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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

geduldig mit mir meine Wege ging, und dem ich dafür seine Schulbürde tragen
half, auf, den Hexenbruch zu suchen. Ich sagte meinem Begleiter nichts von diesem
Ziel und ließ mir nur, als ich in der Höhe hinter der Feste den Hexenbruch zu
erkennen glaubte, die Richtigkeit meiner Vermutung bestätigen.

Da war die von Asche und Tränen gedüngte Stätte von Gras und Rosen¬
ranken grün und bunt von Blumen. Kartäusernelken und hie und da, unter den
Weißlingen und Bläulingen fast verschwindend, einer der kleinen Falter, die der
Volksmund Blutströpfchen nennt, waren mit ihrer Blutfarbe außer dem Namen
des Orts die einzigen Wegweiser, die die Phantasie von diesem bunt überblühten,
von weißen und blauen, rotbraunen und dunkelbraunsamtnen Faltern übergaukelten,
von leuchtenden Wolken überwanderten lichten Erdenfleck in die düstre, flammen-
und blutrote Zeit des Hexenwahns führten. Diese Wegweiser schreckten niemand,
auch mich nicht mehr. Sie wurden wohl nur von wenigen gelesen.

Längst war hier die letzte Träne in der Glut verzischt und die letzte tötende
Glut erloschen. Nur die belebende der Sonne machte die wilden Rosenhecken
duften, die die Höhe unten säumten. Oben lag, von einem Blitzableiter, einer
Ringmauer und einem Posten gehütet, finster und doch heimlich ein Pulvermagazin.
Hautboisten und Trommler belebten die helle Stätte nicht, sie selbst sang in der
heißen Sonne ihr Bienenlied. Es war dieselbe trauliche Weise, die mir einst
Hinnenaus gesungen hatte.




Der rote Hahn
von palle Rosenkrantz. Deutsch von Ida Anders
(Fortsetzung)
Liftes Aapitel. Lin Besuch

me gedrückte Stimmung lag heute über dem Mittagstisch auf Deichhof.
Jnger begriff nicht, was die Eltern hatten, aber es kam ja manchmal
vor, daß Mutter auf Vater schalt, und in der Regel hatte Mutter
ja recht. Jnger saß nur still und mischte sich nie hinein.

Ehe sie mit dem Essen fertig waren, trat signe ein und meldete
einen fremden Herrn. Assessor Richter, sagte sie, er sei mit dem Rade
gekommen und wollte den Herrn Gutsbesitzer gern begrüßen.

Hilmer erhob sich schnell und ging zu ihm hinaus. Emilie zuckte zusammen.
Was sollte das bedeuten? Der Brandassessor hier? Sie wurde ganz bleich. Jnger
merkte nichts. Sie ballte die Hände und dachte an das, was sie zu Seydewitz
gesagt hatte.

Frau Hilmer faßte sich. Jnger, sagte sie, gehe in die Küche hinaus und
sage, es soll Kaffee zubereitet werden für den Herrn Assessor -- stelle etwas
Kuchen heraus . . .

Gib ihm Wasser und Brot, sagte Jnger kurz. Das hat er so vielen andern
gegeben, der Büttel.

Phe, pst! sagte die Mutter -- und Jnger ging mit sehr festen Schritten. Sie
haßte den Assessor.


Grenzboten III 1909 67
Der rote Hahn

geduldig mit mir meine Wege ging, und dem ich dafür seine Schulbürde tragen
half, auf, den Hexenbruch zu suchen. Ich sagte meinem Begleiter nichts von diesem
Ziel und ließ mir nur, als ich in der Höhe hinter der Feste den Hexenbruch zu
erkennen glaubte, die Richtigkeit meiner Vermutung bestätigen.

Da war die von Asche und Tränen gedüngte Stätte von Gras und Rosen¬
ranken grün und bunt von Blumen. Kartäusernelken und hie und da, unter den
Weißlingen und Bläulingen fast verschwindend, einer der kleinen Falter, die der
Volksmund Blutströpfchen nennt, waren mit ihrer Blutfarbe außer dem Namen
des Orts die einzigen Wegweiser, die die Phantasie von diesem bunt überblühten,
von weißen und blauen, rotbraunen und dunkelbraunsamtnen Faltern übergaukelten,
von leuchtenden Wolken überwanderten lichten Erdenfleck in die düstre, flammen-
und blutrote Zeit des Hexenwahns führten. Diese Wegweiser schreckten niemand,
auch mich nicht mehr. Sie wurden wohl nur von wenigen gelesen.

Längst war hier die letzte Träne in der Glut verzischt und die letzte tötende
Glut erloschen. Nur die belebende der Sonne machte die wilden Rosenhecken
duften, die die Höhe unten säumten. Oben lag, von einem Blitzableiter, einer
Ringmauer und einem Posten gehütet, finster und doch heimlich ein Pulvermagazin.
Hautboisten und Trommler belebten die helle Stätte nicht, sie selbst sang in der
heißen Sonne ihr Bienenlied. Es war dieselbe trauliche Weise, die mir einst
Hinnenaus gesungen hatte.




