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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Ein philosophischer Roman

erfolgt die Katastrophe, aus der ein erneutes und verjüngtes Reich hervorwächst, das
aber in seinem Kulturcharakter immer wieder das alte China ist. Es ist die Kraft des
Bauerntums, die am letzten Ende immer wieder über das Nomadentum siegt.

Das alte China ist mit der Außenwelt durch drei Eingangstore verknüpft,
im Südosten, Nordwesten und Nordosten. Die beiden letzten verbinden China
mit der Völkerwiege Hochasiens. Die großen Umgestaltungen des Reichs sind
durch diese geographischen Bedingungen bestimmt, die Bewegung der Außen-
länder geht entweder vom Südosten oder vom Nordosten aus. Um 1750 v. Chr.
erhoben sich die Markgrafen von Schang aus dem östlichen Ho-mein und gründeten
ein Kaisertum. Ju einer entgegengesetzten Bewegung von Nordwesten führten die
Markgrafen von Sehen-si um 1100 v. Chr. ihre noch halbnomadischen Völker¬
massen gegen die Schang und gründeten die langlebige Tschou-Dynastie. Ihre
Macht wurde um 570 v. Chr. wiederum schwer durch Angriffe der Südstaaten
erschüttert, namentlich durch die Tschu. Ein Kampf aller gegen alle zerrüttete
das Reich politisch und moralisch vollständig. Seine moralische und soziale
Neugestaltung ist das Lebenswerk des Reformers Konfuzius, der freilich diese
Wirkung selbst nicht erlebt hat. Erst im dritten Jahrhundert v. Chr. griff wieder
der Norden siegreich ein in der Persönlichkeit des größten Herrschers, den China
je gehabt hat, des gewaltigen Sadi-huang-ti. Er führte zunächst den Ban der
"großen Mauer" durch, die das Reich vor den Einfällen der Barbaren sicherte.
In Wahrheit ist das Werk freilich nicht feine Schöpfung. Er vollendete nur
längst Bestehendes. Wir sahen, daß das altchinesische Bauerngut, das durch Wall
und Graben wehrhaft gemacht war, das Urbild der staatlichen Bildungen ist. Auch
die Provinzen sicherten ihre Grenzen gegen Barbarenvölker durch große Wall¬
bauten. So bestanden überall an der Grenze der nördlichen Provinzen solche Werke.
Sadi-huang-tu hat diese alten Bauten verbunden und gewaltig verstärkt. Auch
die berühmte "große Mauer Chinas" hat somit ihren Ursprung im Ackerland.

Sadi-huang-ti schuf damit ein gewaltiges Werk: er zertrümmerte den alten
Feudalstaat und setzte an seine Stelle den Einheitsstaat, das zentralisierte
Kaiserreich. Das heutige China ist das Werk dieses gewaltigen Mannes.




Gin philosophischer Roman

en vor fünfzehn Jahren verstorbnen Walter Pater haben wir im
21. Heft des Jahrgangs 1905 der Grenzboten als einen Kenner
Platos bewundert, der uns als kongenialer Geist das innerste
Wesen des großen Meisters zu enthüllen versteht. Er ist aber
überhaupt in das Seelenleben der klassischen Völker so tief ein¬
gedrungen und dabei so vertraut mit dem christlichen Altertum, daß er die
Entwicklung eines philosophisch gebildeten Römers zum Christen in einer von
ihm geschaffnen durchaus glaubhaften und lebenswarmen Persönlichkeit dar-


Ein philosophischer Roman

erfolgt die Katastrophe, aus der ein erneutes und verjüngtes Reich hervorwächst, das
aber in seinem Kulturcharakter immer wieder das alte China ist. Es ist die Kraft des
Bauerntums, die am letzten Ende immer wieder über das Nomadentum siegt.

Das alte China ist mit der Außenwelt durch drei Eingangstore verknüpft,
im Südosten, Nordwesten und Nordosten. Die beiden letzten verbinden China
mit der Völkerwiege Hochasiens. Die großen Umgestaltungen des Reichs sind
durch diese geographischen Bedingungen bestimmt, die Bewegung der Außen-
länder geht entweder vom Südosten oder vom Nordosten aus. Um 1750 v. Chr.
erhoben sich die Markgrafen von Schang aus dem östlichen Ho-mein und gründeten
ein Kaisertum. Ju einer entgegengesetzten Bewegung von Nordwesten führten die
Markgrafen von Sehen-si um 1100 v. Chr. ihre noch halbnomadischen Völker¬
massen gegen die Schang und gründeten die langlebige Tschou-Dynastie. Ihre
Macht wurde um 570 v. Chr. wiederum schwer durch Angriffe der Südstaaten
erschüttert, namentlich durch die Tschu. Ein Kampf aller gegen alle zerrüttete
das Reich politisch und moralisch vollständig. Seine moralische und soziale
Neugestaltung ist das Lebenswerk des Reformers Konfuzius, der freilich diese
Wirkung selbst nicht erlebt hat. Erst im dritten Jahrhundert v. Chr. griff wieder
der Norden siegreich ein in der Persönlichkeit des größten Herrschers, den China
je gehabt hat, des gewaltigen Sadi-huang-ti. Er führte zunächst den Ban der
»großen Mauer" durch, die das Reich vor den Einfällen der Barbaren sicherte.
In Wahrheit ist das Werk freilich nicht feine Schöpfung. Er vollendete nur
längst Bestehendes. Wir sahen, daß das altchinesische Bauerngut, das durch Wall
und Graben wehrhaft gemacht war, das Urbild der staatlichen Bildungen ist. Auch
die Provinzen sicherten ihre Grenzen gegen Barbarenvölker durch große Wall¬
bauten. So bestanden überall an der Grenze der nördlichen Provinzen solche Werke.
Sadi-huang-tu hat diese alten Bauten verbunden und gewaltig verstärkt. Auch
die berühmte „große Mauer Chinas" hat somit ihren Ursprung im Ackerland.

