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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Gin philosophischer Roman

zustellen vermochte. Sein Marius der Epikureer, den voriges Jahr ein
F. P. G. zeichnender Anonymus im Inselverlag deutsch herausgegeben hat, ist
etwas ganz andres als die Romane aus der römischen Kaiserzeit, die man
mitunter in Familienjournalen findet, und die mehr das Kostüm als die Seele
abbilden; er ist sogar gehaltvoller als Hausraths Antinous.

Der früh des jungen Vaters beraubte Marius wächst auf dem Familien¬
gute im nördlichen Etrurien als angehender Landwirt auf. Ein hervor¬
stechender Zug seines Wesens ist die altrömische Frömmigkeit. Die Religion
des Numa war die Religion des häuslichen Herdes, deren strenge Zucht die
leibliche und die seelische Gesundheit bewahrte. Das Gefühl dieser Gesund¬
heit, das sich mitunter in Äußerungen fröhlicher Lebenslust entladet -- beim
Schweifen durch Fluren und Wälder in reiner klarer Luft --, ist die Frucht
dieses Knies, für die Marius seinen Göttern dankt, und zugleich eine Be¬
freiung von der Enge, in die sich die Seele durch die Gottesfurcht einge¬
schlossen findet. Denn die Kulthandlungen sind Bezeugungen des Glaubens
an unsichtbare Mächte, die streng darauf halten, daß alles, was der Mensch
tut, rief und in gebührender Ordnung geschehe, und die das ihnen Mi߬
fällige strafen. "Nach der Vergöttlichung der Kaiser, so wird uns berichtet,
galt es für unfromm, auch nur ein rohes Wort in Gegenwart ihrer Bilder
auszusprechen. Marius schien es, als sei das ganze Leben voll von heiliger
Gegenwart, die von ihm eine ähnliche Sammlung verlangte. Die strenge
archaische Religion der Villa erzeugte in ihm eine Art andächtiger Vorsicht,
daß er in keinem Pnnkte gegen die Ansprüche fehle, die alles an ihn hatte,
was mit der Gottheit zusammenhing." Und was hätte es gegeben, das nicht
des Gottes voll gewesen wäre? Der Denkstein für einen vom Blitz Er-
schlagnen, das Rauschen des Windes in den Wipfeln der Eichen sprachen zu
ihm von der nahen Gottheit; Brot und Wein, Erde, Wasser und Luft waren
ihm als göttliche Gaben heilig, das Wunder des Lebens in den Tieren und
Pflanzen betrachtete er mit Ehrfurcht. "Und durch die Gewohnheit wurde
diese Empfindung der Verantwortlichkeit gegen die Welt der Menschen und
der Dinge, gegen ihr Recht auf ein gebührendes Gefühl von seiner Seite zu
einem unverlierbaren Teil seines Wesens. Sie erhielt ihn ernst und würdig
in seinen spätern epikureischen Spekulationen wie unter den Narrheiten der
Welt und in dumpfen Tagen; sie ließ ihn sein ganzes Leben lang als auf
etwas, wozu er sich sorgfältig vorzubereiten habe, auf eine große Gelegenheit
zur Selbstaufopferung warten." Als Knabe schon Haupt der Familie, waltete
er mit Ernst und Sorgfalt des Priesteramts, das die Religion der Väter an
diese Würde knüpfte. Täglich brachte er den Ahnenbildern ihren Anteil am
Familienmahl und Blumen, und gewissenhaft beobachtete er alle Bräuche bei
den feierlichen Umzügen um die Felder mit Götterbildern, Weihwasser und
Weihrauchfässern, bei denen nur die in altertümlicher, kaum noch verständ¬
licher Sprache gesungnen liturgischen Formeln vernommen aber keine profanen
Worte laut werden durften. Der äußern feierlichen Stille entsprechend suchte


Gin philosophischer Roman

zustellen vermochte. Sein Marius der Epikureer, den voriges Jahr ein
F. P. G. zeichnender Anonymus im Inselverlag deutsch herausgegeben hat, ist
etwas ganz andres als die Romane aus der römischen Kaiserzeit, die man
mitunter in Familienjournalen findet, und die mehr das Kostüm als die Seele
abbilden; er ist sogar gehaltvoller als Hausraths Antinous.

Der früh des jungen Vaters beraubte Marius wächst auf dem Familien¬
gute im nördlichen Etrurien als angehender Landwirt auf. Ein hervor¬
stechender Zug seines Wesens ist die altrömische Frömmigkeit. Die Religion
des Numa war die Religion des häuslichen Herdes, deren strenge Zucht die
leibliche und die seelische Gesundheit bewahrte. Das Gefühl dieser Gesund¬
heit, das sich mitunter in Äußerungen fröhlicher Lebenslust entladet — beim
Schweifen durch Fluren und Wälder in reiner klarer Luft —, ist die Frucht
dieses Knies, für die Marius seinen Göttern dankt, und zugleich eine Be¬
freiung von der Enge, in die sich die Seele durch die Gottesfurcht einge¬
schlossen findet. Denn die Kulthandlungen sind Bezeugungen des Glaubens
an unsichtbare Mächte, die streng darauf halten, daß alles, was der Mensch
tut, rief und in gebührender Ordnung geschehe, und die das ihnen Mi߬
fällige strafen. „Nach der Vergöttlichung der Kaiser, so wird uns berichtet,
galt es für unfromm, auch nur ein rohes Wort in Gegenwart ihrer Bilder
auszusprechen. Marius schien es, als sei das ganze Leben voll von heiliger
Gegenwart, die von ihm eine ähnliche Sammlung verlangte. Die strenge
archaische Religion der Villa erzeugte in ihm eine Art andächtiger Vorsicht,
daß er in keinem Pnnkte gegen die Ansprüche fehle, die alles an ihn hatte,
was mit der Gottheit zusammenhing." Und was hätte es gegeben, das nicht
des Gottes voll gewesen wäre? Der Denkstein für einen vom Blitz Er-
schlagnen, das Rauschen des Windes in den Wipfeln der Eichen sprachen zu
ihm von der nahen Gottheit; Brot und Wein, Erde, Wasser und Luft waren
ihm als göttliche Gaben heilig, das Wunder des Lebens in den Tieren und
Pflanzen betrachtete er mit Ehrfurcht. „Und durch die Gewohnheit wurde
diese Empfindung der Verantwortlichkeit gegen die Welt der Menschen und
der Dinge, gegen ihr Recht auf ein gebührendes Gefühl von seiner Seite zu
einem unverlierbaren Teil seines Wesens. Sie erhielt ihn ernst und würdig
in seinen spätern epikureischen Spekulationen wie unter den Narrheiten der
Welt und in dumpfen Tagen; sie ließ ihn sein ganzes Leben lang als auf
etwas, wozu er sich sorgfältig vorzubereiten habe, auf eine große Gelegenheit
zur Selbstaufopferung warten." Als Knabe schon Haupt der Familie, waltete
er mit Ernst und Sorgfalt des Priesteramts, das die Religion der Väter an
diese Würde knüpfte. Täglich brachte er den Ahnenbildern ihren Anteil am
Familienmahl und Blumen, und gewissenhaft beobachtete er alle Bräuche bei
den feierlichen Umzügen um die Felder mit Götterbildern, Weihwasser und
Weihrauchfässern, bei denen nur die in altertümlicher, kaum noch verständ¬
licher Sprache gesungnen liturgischen Formeln vernommen aber keine profanen
Worte laut werden durften. Der äußern feierlichen Stille entsprechend suchte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/460>, abgerufen am 12.05.2024.