Der rote Hahn
von palle Rosenkrantz. Deutsch von Ida Anders
(Fortsetzung)
Liftes Aapitel. Lin Besuch

me gedrückte Stimmung lag heute über dem Mittagstisch auf Deichhof.
Jnger begriff nicht, was die Eltern hatten, aber es kam ja manchmal
vor, daß Mutter auf Vater schalt, und in der Regel hatte Mutter
ja recht. Jnger saß nur still und mischte sich nie hinein.

Ehe sie mit dem Essen fertig waren, trat signe ein und meldete
einen fremden Herrn. Assessor Richter, sagte sie, er sei mit dem Rade
gekommen und wollte den Herrn Gutsbesitzer gern begrüßen.

Hilmer erhob sich schnell und ging zu ihm hinaus. Emilie zuckte zusammen.
Was sollte das bedeuten? Der Brandassessor hier? Sie wurde ganz bleich. Jnger
merkte nichts. Sie ballte die Hände und dachte an das, was sie zu Seydewitz
gesagt hatte.

Frau Hilmer faßte sich. Jnger, sagte sie, gehe in die Küche hinaus und
sage, es soll Kaffee zubereitet werden für den Herrn Assessor — stelle etwas
Kuchen heraus . . .

Gib ihm Wasser und Brot, sagte Jnger kurz. Das hat er so vielen andern
gegeben, der Büttel.

Phe, pst! sagte die Mutter — und Jnger ging mit sehr festen Schritten. Sie
haßte den Assessor.


Grenzboten III 1909 67
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[0527] Der rote Hahn geduldig mit mir meine Wege ging, und dem ich dafür seine Schulbürde tragen half, auf, den Hexenbruch zu suchen. Ich sagte meinem Begleiter nichts von diesem Ziel und ließ mir nur, als ich in der Höhe hinter der Feste den Hexenbruch zu erkennen glaubte, die Richtigkeit meiner Vermutung bestätigen. Da war die von Asche und Tränen gedüngte Stätte von Gras und Rosen¬ ranken grün und bunt von Blumen. Kartäusernelken und hie und da, unter den Weißlingen und Bläulingen fast verschwindend, einer der kleinen Falter, die der Volksmund Blutströpfchen nennt, waren mit ihrer Blutfarbe außer dem Namen des Orts die einzigen Wegweiser, die die Phantasie von diesem bunt überblühten, von weißen und blauen, rotbraunen und dunkelbraunsamtnen Faltern übergaukelten, von leuchtenden Wolken überwanderten lichten Erdenfleck in die düstre, flammen- und blutrote Zeit des Hexenwahns führten. Diese Wegweiser schreckten niemand, auch mich nicht mehr. Sie wurden wohl nur von wenigen gelesen. Längst war hier die letzte Träne in der Glut verzischt und die letzte tötende Glut erloschen. Nur die belebende der Sonne machte die wilden Rosenhecken duften, die die Höhe unten säumten. Oben lag, von einem Blitzableiter, einer Ringmauer und einem Posten gehütet, finster und doch heimlich ein Pulvermagazin. Hautboisten und Trommler belebten die helle Stätte nicht, sie selbst sang in der heißen Sonne ihr Bienenlied. Es war dieselbe trauliche Weise, die mir einst Hinnenaus gesungen hatte. Der rote Hahn von palle Rosenkrantz. Deutsch von Ida Anders (Fortsetzung) Liftes Aapitel. Lin Besuch me gedrückte Stimmung lag heute über dem Mittagstisch auf Deichhof. Jnger begriff nicht, was die Eltern hatten, aber es kam ja manchmal vor, daß Mutter auf Vater schalt, und in der Regel hatte Mutter ja recht. Jnger saß nur still und mischte sich nie hinein. Ehe sie mit dem Essen fertig waren, trat signe ein und meldete einen fremden Herrn. Assessor Richter, sagte sie, er sei mit dem Rade gekommen und wollte den Herrn Gutsbesitzer gern begrüßen. Hilmer erhob sich schnell und ging zu ihm hinaus. Emilie zuckte zusammen. Was sollte das bedeuten? Der Brandassessor hier? Sie wurde ganz bleich. Jnger merkte nichts. Sie ballte die Hände und dachte an das, was sie zu Seydewitz gesagt hatte. Frau Hilmer faßte sich. Jnger, sagte sie, gehe in die Küche hinaus und sage, es soll Kaffee zubereitet werden für den Herrn Assessor — stelle etwas Kuchen heraus . . . Gib ihm Wasser und Brot, sagte Jnger kurz. Das hat er so vielen andern gegeben, der Büttel. Phe, pst! sagte die Mutter — und Jnger ging mit sehr festen Schritten. Sie haßte den Assessor. Grenzboten III 1909 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/527>, abgerufen am 28.04.2024.