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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Meine Jugend und die Religion

das Fröhliche berücksichtigt, sieben Folgen von Tonstückcn der bedeutendsten
Komponisten.

Man darf es als einen untrüglichen Beweis für die lebendige Wirksamkeit
der vom Kunstwart und seinen Unternehmungen ausgehenden Ideen betrachten,
daß sich innerhalb der Gemeinde seiner Freunde und Förderer schon zwei große
Verbände gebildet haben, deren Zweck die Übertragung dieser Ideen in die
Praxis ist. Der von Schultze-Naumburg gegründete Bund "Heimatschutz" und
der von Avenarius ins Leben gerufene "Dttrerbund", zu dem heute schon etwa
150 Verbände und Vereine mit mehr als 200000 Mitgliedern gehören, be¬
tätigen sich zwar in verschiedner Weise, arbeiten jedoch miteinander im Kartell
und verfolgen dasselbe Ziel: die Förderung einer gesunden bodenwüchsigen
Kultur und, da sie Männer aller politischen und konfessionellen Richtungen zu
gemeinsamer Arbeit vereinigen, damit zugleich die Lösung einer der wichtigsten
nationalen Aufgaben. So haben der Idealismus und die Energie eines einzigen
Mannes eine Bewegung angebahnt, die man vielleicht am besten als einen
Befreiungskrieg oder eine nationale Erhebung gegen die unser Volk bedrückenden
Dämonen der Roheit, Gedankenlosigkeit, Mode und Konvention bezeichnen kann,
und deren Wirkung von dauerndem Einfluß auf unser gesamtes Kulturleben
s Julius R. Haarhaus ein wird.




Meine Jugend und die Religion
von Ludwig Germers heim (Schluß)
9. Heilung

!N den letzten Lebensmonaten meiner Mutter las ich Hackländers
Soldatengeschichte". Ich suchte sie in alten, zerrissenen Ausgaben zu¬
sammen und kaufte mir um ein paar Mark, die ich für mich von dem
! Ertrag des Nachhilfeunterrichts während der Ferien auf die Seite
getan hatte, ein neues, rauh, aber nicht stimmungslos illustriertes
! Bändchen mit dem Titel "Feuerwerker Wortmann". Auch meine
Mutter freute sich noch daran. Dann ging ihr Leben in Schmerzen und Operationen
rasch zu Ende. Wenn ich, meist lange nach der Polizeistunde, müde von dem Privat¬
unterricht, den ich jüngern Kameraden erteilte, heimgekehrt war, präparierte ich
Livius, machte Mathematikaufgaben und lateinische und griechische Stilübungen und
prägte mir die Beweise für das Dasein Gottes ein, indem ich die Hände auf die
Ohren preßte, bis die Ohrmuscheln schmerzten. Denn mein Vater und meine
Mutter lagen in demselben Raum, mein Vater gelähmt, in schweren Sorgen und
meine Mutter wimmernd vor Schmerzen. In mir kochte die Wut über das
Übermaß von Leiden, womit ich meine Eltern und mich beladen fühlte, und fluchend
und mit den Zähnen knirschend lernte ich, was uns der Religionslehrer als Be¬
weise für das Dasein Gottes diktiert hatte.


Meine Jugend und die Religion

das Fröhliche berücksichtigt, sieben Folgen von Tonstückcn der bedeutendsten
Komponisten.

Man darf es als einen untrüglichen Beweis für die lebendige Wirksamkeit
der vom Kunstwart und seinen Unternehmungen ausgehenden Ideen betrachten,
daß sich innerhalb der Gemeinde seiner Freunde und Förderer schon zwei große
Verbände gebildet haben, deren Zweck die Übertragung dieser Ideen in die
Praxis ist. Der von Schultze-Naumburg gegründete Bund „Heimatschutz" und
der von Avenarius ins Leben gerufene „Dttrerbund", zu dem heute schon etwa
150 Verbände und Vereine mit mehr als 200000 Mitgliedern gehören, be¬
tätigen sich zwar in verschiedner Weise, arbeiten jedoch miteinander im Kartell
und verfolgen dasselbe Ziel: die Förderung einer gesunden bodenwüchsigen
Kultur und, da sie Männer aller politischen und konfessionellen Richtungen zu
gemeinsamer Arbeit vereinigen, damit zugleich die Lösung einer der wichtigsten
nationalen Aufgaben. So haben der Idealismus und die Energie eines einzigen
Mannes eine Bewegung angebahnt, die man vielleicht am besten als einen
Befreiungskrieg oder eine nationale Erhebung gegen die unser Volk bedrückenden
Dämonen der Roheit, Gedankenlosigkeit, Mode und Konvention bezeichnen kann,
und deren Wirkung von dauerndem Einfluß auf unser gesamtes Kulturleben
s Julius R. Haarhaus ein wird.




Meine Jugend und die Religion
von Ludwig Germers heim (Schluß)
9. Heilung

!N den letzten Lebensmonaten meiner Mutter las ich Hackländers
Soldatengeschichte». Ich suchte sie in alten, zerrissenen Ausgaben zu¬
sammen und kaufte mir um ein paar Mark, die ich für mich von dem
! Ertrag des Nachhilfeunterrichts während der Ferien auf die Seite
getan hatte, ein neues, rauh, aber nicht stimmungslos illustriertes
! Bändchen mit dem Titel „Feuerwerker Wortmann". Auch meine
Mutter freute sich noch daran. Dann ging ihr Leben in Schmerzen und Operationen
rasch zu Ende. Wenn ich, meist lange nach der Polizeistunde, müde von dem Privat¬
unterricht, den ich jüngern Kameraden erteilte, heimgekehrt war, präparierte ich
Livius, machte Mathematikaufgaben und lateinische und griechische Stilübungen und
prägte mir die Beweise für das Dasein Gottes ein, indem ich die Hände auf die
Ohren preßte, bis die Ohrmuscheln schmerzten. Denn mein Vater und meine
Mutter lagen in demselben Raum, mein Vater gelähmt, in schweren Sorgen und
meine Mutter wimmernd vor Schmerzen. In mir kochte die Wut über das
Übermaß von Leiden, womit ich meine Eltern und mich beladen fühlte, und fluchend
und mit den Zähnen knirschend lernte ich, was uns der Religionslehrer als Be¬
weise für das Dasein Gottes diktiert hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/522>, abgerufen am 27.04.2024.