu gesagt, was zu sagen war. Jetzt schlage ich „Der neuen Gedichte andern Teil" von Rainer Maria Rilke (Leipzig, Insel- verlag) auf und finde darin die Widmung: ^. mon Arg-mal ^uAusts Roäin. Müssen wir Deutschen denn immer die Hunde des Auslands sein? Würde es einem französischen oder englischen Schriftsteller, ja einem Russen oder Griechen einfallen, die Zuschrift eines Werkes an einen Deutschen in deutsche Worte zu fassen? Hat Robim die bekannte Zeichnung, die er dem Großherzog von Sachsen widmete, etwa mit einer deutschen Unterschrift versehen? Oder ist das Deutsche ein afrikanisches Negeridiom, daß man Auguste Robim nicht zutrauen darf, er werde die vier Worte mit Hilfe eines Lexikons in seine Sprache über¬ tragen können? Oder will Rilke uns beweisen, daß er wirklich und wahrhaftig soviel französisch versteht? Ach ja, „so'n bißchen Französisch ist doch wunder¬ schön!" Soviel über die Widmung. Leider ist diesmal auch vom Inhalt nichts besonders günstiges zu berichten. Von dem ersten Teil dieser neuen Gedichte durfte ich an dieser Stelle vieles sehr rühmen — in dem zweiten überwiegt die pretentiöse Aussprache überall, der gesuchten Bilder sind allzu- viele, und dieses schöne und feine Talent scheint sich immer mehr von der einst gefundnen Straße zu entfernen. Auch vor den schon für das Auge merkwürdig verlaufenden Versen Alfons Paquets gerät man in Versuchung, zunächst von Geziertheit zu sprechen. Das Urteil wäre aber ungerecht. Je weiter man nämlich in dem „Zeit und Reise¬ buch in fünf Passionen" kommt, das Paquet unter dem Titel „Auf Erden"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/178>, abgerufen am 27.04.2024.