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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnenmgen

selbst nur ein Rest des alten Regimes ist, mit dem sie brechen wollen, und daß
sie nun mit allen Mitteln die Griechen mürbe machen wollen. Diese aber
klammern sich mit der ganzen Angst des um seine Stellung Bedrohten gerade
an dieses alte Regime, freilich nicht soweit es türkisch, sondern soweit es griechisch¬
byzantinisch ist. Die Jungtürken wollen mit ihrer Vergangenheit brechen, die
Griechen aber wollen die ihrige aufrechterhalten und kommen damit in Gefahr,
noch hinter den Türken zurückzubleiben. Das Schicksal Kretas ist im Begriff,
das Schicksal des Griechentums in der Türkei zu entscheiden.




Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen
von Carl Ientsch

in Kulturkampfe ist ans beiden Seiten schwer gefehlt worden. Für
den Ausbruch sind verantwortlich zu machen der Papst mit seinen
unerhörten Provokationen und die Führer der deutschen Katholiken,
Ledochowski und das Zentrum, mit ihrer ebenso unverschämten wie
! törichten Zumutung, Kaiser Wilhelm solle sich und dem deutschen
Volke zu dem schweren Kriege gegen Frankreich noch einen Krieg gegen Italien auf¬
bürden, um den glücklich beseitigten jämmerlichen Kirchenstaat wiederherzustellen.
Den ultramontanen Übermut einzudämmen, war notwendig. Daß es nicht in der
richtigen Weise geschah, ist zu bedauern. Daß die Bischöfe den Maigesetzen den
Gehorsam versagen und in ihrem Widerstande die katholische Bevölkerung für sich
haben würden, hätte die Negierung voraussehen können. Schulte beruft sich in
der Verteidigung dieser Gesetze wiederholt darauf, daß sich doch die österreichischen
Bischöfe ganz ähnlichen Bestimmungen gefügt hätten. Da ich den Wortlaut
dieser Bestimmungen nicht kenne, vermag ich nicht zu beurteilen, ob sie in der
Tat mit den preußischen Maigesetzen identisch sind. Sollten sie das jedoch
auch sein, so wäre zu bedenken, daß die Lage beider Episkopate grundver¬
schieden war. Mochte die österreichische Regierung anch tief ins innere
Heiligtum der Kirche hineiuregieren -- das hatte sie ja von jeher getan --,
daß sie dabei die Absicht verfolge, ihre Untertanen mit sachtem Zwang in den
Protestantismus überzuführen, war nicht im mindesten zu fürchten; ist doch das
Kaiserhaus gut katholisch und manches seiner Mitglieder der Bigotterie er¬
geben. Dagegen ließ sich den Hohenzollern eine solche Absicht um so eher
zutrauen, als sie der begeisterten Zustimmung der protestantischen Mehrheit
zu solchen Plänen gewiß sein durften. Sodann aber waren die im josephinischen
Geiste erzognen österreichischen Geistlichen, namentlich die höhern, so sehr ge¬
wöhnt, sich als Staatsbeamte und erst in zweiter Linie als Kirchenbeamte


Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnenmgen

selbst nur ein Rest des alten Regimes ist, mit dem sie brechen wollen, und daß
sie nun mit allen Mitteln die Griechen mürbe machen wollen. Diese aber
klammern sich mit der ganzen Angst des um seine Stellung Bedrohten gerade
an dieses alte Regime, freilich nicht soweit es türkisch, sondern soweit es griechisch¬
byzantinisch ist. Die Jungtürken wollen mit ihrer Vergangenheit brechen, die
Griechen aber wollen die ihrige aufrechterhalten und kommen damit in Gefahr,
noch hinter den Türken zurückzubleiben. Das Schicksal Kretas ist im Begriff,
das Schicksal des Griechentums in der Türkei zu entscheiden.




Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen
von Carl Ientsch

in Kulturkampfe ist ans beiden Seiten schwer gefehlt worden. Für
den Ausbruch sind verantwortlich zu machen der Papst mit seinen
unerhörten Provokationen und die Führer der deutschen Katholiken,
Ledochowski und das Zentrum, mit ihrer ebenso unverschämten wie
! törichten Zumutung, Kaiser Wilhelm solle sich und dem deutschen
Volke zu dem schweren Kriege gegen Frankreich noch einen Krieg gegen Italien auf¬
bürden, um den glücklich beseitigten jämmerlichen Kirchenstaat wiederherzustellen.
Den ultramontanen Übermut einzudämmen, war notwendig. Daß es nicht in der
richtigen Weise geschah, ist zu bedauern. Daß die Bischöfe den Maigesetzen den
Gehorsam versagen und in ihrem Widerstande die katholische Bevölkerung für sich
haben würden, hätte die Negierung voraussehen können. Schulte beruft sich in
der Verteidigung dieser Gesetze wiederholt darauf, daß sich doch die österreichischen
Bischöfe ganz ähnlichen Bestimmungen gefügt hätten. Da ich den Wortlaut
dieser Bestimmungen nicht kenne, vermag ich nicht zu beurteilen, ob sie in der
Tat mit den preußischen Maigesetzen identisch sind. Sollten sie das jedoch
auch sein, so wäre zu bedenken, daß die Lage beider Episkopate grundver¬
schieden war. Mochte die österreichische Regierung anch tief ins innere
Heiligtum der Kirche hineiuregieren — das hatte sie ja von jeher getan —,
daß sie dabei die Absicht verfolge, ihre Untertanen mit sachtem Zwang in den
Protestantismus überzuführen, war nicht im mindesten zu fürchten; ist doch das
Kaiserhaus gut katholisch und manches seiner Mitglieder der Bigotterie er¬
geben. Dagegen ließ sich den Hohenzollern eine solche Absicht um so eher
zutrauen, als sie der begeisterten Zustimmung der protestantischen Mehrheit
zu solchen Plänen gewiß sein durften. Sodann aber waren die im josephinischen
Geiste erzognen österreichischen Geistlichen, namentlich die höhern, so sehr ge¬
wöhnt, sich als Staatsbeamte und erst in zweiter Linie als Kirchenbeamte


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[0418] Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnenmgen selbst nur ein Rest des alten Regimes ist, mit dem sie brechen wollen, und daß sie nun mit allen Mitteln die Griechen mürbe machen wollen. Diese aber klammern sich mit der ganzen Angst des um seine Stellung Bedrohten gerade an dieses alte Regime, freilich nicht soweit es türkisch, sondern soweit es griechisch¬ byzantinisch ist. Die Jungtürken wollen mit ihrer Vergangenheit brechen, die Griechen aber wollen die ihrige aufrechterhalten und kommen damit in Gefahr, noch hinter den Türken zurückzubleiben. Das Schicksal Kretas ist im Begriff, das Schicksal des Griechentums in der Türkei zu entscheiden. Johann Friedrich von Schuttes Lebenserinnerungen von Carl Ientsch in Kulturkampfe ist ans beiden Seiten schwer gefehlt worden. Für den Ausbruch sind verantwortlich zu machen der Papst mit seinen unerhörten Provokationen und die Führer der deutschen Katholiken, Ledochowski und das Zentrum, mit ihrer ebenso unverschämten wie ! törichten Zumutung, Kaiser Wilhelm solle sich und dem deutschen Volke zu dem schweren Kriege gegen Frankreich noch einen Krieg gegen Italien auf¬ bürden, um den glücklich beseitigten jämmerlichen Kirchenstaat wiederherzustellen. Den ultramontanen Übermut einzudämmen, war notwendig. Daß es nicht in der richtigen Weise geschah, ist zu bedauern. Daß die Bischöfe den Maigesetzen den Gehorsam versagen und in ihrem Widerstande die katholische Bevölkerung für sich haben würden, hätte die Negierung voraussehen können. Schulte beruft sich in der Verteidigung dieser Gesetze wiederholt darauf, daß sich doch die österreichischen Bischöfe ganz ähnlichen Bestimmungen gefügt hätten. Da ich den Wortlaut dieser Bestimmungen nicht kenne, vermag ich nicht zu beurteilen, ob sie in der Tat mit den preußischen Maigesetzen identisch sind. Sollten sie das jedoch auch sein, so wäre zu bedenken, daß die Lage beider Episkopate grundver¬ schieden war. Mochte die österreichische Regierung anch tief ins innere Heiligtum der Kirche hineiuregieren — das hatte sie ja von jeher getan —, daß sie dabei die Absicht verfolge, ihre Untertanen mit sachtem Zwang in den Protestantismus überzuführen, war nicht im mindesten zu fürchten; ist doch das Kaiserhaus gut katholisch und manches seiner Mitglieder der Bigotterie er¬ geben. Dagegen ließ sich den Hohenzollern eine solche Absicht um so eher zutrauen, als sie der begeisterten Zustimmung der protestantischen Mehrheit zu solchen Plänen gewiß sein durften. Sodann aber waren die im josephinischen Geiste erzognen österreichischen Geistlichen, namentlich die höhern, so sehr ge¬ wöhnt, sich als Staatsbeamte und erst in zweiter Linie als Kirchenbeamte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/418>, abgerufen am 28.04.2024.