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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn Ida Anders von palle Rosenkrantz. Seutsch von
(Fortsetzung)
Drittes Aapitel. Das Amtsgericht

as Amtsgericht hatte das unansehnlichste Lokal der Stadt. Es lag
an dein südlichen Ende der Bürgermeisterwohnung, ein langes, mit
Ziegeln gedecktes Gebäude, der Kirche schräg gegenüber.

Von einem Torweg aus führte ein schmaler Gang zu einer niedrigen
Tür, die den allgemeinen Eingang zum Bureau bildete. Es war ein
"Saal" in dem alten Hause, niedrig, mit drei Fenstern und einer ver¬
gilbten Decke mit spärlichen Rokokoornamenten. Ein einfenstriger Raum war durch eine
Bretterwand abgeschlagen und ergab das Bureau des Bürgermeisters. Der übrige Raum
bildete das allgemeine Kondor. Zwischen den beiden Fenstern standen zwei schwarz-
gestrichne Tische, wie man sie früher in den Oberklassen der Gymnasien hatte; sie waren
"neinandergestellt, und in der Mitte jedes Tisches befand sich eine altmodische, mit
grünem Tuch beschlagne Pultplatte. Da saßen die beiden Referendare. Eine
hinfällige Schranke trennte die Tische von dem übrigen Raum; in einer Ecke am
Fenster hatte der Schreiber Penther seinen Platz, und an der Schranke saß der
Gendarm Olesen und fertigte Abschriften der Psändungsprotokolle. Die wertvollen
Pfändungsbücher und Register standen auf einem wackligen Regal im Giebel, und der
Bürgermeister Pflegte scherzhaft zu sagen, sie stünden da, damit sie im Falle einer
Feuersbrunst vom Fenster aus schnell zu erreichen wären. Aber das Ganze sah
^hr armselig und dürftig aus, und der Staub lag in dicker Schicht auf den
Egalen an den Wänden, wo Protokolle und Akten ihren gefährlichen Platz hatten.

Der Fußboden bestand aus alten, mit Sand bestreuten Brettern, die bei jedem
Schritt knarrten, den man auf ihnen tat, und das Papier hing in Fetzen von den
^Landpartien herunter, die nicht von den wackligen, gestrichnen Regalen aus Tannen¬
holz bedeckt wurden. Die Referendare, der Schreiber und der Gendarm dampften
wie Ziegeleischlote, und der Staub des Protokolls wehte, wenn die Tür aufging,
um dem Tabakrauch zu einem dichten Nebel zusammen, der wie eine Mauer im
Sonnenlicht stehen konnte.

Wie das Amtsgericht aussah, so hatte es fünfzig Jahre oder länger ausgesehen,
und das einzige Neue waren die Rücken der einzelnen nen hinzukommenen Protokolle,
die, dünn und billig, von den vergilbten Lederbänden der Pfandbücher und den
uralten in Pergament gebundnen Protokollen abstachen.

Eine schiefe Tür führte in den Verschlag des Bürgermeisters hinein, worin an
einem alten Mahagonischreibtisch, vor dem ein grün bezogner Arbeitsstuhl stand,
gerade Platz für ihn war. Im übrigen bestand sein Meublement nur aus einem
Geldschrank und einem Regal, mit staubigen Büchern angefüllt, die im Laufe der


Grenzboten III ,909 42


Der rote Hahn Ida Anders von palle Rosenkrantz. Seutsch von
(Fortsetzung)
Drittes Aapitel. Das Amtsgericht

as Amtsgericht hatte das unansehnlichste Lokal der Stadt. Es lag
an dein südlichen Ende der Bürgermeisterwohnung, ein langes, mit
Ziegeln gedecktes Gebäude, der Kirche schräg gegenüber.

Von einem Torweg aus führte ein schmaler Gang zu einer niedrigen
Tür, die den allgemeinen Eingang zum Bureau bildete. Es war ein
„Saal" in dem alten Hause, niedrig, mit drei Fenstern und einer ver¬
gilbten Decke mit spärlichen Rokokoornamenten. Ein einfenstriger Raum war durch eine
Bretterwand abgeschlagen und ergab das Bureau des Bürgermeisters. Der übrige Raum
bildete das allgemeine Kondor. Zwischen den beiden Fenstern standen zwei schwarz-
gestrichne Tische, wie man sie früher in den Oberklassen der Gymnasien hatte; sie waren
"neinandergestellt, und in der Mitte jedes Tisches befand sich eine altmodische, mit
grünem Tuch beschlagne Pultplatte. Da saßen die beiden Referendare. Eine
hinfällige Schranke trennte die Tische von dem übrigen Raum; in einer Ecke am
Fenster hatte der Schreiber Penther seinen Platz, und an der Schranke saß der
Gendarm Olesen und fertigte Abschriften der Psändungsprotokolle. Die wertvollen
Pfändungsbücher und Register standen auf einem wackligen Regal im Giebel, und der
Bürgermeister Pflegte scherzhaft zu sagen, sie stünden da, damit sie im Falle einer
Feuersbrunst vom Fenster aus schnell zu erreichen wären. Aber das Ganze sah
^hr armselig und dürftig aus, und der Staub lag in dicker Schicht auf den
Egalen an den Wänden, wo Protokolle und Akten ihren gefährlichen Platz hatten.