Sadi-huang-ti schuf damit ein gewaltiges Werk: er zertrümmerte den alten
Feudalstaat und setzte an seine Stelle den Einheitsstaat, das zentralisierte
Kaiserreich. Das heutige China ist das Werk dieses gewaltigen Mannes.




Gin philosophischer Roman

en vor fünfzehn Jahren verstorbnen Walter Pater haben wir im
21. Heft des Jahrgangs 1905 der Grenzboten als einen Kenner
Platos bewundert, der uns als kongenialer Geist das innerste
Wesen des großen Meisters zu enthüllen versteht. Er ist aber
überhaupt in das Seelenleben der klassischen Völker so tief ein¬
gedrungen und dabei so vertraut mit dem christlichen Altertum, daß er die
Entwicklung eines philosophisch gebildeten Römers zum Christen in einer von
ihm geschaffnen durchaus glaubhaften und lebenswarmen Persönlichkeit dar-


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[0459] Ein philosophischer Roman erfolgt die Katastrophe, aus der ein erneutes und verjüngtes Reich hervorwächst, das aber in seinem Kulturcharakter immer wieder das alte China ist. Es ist die Kraft des Bauerntums, die am letzten Ende immer wieder über das Nomadentum siegt. Das alte China ist mit der Außenwelt durch drei Eingangstore verknüpft, im Südosten, Nordwesten und Nordosten. Die beiden letzten verbinden China mit der Völkerwiege Hochasiens. Die großen Umgestaltungen des Reichs sind durch diese geographischen Bedingungen bestimmt, die Bewegung der Außen- länder geht entweder vom Südosten oder vom Nordosten aus. Um 1750 v. Chr. erhoben sich die Markgrafen von Schang aus dem östlichen Ho-mein und gründeten ein Kaisertum. Ju einer entgegengesetzten Bewegung von Nordwesten führten die Markgrafen von Sehen-si um 1100 v. Chr. ihre noch halbnomadischen Völker¬ massen gegen die Schang und gründeten die langlebige Tschou-Dynastie. Ihre Macht wurde um 570 v. Chr. wiederum schwer durch Angriffe der Südstaaten erschüttert, namentlich durch die Tschu. Ein Kampf aller gegen alle zerrüttete das Reich politisch und moralisch vollständig. Seine moralische und soziale Neugestaltung ist das Lebenswerk des Reformers Konfuzius, der freilich diese Wirkung selbst nicht erlebt hat. Erst im dritten Jahrhundert v. Chr. griff wieder der Norden siegreich ein in der Persönlichkeit des größten Herrschers, den China je gehabt hat, des gewaltigen Sadi-huang-ti. Er führte zunächst den Ban der »großen Mauer" durch, die das Reich vor den Einfällen der Barbaren sicherte. In Wahrheit ist das Werk freilich nicht feine Schöpfung. Er vollendete nur längst Bestehendes. Wir sahen, daß das altchinesische Bauerngut, das durch Wall und Graben wehrhaft gemacht war, das Urbild der staatlichen Bildungen ist. Auch die Provinzen sicherten ihre Grenzen gegen Barbarenvölker durch große Wall¬ bauten. So bestanden überall an der Grenze der nördlichen Provinzen solche Werke. Sadi-huang-tu hat diese alten Bauten verbunden und gewaltig verstärkt. Auch die berühmte „große Mauer Chinas" hat somit ihren Ursprung im Ackerland. Sadi-huang-ti schuf damit ein gewaltiges Werk: er zertrümmerte den alten Feudalstaat und setzte an seine Stelle den Einheitsstaat, das zentralisierte Kaiserreich. Das heutige China ist das Werk dieses gewaltigen Mannes. Gin philosophischer Roman en vor fünfzehn Jahren verstorbnen Walter Pater haben wir im 21. Heft des Jahrgangs 1905 der Grenzboten als einen Kenner Platos bewundert, der uns als kongenialer Geist das innerste Wesen des großen Meisters zu enthüllen versteht. Er ist aber überhaupt in das Seelenleben der klassischen Völker so tief ein¬ gedrungen und dabei so vertraut mit dem christlichen Altertum, daß er die Entwicklung eines philosophisch gebildeten Römers zum Christen in einer von ihm geschaffnen durchaus glaubhaften und lebenswarmen Persönlichkeit dar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/459>, abgerufen am 28.04.2024.