Der Fußboden bestand aus alten, mit Sand bestreuten Brettern, die bei jedem
Schritt knarrten, den man auf ihnen tat, und das Papier hing in Fetzen von den
^Landpartien herunter, die nicht von den wackligen, gestrichnen Regalen aus Tannen¬
holz bedeckt wurden. Die Referendare, der Schreiber und der Gendarm dampften
wie Ziegeleischlote, und der Staub des Protokolls wehte, wenn die Tür aufging,
um dem Tabakrauch zu einem dichten Nebel zusammen, der wie eine Mauer im
Sonnenlicht stehen konnte.

Wie das Amtsgericht aussah, so hatte es fünfzig Jahre oder länger ausgesehen,
und das einzige Neue waren die Rücken der einzelnen nen hinzukommenen Protokolle,
die, dünn und billig, von den vergilbten Lederbänden der Pfandbücher und den
uralten in Pergament gebundnen Protokollen abstachen.

Eine schiefe Tür führte in den Verschlag des Bürgermeisters hinein, worin an
einem alten Mahagonischreibtisch, vor dem ein grün bezogner Arbeitsstuhl stand,
gerade Platz für ihn war. Im übrigen bestand sein Meublement nur aus einem
Geldschrank und einem Regal, mit staubigen Büchern angefüllt, die im Laufe der


Grenzboten III ,909 42
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[0331] [Abbildung] Der rote Hahn Ida Anders von palle Rosenkrantz. Seutsch von (Fortsetzung) Drittes Aapitel. Das Amtsgericht as Amtsgericht hatte das unansehnlichste Lokal der Stadt. Es lag an dein südlichen Ende der Bürgermeisterwohnung, ein langes, mit Ziegeln gedecktes Gebäude, der Kirche schräg gegenüber. Von einem Torweg aus führte ein schmaler Gang zu einer niedrigen Tür, die den allgemeinen Eingang zum Bureau bildete. Es war ein „Saal" in dem alten Hause, niedrig, mit drei Fenstern und einer ver¬ gilbten Decke mit spärlichen Rokokoornamenten. Ein einfenstriger Raum war durch eine Bretterwand abgeschlagen und ergab das Bureau des Bürgermeisters. Der übrige Raum bildete das allgemeine Kondor. Zwischen den beiden Fenstern standen zwei schwarz- gestrichne Tische, wie man sie früher in den Oberklassen der Gymnasien hatte; sie waren "neinandergestellt, und in der Mitte jedes Tisches befand sich eine altmodische, mit grünem Tuch beschlagne Pultplatte. Da saßen die beiden Referendare. Eine hinfällige Schranke trennte die Tische von dem übrigen Raum; in einer Ecke am Fenster hatte der Schreiber Penther seinen Platz, und an der Schranke saß der Gendarm Olesen und fertigte Abschriften der Psändungsprotokolle. Die wertvollen Pfändungsbücher und Register standen auf einem wackligen Regal im Giebel, und der Bürgermeister Pflegte scherzhaft zu sagen, sie stünden da, damit sie im Falle einer Feuersbrunst vom Fenster aus schnell zu erreichen wären. Aber das Ganze sah ^hr armselig und dürftig aus, und der Staub lag in dicker Schicht auf den Egalen an den Wänden, wo Protokolle und Akten ihren gefährlichen Platz hatten. Der Fußboden bestand aus alten, mit Sand bestreuten Brettern, die bei jedem Schritt knarrten, den man auf ihnen tat, und das Papier hing in Fetzen von den ^Landpartien herunter, die nicht von den wackligen, gestrichnen Regalen aus Tannen¬ holz bedeckt wurden. Die Referendare, der Schreiber und der Gendarm dampften wie Ziegeleischlote, und der Staub des Protokolls wehte, wenn die Tür aufging, um dem Tabakrauch zu einem dichten Nebel zusammen, der wie eine Mauer im Sonnenlicht stehen konnte. Wie das Amtsgericht aussah, so hatte es fünfzig Jahre oder länger ausgesehen, und das einzige Neue waren die Rücken der einzelnen nen hinzukommenen Protokolle, die, dünn und billig, von den vergilbten Lederbänden der Pfandbücher und den uralten in Pergament gebundnen Protokollen abstachen. Eine schiefe Tür führte in den Verschlag des Bürgermeisters hinein, worin an einem alten Mahagonischreibtisch, vor dem ein grün bezogner Arbeitsstuhl stand, gerade Platz für ihn war. Im übrigen bestand sein Meublement nur aus einem Geldschrank und einem Regal, mit staubigen Büchern angefüllt, die im Laufe der Grenzboten III ,909 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/331>, abgerufen am 28.04.2024.